Kaum scheint die Sonne ein bisschen und die Temperaturen steigen, da schiessen sie wieder aus dem Boden des Blätterwalds: die Tipps und Richtlinien, wie man seine Haut gegen die Sonnenstrahlen zu schützen habe, was man gerade bei Kindern und noch gerader bei Babies beachten sollte.
Eigentlich sind sich alle einig:
1. Sonnenstrahlung verursacht Sonnenbrand, Hautalterung, Hautschäden, Hautkrebs. *
2. Am besten gar nicht in die Sonne, schon gar nicht in die direkte, und dreimal nicht in der Mittagszeit, mit Kleidung schützen
3. Kinder erst recht nicht.
4. Babies noch erst rechter nicht.
5. Sonnencreme verwenden. Und zwar auf jeden Fall nur mit mineralischen Schutzfaktoren, bloss nicht mit chemischen, weil die haben ja Hormonwirkung!****
Nun ja. Bis einschliesslich 4 würde ich das unterschreiben. Und wenn Sie zu den Menschen gehören, die auch fünf unterschreiben und glücklich damit sind, sich mit weisser Paste einzuspachteln, weil das zu Ihrem inneren Frieden beiträgt: bitte. Tun Sie das.
Für diejenigen aber, die jedes Jahr seufzend am so sehr nach Sommerferien duftenden Nivea-Regal vorbei gehen, die es hassen, sämtliche Kleider mit weissen Flecken zu versauen und auf allen Sommerfotos wie eine Leiche auf Strandurlaub auszusehen, die von den schmierigen Pasten Pickel kriegen und all das seufzend akzeptieren, weil: Hormonwirkung! Und Ökotest hat auch gesagt....! und deshalb glauben, NIE im Leben chemische Filter verwenden zu dürfen, aber eigentlich schon gerne würden, für die schreibe ich hier noch ein bisschen.
Zuerst einmal: Ökotest. Ich muss gestehen, ich war zu geizig, 2 Euro für den Testdownload zu investieren, deswegen weiss ich jetzt nicht, welche Sonnencremes in diesem Test jetzt gut abgeschnitten haben und welche nicht. Das macht aber auch nichts, weil: das interessiert mich gar nicht. Ich habe nämlich gelesen, nach welchen Kriterien bewertet wurde und welche Tests überhaupt durchgeführt wurden.
Es wurden Abzüge erteilt, wenn zwei bewiesenermassen hormonähnlich wirkende chemische Lichtschutzfaktoren (Ethylhexyl-Methoxycinnamate und Octocrylene) enthalten sind (so weit, so gut). Ausserdem gab es Abzüge für unnötige Pappschachteln, für unvollständige Hinweise, für Parabene, für Silkone, für das falsche Plastik in der Verpackung, alles vermutlich für die Ökostest-Leserschaft essentiell wichtige Sachen, aber mit dem Sonnenschutz haben sie einfach nichts zu tun. Diese infos wären genauso relevant oder irrelevant, wenn es um Duschgel, Bodylotion oder Shampoo gehen würde.
Getestet wurde übrigens (das ist der untere Teil auf der oben verlinkten Seite) auf die mögliche Abspaltung von Formaldehyd, auf Duftstoffe, auf den Gehalt an halogenorganischen Stoffen, manchmal auf Paraffine, Erdölprodukte, Silikonverbindungen, Parabene und die Kunststoffe der Verpackung. Was erstaunlicherweise überhaupt nicht getestet wurde, war die Sonnenschutzwirkung. (Oder ich hätte für diese Aussage 2 Euro bezahlen müssen). Und ganz ehrlich? Ich weiss ja nicht, nach welchen Kriterien Sie Ihre Sonnencreme kaufen. Aber für mich kommt die Sonnenschutzwirkung ganz, ganz weit vor der (Um-)Verpackung.
