Lassen Sie mich zu Beginn zwei Begriffe klären:
Offsite-Workshop, der: Ein Team nimmt sich eine Auszeit aus dem Arbeitsalltag und fährt gemeinsam für ein, zwei Tage in ein Tagungshotel, das NICHT auf dem Werksareal liegt, um Themen, die das Team betreffen, die aber im Tagesgeschäft untergehen, in Ruhe zu besprechen. Das können Team-Entwicklungsthemen sein, das kann die Strategie für die nächsten Jahre sein, das kann der Umgang mit interdisziplinären Themen sein, solche Sachen. Solche Sachen gehen wirklich besser weg vom Rest der Arbeit, dazu gibt es ja Tagungshotels. Und ja, meist gehört zu so einem Workshop auch ein social event dazu, nach stundenlangen Strategiediskussionen hat man sich auch eine Fackelwanderung, eine Sektkellereibesichtigung oder einen Klettergartenbesuch verdient.
Theme-Park-Hotel, das: Sie kennen Freizeitparks, oder? Und in den meisten Freizeitparks gibt es ja für Hardcore-Fans oder Leute, die von weit her gekommen sind, oder für Leute, die sowas zum Geburtstag geschenkt bekommen haben, auch Freizeitparkhotels. Wir waren zB vor drei Jahren in Dänemark über Nacht im Legolandhotel, und sowas gibt es ja eigentlich in allen Freizeitparks. Die Hotels sind direkt am Park angeschlossen, es gibt Themenbereiche, die eben mit dem Park zusammenpassen, es ist alles auf Familien ausgelegt, die Zimmer und Räumlichkeiten sind thematisch passend gestaltet, es gibt Shows, familienfreundliches Essen, Wasserspielplätze, Bällebad, man kann noch eher in den Park als der Rest; wenn man sich so etwas leisten möchte (und natürlich, wenn man Freizeitparks überhaupt nicht total doof findet), ist das eine tolle Sache.
Wie passt das jetzt zusammen? Jaaaaaa, also. Man kann so einen Offsite-Workshop auch in einem solchen Theme-Park-Hotel abhalten. Die meisten haben auch Meetingräume und bieten Konferenzpakete an. Man könnte wirklich fast meinen, so was wäre eine gute Idee. Es wäre wirklich mal was anderes, nicht nur anders als der Arbeitsalltag, wo man von dringendem Meeting zu noch dringenderem Meeting hetzt, nein, es wäre auch mal was anderes als geleckte, gesichtslose, austauschbare Normkonferenzhotels. Das social event für den Abend wäre auch direkt vor Ort (eine Runde Geisterbahn und Zuckerwatte für alle), klingt doch toll, oder?
Well. Jein. Erstens ist es seeeeeeehhhhhr schwierig, denen, die "daheim" aka im Büro bleiben, glaubhaft zu versichern, dass man "zum Arbeiten, ernsthaft, ich schwör!" in den Freizeitpark fährt.
Und dann kommt man da an, der Hauptworkshopraum ist im Mittelalterhotel*, man betritt also über eine Zugbrücke über Burggraben mit echtem Wasser und nicht ganz echtem Drachen drin das Hotel aka die Ritterburg, stellt sich in der mit Bannern behängten, von nicht ganz echten, aber echt funzeligen Fackeln beleuchteten Eingangshalle in Businessklamotten mit Workshopmaterialien unter dem Arm hinter gefühlt 30 Familien mit hibbeligen Kindern "Ich will aber oben schlafen, ich will als allererstes auf die Wasserbahn, nein, mir ist kalt, ich will auf jeden Fall erst eine Show sehen, am liebsten die mit Piraten, immer du mit deinen Piraten, ich hoffe, ich bin diesmal endlich gross genug für den Fünferlooping, das müssen wir unbedingt als allererstes schauen" an, erfährt nach einigerzeit von einem Burgfräulen, dass man im "Wappensaal Siegfried" arbeiten wird, die Gruppenräume wären allerdings nicht hier im Hotel, sondern bei den Nachbarn in der Space Alley, da hätte man die Räume "Voyager" und "Outer Rim", es wäre aber nicht weit, nur kurz draussen über die Zugbrücke, ein Stück weiter, nicht beim Wilden Westen abbiegen, wenn man dann aber im alten Rom gelandet wäre, dann wäre man schon zu weit.
Ooooookay. Auf dem Weg zum "Wappensaal Siegfried" hat man die Gelegenheit, in die Familienzimmer zu spickseln: super. Es gibt Himmelbetten, es gibt in manchen Räumen sehr echt aussehende Drachen, manchmal ist die Tür von Rosenranken zugewachsen, alles sehr liebevoll eingerichtet.
