Angsthase, Popelnase
Vielleicht bin ich gar nicht so cool und entspannt und extrovertiert und lustig, wie ich hier immer tue.
Heute zB ist einer meiner harmloseren Smalltalkversuche total in die Hose gegangen und das kam so:
Auf dem Weg zum Drucker habe ich gesehen, dass anscheinend die erste Welle Pflanzen ausgeliefert worden war. Und anstatt das einfach abzuhaken und mir in meinem Kopf zu überlegen, ob ich vielleicht doch eine haben wollen würde und jetzt doch eine bestellen könnte, jetzt wo ich weiss, wie die Hängetöpfe an den Cubicle-Wänden so aussehen, sagte ich zu der Pflanzenbesitzerin: "Hey, die Pflanzen sind ja da, die sieht ja echt schick aus."
Es folgte ein langer Sermon, dass das ja lang genug gedauert hätte und das sähe hier eh alle so langweilig aus, nur in weiss, und ich solle mir doch auch eine bestellen und hätte ich doch was gesagt, dass ich keine Zeit zum Präbestellbesichtigungstermin gehabt habe, sie hätte mir ja eine mitbestellen können und ob ich den Link noch hätte, und sie könne mir den schicken, aber sie wüsste nicht, ob man die noch anschauen könnte oder halt einfach bestellen, ihre wäre die Pflanze 4, nur für den Fall.
Und während ich schon langsam dachte, dass ich ja noch gar nicht sicher wüsste, ob ich wirklich eine Pflanze wollen würde und jetzt aber sicher eine bestellen müsste und zwar auf alle Fälle Pflanze 4, weil sonst könnte man ja meinen, ich wäre nicht ehrlich gewesen, als ich die Pflanze gelobt hätte, da kam die Pflanzenbesitzerin ganz nah an mich heran, starrte mir ins Gesicht und sagte (in der gleichen, für das gesamte Stockwerk und vermutlich auch eins nach oben und unten perfekt verständlichen Lautstärke): "Du, kleiner Tipp, von Frau zu Frau*, schau mal in den Spiegel und putz Dir die Nase. Am besten gleich hier, ich hab einen da."
Ich winkte dankend ab, wischte mir panisch über die Nase (das klang so dramatisch, als ob ich da einen Popel in Saubohnengrösse hängen hätte oder mir den Lippenstift bis auf den Nasenrücken geschmiert hätte oder aus Versehen ein Legomännchen in die Nase gesteckt hätte), mit keinem grossartigen Effekt und murmelte was wie "Ich wollte eh grad aufs Klo", wehrte zwei "Ne, komm, mach gleich hier" ab und flüchtete.
Im Damenwaschraum starrte ich panisch in meine Nase: nichts. Nasenhärchen, mit etwas Phantasie konnte man vielleicht ein minifuzziklanes Stückchen Popel kurz vor dem Kleinhirn erahnen, aber dafür musste man wirklich schon sehr genau schauen, während man gleichtzeitig mit einer kleinen LED-Lampe in die Nase reinleuchtete und das Nasenloch mit der anderen Hand auseinanderzog (ja, Sie wundern sich vielleicht, aber ich habe für den Notfall immer eine kleine Taschenlampe dabei). Lippenstift war an Ort und Stelle, nicht mal Hautschüppchen oder so was waren zu sehen.
Ich stand also eine Zeitlang vor dem Spiegel, unschlüssig, ob ich wieder rausgehen sollte (ich hatte keine Lust auf die musternden Blicke, noch weniger Lust, einen Umweg um den 3/4-Turm zu machen, um von der anderen Seite an mein Cubicle heranzuschleichen, unsicher, ob ich vielleicht irgendwas total ekliges oder ätzendes an meiner Nase übersehen hätte, und ging irgendwann in einer Art Übersprungshandlung erst mal aufs Klo.
Ich weiss ja nicht, wie das bei Ihnen so ist, ich hab es ganz gern, wenn ich allein in so einem Klo bin (also: nicht nur in der Kabine, sondern auch überhaupt.). Es ist nicht unmöglich für mich, mit anderen Leuten in Hörweite aufs Klo zu gehen, aber lieber habe ich es schon, wenn ich mir keine Gedanken machen muss, ob ich zu laut oder zu leise oder zu lang oder kurz oder zu irgendwas pinkle. Oder noch schlimmer.
Dementsprechend perplex war ich, als sich auf einmal die Tür zur Damentoilette öffnete und jemand "Frau Brüllen?" reinrief. Und dann wurde mir mitgeteilt, dass man mir den Link zu der Pflanzenbestellmöglichkeit jetzt geschickt hätte und "nicht vergessen, Pflanze 4. Und Achtung: User-ID eingeben, nicht Name, sonst gehts nicht."
Und das war der skurrilste Moment des heutigen Tages für mich: schwer nasenverunsichert und gezwungen, aus der Klokabine raus mich für einen Blumenbestelllink zu bedanken.
*Bei "von Frau zu Frau" wird mir immer schon ganz anders. Meist kommen dann ganz schlimme Dinge, die ich gar nicht wissen möchte, wie die dritte Brustwarze am Knie der Sekretärin des Nachbarabteilungschefs seinerzeit oder eine "bis zum Knie rausgefallene Gebärmutter" oder sonst irgendwas unerfreuliches. Meist kommen solche unerwünschten Vertraulichkeiten auch von Vertreterinnen meines Geschlechts, mit denen ich etwa soviel gemeinsam habe wie mit der Schnittmenge aus Kati Karrenbauer und Victoria Beckham.
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