Wen es interessiert, wie die Sonnenschutzwirkung tatsächlich gemessen wird, dem sei dieser Artikel empfohlen. Dort findet sich auch eine Liste von chemischen UV-Filtern. Bei weitem nicht alle davon haben eine hormonähnliche Wirkung, das behauptet ja nicht einmal Ökotest, es gibt mindestens zwei davon (Methylen bis-Benzotriazolyl Tetramethylbutylphenol (MBBT) aka Tinosorb M und Bis-Ethylhexyloxyphenol Methoxyphenyltriazin (BEMT) aka Tinosorb S), bei denen diese Wirkung eben genau nicht auftritt. (Und ja, wer hier schon länger mitliest, weiss, dass ich eine Zeitlang sozusagen nahezu persönlich prqktiach fast von jeder Tube Sonnencreme mit diesen Inhaltsstoffen profitiert habe, das ist mittlerweile nicht mehr der Fall, überzeugt bin ich von den Produkten nach wie vor und das für mich sehr praktische ist: ich weiss genau, wie sie entwickelt, getestet und zugelassen wurden ;-)). Sie sind ausserdem photostabil, d.h. ihre Sonnenschutzwirkung beruht nicht darauf, dass sie die Energie, die durch die Sonnenstrahlung auf die Haut trifft dadurch abfangen, dass sie sich spalten (das ist nämlich die eine Möglichkeit), sondern durch Absorption, d.h. sie nehmen die Energie auf und geben sie als Wärme wieder ab. Und heiss ist es ja im Sommer eh schon ;-). (Auch dazu mehr in dem oben verlinkten Artikel)
Ich weiss, jetzt kommt natürlich die Frage: woher weiss ich denn, welche Sonnencreme ich kaufen kann? Ich kann nur sagen: sterben werden Sie vermutlich an keiner, ich selber lese mir die Liste der Inhaltsstoffe durch. Und ja, die INCI-Bezeichnungen sind Wortungetüme. Aber andererseits: wir sind es doch gewohnt Glutamat in allen Bezeichnungen, Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Süssstoffe und Zuckersorten aus den Inhaltslisten für Lebensmitteln rauszufieseln, wir (also: manche. ich nicht) suchen nach Silikonen, Emulgatoren, Parabenen, Palmöl etc. in Kosmetika, da kann man doch ruhig auch mal nach was suchen, was drin sein soll, nicht immer nur nach dem, was man um Gottes Willen vermeiden will.
Übrigens: was mich ausserdem in dieser ganzen debatte noch unglaublich aufregt, ist die Einteilung von Kosmetikfirmen in "Bio/Natur" = gut, weil halt. (Umweltschutz, bio, natur, weil halt)" und "Normal" = schlecht, weil Umweltverschmutzung, Tierversuche, Erdölprodukte, nur auf Kommerz ausgerichtet"
Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Naturkosmetikfirmen gemeinnützige Unternehmen sind, die keinen Gewinn machen wollen, sondern rein für das wohlbefinden der flauschigen entenküken in ihren schaugärtnereien arbeiten (und den weltfrieden natürlich? Und glauben Sie wirklich, dass "normale" Kosmetikfirmen in ihren Unternehmenswerten zB stehen haben "Scheiss auf die Umwelt, Hauptsache, wir machen Kohle"? Beide wollen Geld verdienen und beide zu Recht! Die Neuentwicklungen, die auf dem Gebiet der Kosmetika gemacht werden, sind nicht nur (also: manchmal vllt. schon, aber das liegt dann oft eher an der saudämlichen Werbung) Luftnummern. Es ist zb tatsächlich möglich, durch neue Inhaltsstoffe Cremes etc. sofort einziehen zu lassen anstatt einen pappigen Film auf der Haut zu hinterlassen. Zum Beispiel. Für diese Neuentwicklungen***** dürfen heutzutage sowieso keine Tierversuche mehr gemacht werden, das Argument zieht also schon mal nicht mehr, solche Neuentwicklungen ergeben dann halt ein neues INCI-Wortmonster, aber doch nicht mit dem Ziel, jetzt mit Absicht die Welt dem Untergang ein Stück näher zu bringen!
klar, da ist wieder was böses, chemisches erschaffen worden, aber mal ehrlich? Sie kennen doch sicher auch
diese Bilder hier? Wenn nicht, unbedingt anschauen! Und behaupten immer noch, natürlich wäre daa gegenteil von chemisch?