Der "Wappensaal Siegfried" ist nun wirklich kein gesichtsloser Meetingraum, es gibt wieder funzelige Fackeln, es gibt Wappen, es gibt, wie überall im Park und draussen und in den Gängen sehr leise stimmungsvolle Mittelaltermusik. Ausserdem gibt es das versprochene Tagungsmaterial, nämlich eine Plastiktüte mit dem Parkmaskottchen drauf, ein paar Blöcken, Karteikarten und vier Eddings drin. Wohl dem, der den abteilungseigenen Moderationskoffer mitgenommen hat. Beamer, Leinwand und Fernbedienung sind nicht ganz so leicht zu finden, aber auf Anruf bei der Kontaktperson kommt ein Hotelmitarbeiter in Hofnarrenverkleidung, zeigt uns den Beamer und die Fernbedienung, unter einer der nur scheinbar rohen Dielen findet sich auch das nötige Stromgedöns.
Aus dem "Wappensaal Siegfried" haben wir übrigens wunderbare Aussicht auf den Burghof, wo Gaukler, Waffenschmied und Ritter herumspazieren und die begeisterten Gastfamilien unterhalten. Ja, man kommt sich in Business-Uniform ein wenig fehl am Platz vor unter all den tiefenentspannten Urlaubern.
Wenn man dann noch dummerweise einen Ausdruck im Büro hat liegen lassen, dann wird es ein bisschen kompliziert. In einem gesichtslosen Standard-Tagungshotel wäre das kein Problem, man könnte mit dem USB-Stick zur Rezeption marschieren und gefühlt 10 Sekunden später hätte man den Ausdruck in der Hand. Hier: schwierig. Man stellt sich nochmal an der Rezeption hinter 5 neuen hibbeligen Familien an "Super, so spannend, haben wir das Dornröschenzimmern, nein, hoffentlich eine Folterkammer, ich will unbedingt in der ersten Sitzreihe bei der megaschnellen neuen Bahn fahren", kommt dann endlich dran, diesmal spricht man mit einem Mitarbeiter im Knappengewand. Leider dürfen sie keine fremden Devices in ihre Computer einstecken dürften, aber man sollte sich am besten an das Business-Center wenden, das wäre aber nicht hier im Hotel, sondern eben in der Space-Alley, wissen Sie wie Sie dahin kommen? Man hat da ja noch was im Kopf von "Beim Wilden Westen rechts, aber nicht bis nach Rom", und ist schon kurz versucht begeistert zu sein, dass es in einer Burg überhaupt sowas wie Computer gibt, aber dann denkt man sich: "Hallo, ich will ein Blatt Papier ausdrucken, wir haben hier ein Konferenzpaket gebucht, da kann es doch nicht sein, dass ich jetzt am Wilden Westen vorbei zur Space Alley laufe, mich dort nochmal anstelle, und dann Comander Data erkläre, dass ich was drucken will." Also bittet man um einen Alternativvorschlag und wird an die Gästecomputer verwiesen. Die sind nur so mittelgut geeignet, weil alles ausser dem Einschaltknopf durch so ein (immerhin sehr mittlealterlich aussehendes) Beichtstuhlgitter abgeschlossen ist, vermutlich, um die Elektronik vor hibbeligen Kinderhänden zu schützen. So kann man natürlich auch nix ausdrucken, man stellt sich also nochmal an und erfährt von einem neuen Burgfräulein, dass man das Ganze ja auch an ihre Rezeptionsmailadresse mailen könnte und dann würde sie das drucken. Unnötig zu erwähnen, dass man natürlich noch keinen W-LAN-Schlüssel (nein, für ein Team von 10 Personen reicht 1 Schlüssel für 1 Gerät für 1 Tag nicht aus) bekommen hat und sogar für die Email-Adresse muss man noch extra nachfragen.....
Nun denn, irgendwann hatte man dann entweder alles, was man braucht, oder sich mit der Lage arrangiert, man gewöhnt sich daran, mit den Hotelleuten so zu sprechen, als ob sie keine Narren- oder Raumschiffcommander-Verkleidung anhätten, man blendet das Entertainment überall irgendwann einfach aus, auch den künstlichen Holzfeuergeruch und den feuerspeienden Drachen auf dem Weg zum Essen ignoriert man irgendwann einfach, genau wie die MUSIK ÜBERALL (das fiel mir am schwersten).... und ja, irgendwie wünscht man sich in ein gesichtsloses Tagungshotel ;-).
Langer Rede, kurzer Sinn: Manchmal ist langweilig gar nicht so schlecht.
(Aber hey: ein spontanes "Grandios", das hatte ich bisher auch noch nie nach einer Präsentation. Da nehme ich auch Musik und Burgfräulein dazu.)
* Und nein, ich würde mich nie im Leben auf real existierende Parks und die dazu gehörenden Hotels beziehen ;-). Ich schildere hier einfach mal ganz frei und beispielhaft, wie so etwas laufen könnte. Wenn jemand so was machen würde. Heisst nicht, dass das jemand tut. Oder getan hätte. Oder ich da dabei gewesen wäre. Nur mal so zum Sagen.