Ich weiss, eigentlich wartet man, bis man eine runde Zahl oder so was zum Resumee-Ziehen erreicht hat, aber hey: die Spülmaschine gurgelt vor sich hin, der Tisch ist abgeräumt, der Koffeinspiegel auf einem stabilen Hoch, die beiden Kinder spielen gemeinsam Lego, ohne sich allzusehr die Köpfe einzuschlagen, deswegen lassen Sie mich doch genau jetzt Resumee ziehen über fast ein Jahr im neuen Job.
Also: zuerst mal ein Executive Summary: grossartig, genau das, was ich wollte.
Im Detail sieht das so aus: alle meine Bedenken, die ich ja eigentlich nur ob der Familienverträglichkeit der 80% hatte, haben sich in Wohlgefallen aufgelöst. Die Kinder gehen anstandslos die 4 Tage in die Kinderkrippe. So bekomme ich zwar einerseits fast gar nix von Little Q.s Verhalten beim Hausaufgabenmachen mit, aber andererseits sehe ich jeden Abend, was er gemacht hat, wie er es gemacht hat und laut eigener Aussage und Info der Betreuer ist er fix und konzentriert bei der Sache, also: superst. Little L. fühlt sich einerseits in seiner Gruppe sehr wohl (ich hoffe so sehr, dass es klappt, dass er mit seiner besten Freundin und seinem besten Freund diesen Sommer zusammen in den gleichen Kindergarten kommt), andererseits geniesst er den freien Freitagvormittag mit mir. Wir erledigen zwar da immer Grosseinkauf und so, aber trotzdem, es ist Mami-Lenni-Zeit ("Face to face" heisst das bei uns gerne).
Haushaltstechnisch ist es eigentlich entspannter als vorher, wir haben uns jetzt ja einen Putzhilfe gegönnt und nach dem ersten Reinfall über eine Agentur (ich hätte es wissen sollen: pink, Kindchenschema und saublöder Name, das kann ja nicht seriös sein) haben wir von Christians Kollegin eine wunderbare Frau vermittelt bekommen, die wir supereasy angemeldet und versichert haben und seitdem blitzt unser Haus jeden Mittwoch. Den Rest (Wäsche und das alltägliche Zeug) erledigen der Hübsche und ich jetzt noch fairer aufgeteilt als auch schon, weil ja nun kein grosser Unterschied in der Jobbelastung mehr besteht, der eine andere als eine 50/50-Aufteilung der häuslichen Pflichten (jetzt hätte ich fast "ehelichen" geschrieben) rechtfertigen würde.
Auch die unvermeidbaren Kinderkrank-Tage teilen wir uns wirklich partnerschaftlich, da findet dann am Abend lustiges Sitzungsgeschachere statt und so hat es bisher immer geklappt, dass das Kind versorgt und beide Arbeitgeber glücklich waren (bis auf die eine Sekretärin bei uns, die immer ganz verzweifelt ist, wenn ich "kindkrank" melde und dann trotzdem irgendwie arbeite, weil so ist das nicht vorgesehen.).
Auch der längere Arbeitsweg (in Basel anstatt vor der Haustür) ist nicht das Problem, als das ich ihn in den schlaflosen Nächten vor dem neuen Job gesehen habe. Ich fahre zwar mit Auto statt Bus/Zug/Tram/Bus, und zahle so für meinen Firmenparkplatz, aber das ist es mir wert, dass ich flexibel bin und zwischen 10 (morgens umd 6) und 20 Minuten (abends im Berufsverkehr) anstatt mindestens 40 Minuten einfach unterwegs bin.
Jetzt aber genug des Drumrums: der Job an sich ist einfach grossartig. Ich sitze mit zwei Kollegen in einem zugegebenermassen winzigen Büro, aber erstens zwingt mich das zum Ordnunghalten und Pendenzen abarbeiten, sonst fallen sie wirklich physisch (hier wird noch viel mit Ordnern und echtem Papier gearbeitet) auf mich drauf und zweitens ist es nie langweilig, es gibt immer jemand zum Lachen, Lästern und Kaffeetrinken. Ach ja. Und für fachliche Fragen natürlich auch. Mit dem Rest der Abteilung komme ich zwar zum Grossteil wunderbar aus (ist ja jetzt nicht so, dass ich ein Sozialmuffel wäre), aber ich musste auch lernen, dass es Leute gibt, mit denen ich einfach nicht kann. Naja, bin ich nicht die einzige.....
Die Arbeit an sich ist....genau das, was ich wollte. Ich musste zwar erst ein bisschen Umlernen, weil Pharma ist nochmal ein Stück anders als Chemie und auch wenn alle Welt glaubt, dass die Leute in grossen Pharmakonzernen nur gierig Geld zählen, unnötige Tier- und Menschenversuche machen und den Leuten wahlweisse unnötige, wirkungslose oder einfach nur zu teure Medikamente andrehen, hier steht das Wohl des Patienten an alleroberster Stelle. Das mündet in einem Qualitätsbewusstsein vom ganz anderen Stern, aber mittlerweile bin ich die Queen des Batch Record Reviews, der GMP Compliance, ich habe meinen ersten Auftritt bei einem Behördenaudit (Japan!) überstanden, ich jongliere mit Deviation Reports, CAPAs, FMEAs, EoEs, LoCCs, Validierungsplänen und -reports, Akzeptanzlimiten, OOT, OOS, Trending und es macht mir Spass.