Und klar, ohne seidiges Hautgefühl stirbt man auch nicht, man kann sich auch Mandelöl (oder, wie ich jetzt ja neu gelernt habe, Himbeersamenöl) pur draufschmieren, ich will hier ja niemanden missionieren. Ich habe heute aber einen grossartigen Tweet gelesen, den ich hier sozusagen als Schlusswort einbauen möchte:
*Wer das übrigens nicht glaubt: gut, dann halt nicht. Setzen Sie Ihren Alufolienhut** auf, sich selber in die knallige Mittagssonne und schauen Sie mal was passiert. Es hat sich in den letzten Jahren ja einiges auf dem Gebiet der medikamentösen Hautkrebsbehandlung getan, vllt. haben Sie ja Glück.***
** Was ist eigentlich der neue "Alufolienhut", jetzt wo Aluminium in den einschlägigen Kreisen des Teufels ist?
*** Das ist natürlich ein ganz schlechter und geschmackloser Witz. Die neuen Medikamente versprechen keine Heilung, höchstens Lebenszeitverlängerung.
**** Oder, das habe ich gestern mit ganz viel wtf? im Gesicht bei der Recherche für diesen Blogpost in den Untiefen des Internets entdeckt, Sie gehen noch weiter und vermeiden nicht nur jede Chemie, sondern auch noch Bio-Fertig -Cremes mit Zinkoxid und mischen sich lieber ein paar
Öle (Himbeersamenöl. Ich komm nicht drüber weg) aus ominösen Quellen, der Lichtschutzfaktor wird selber ausgerechnet (wie? Egal, wird schon hinhauen, man ist so schön bronzefarben und riecht auch gut, das muss toll sein.). Ich kann dazu den Aluhut (oder eben das biologisch dynamische Äquivalent) und die Gesellschaft der Personen aus der ersten Fussnote empfehlen. Mal ernsthaft? Einem ausgerechneten Faktor vertrauen? Auf der Basis von was gerechnet? Auf der gemittelten, geschätzten, geratenen, erhofften Zusammensetzung von (im Hinblick auf Inhaltsstoffe, Wirksamkeit und, wir erinnern uns, worum es in diesem Blogpost geht, Sonnenschutzwirkung absolut nicht getestesten oder auch nur spezifizierten) Ölen aus immerhin hoffentlich wunderbaren Anbaubedingungen? Selber zusammengemischt? Nun ja. Brathähnchen bestreicht man ja auch mit Öl (sollte mal Himbeersamenöl probieren), da werden sie schön knusprig....
***** Funfact: aus berufener Quelle habe ich läuten hören, dass bei der Entwicklung von allem, was in Sonnencreme kommen könnte, sei es UV-Filter, Sensory modifier etc., penibel darauf geachtet wird, dass in der Formulierung der typische (göttliche) Nivea-Sonnencremeduft nicht beeinträchtigt wird. Sonst: adios!
NACHTRAG: Wer hier übrigens sachliche Informationen vermisst, sollte sich bitte den verlinkten Artikel der "Pharmazeutischen Zeitung" durchlesen oder aber diesen
hier. Da wird mit der ganzen Panikmache über OHGOTTHORMONE! noch viel gründlicher aufgeräumt als hier.
Noch ein NACHTRAG: Ich empfehle hier mit Absicht keine Marken oder rate auch nicht von Marken ab. Da spielt soviel persönliches Empfinden mit rein, die Rezepturen wechseln, es gibt persönliche Vorlieben, Allergien, Pickelneigungen, etc.. Wenn Sie auf der sicheren Seite sein wollen, dann müssen Sie einfach lesen. Das Kleingedruckte hinten auf der Packung. Oder sich nicht verrückt machen lassen. Oder Creme mit rein mineralischen Filtern nehmen. Oder Himbeersamenöl. Das müssen Sie (sehen Sie es doch so: wir leben in einer freien Welt: Sie DÜRFEN) das selbst entscheiden.