Dazu kommt, dass ich das Produktionsumfeld wirklich vermisst habe. Und auch hier: Big Pharma ist ganz anders als Small und Superbig Chemistry. Ich habe in meiner Chemielaufbahn noch nie einen Kesselaustausch bzw. den Neubau einer Anlage miterlebt und jetzt gehört das zu meinem täglichen Brot.
Dazu kommt, dass es schon was anderes ist, ein Medikament gegen Parkinson, Hautkrebs oder von mir aus "nur" Osteoporose zu produzieren, als einen UV-Stabilisator gegen das Ausbleichen von buntem Plastik, mal so vom Karma-Faktor, finde ich.
Ansonsten: Produktion ist Produktion ist Männerdomäne (obwohl eine von meinen beiden Bürokollegen eine Frau ist und der andere jetzt bald eine Frau als Chefin bekommt), aber auch das bin ich gewohnt, auch das kann ich und nach erstens der Schichtwoche am Anfang und zweitens unzimperliches und natürlich irre kompetentes und führungsstarkes Auftreten im letzten Jahr habe ich mir meinen Respekt bei der Mannschaft erarbeitet. Glaube ich. (Die eine oder andere Kuchenrunde in der Morgensitzung könnte auch geholfen haben).
Nachdem ich am Anfang das Gefühl hatte, dass ich dank des laaaaaaaangen Einarbeitungsplans und des Kollegen, der eben der erste Chefvertreter war, immer nur dritte Geige spielen würde, ist der Einarbeitungsplan längstens abgearbeitet, der Kollege hat ein neues Projekt, mein Chef ist aus Gründen recht oft abwesend und so ist es schon lange vorbei mit dritter Geige, eher zweite im Allgemeinsen, erste in "meinem" Betrieb und eben: regelmässig erste überhaupt. Es ist zwar schon ein bisschen unheimlich, wenn an jedem Reaktor, jeder fahrbaren Vorlage, jedem Filter und jeder Kabinentür steht: Verantwortlich: Frau Brüllen, Telefonnummer xxx, und man noch dazu weiss, welchen Warenwert man da in der Anlage rühren hat, aber hey: ALLES MEINS! Die nächtlichen und wochenendlichen Anrufe halten sich bisher absolut im Rahmen, wobei ich heute Nacht um kurz vor eins schon sehr verplant war, als mein Handy losgetschirpt hat und der Betrieb was wissen wollte......
Ich kenne mittlerweile jeden Kessel persönlich, finde mich nicht mehr nur anhand von irgendwelchen Wegpunkten im Betrieb zurecht, ich kenne unsere ca. 45 Schichtmitarbeiter mit Namen (mehr noch anhand ihrer Handschrift und ihres Namenskürzels), ich kann mit Feuerwehr, Arbeitshygiene, Umweltabteilung, Einkauf und, sehr oft, der Qualitätsabteilung auf Augenhöhe diskutieren (letztens hatten wir übrigens unsere Gruppensitzung mangels Räumlichkeiten im Kommandoraum der Feuerwehr. Ganz grosses Kino.).
Zur Firma an sich muss ich eigentlich nicht viel sagen. Obwohl langjährige Mitarbeiter natürlich immer was zu meckern haben, fühle ich mich immer noch wie auf der Insel der Seeligen: man kriegt seine Arbeitskleidung mit Namen (und, ganz wichtig ;-), Titel) gewaschen und gebügelt, man bekommt für wenn es mal kühl ist, eine Fleecejacke, für wenn es mal eisig ist eine "Kälteschutzjacke", die berühmte geschliffene Schutzbrille (sie ist da, Fotos kommen noch), Kaffee so viel man will, manchmal Catering bei Sitzungen und Workshops, Offsite-Workshops, Weiterbildungen intern wie extern, man kann so viel farbig drucken, wie man lustig ist, man bekommt Büropflanzen incl. Gärtnerservice, man könnte (wenn man denn Platz hätte) sich in der Kunstsammlung Bilder fürs Büro auswählen, man kann die Skier umsonst zum Service bringen, wann immer irgendein Service neu ist oder irgendwas promoted wird, gibt es Infotische mit Goodies in der Kantine, ich kann zum Werksarzt, wenn ich nicht fit bin, ja, ich gestehe, in diesem Umfeld arbeite ich lieber und mehr als auch schon. Ich muss sagen, so sehr ich die Anfangszeit mit den Jungs und dem geringeren Pensum genossen habe, so sehr geniesse ich es, jetzt jobmässig wieder richtig durchzustarten und endlich nicht mehr die zu sein, die eh nur ein bisschen mehr als die Hälfte der Zeit da ist, sondern die (und das höre ich immer noch jede Woche mehrfach), die Freitags nie da ist, sonst aber immer ;-).