Wie Sie ja sicher wissen, ist gleich, gleich eine 75%ige Sonnenfinsternis in Europa zu sehen. Das erinnert mich natürlich an 1999, wo ich die totale Sonnenfinsternis damals zusammen mit dem Hübschen (und ungefähr 500 Chemikern, Physikern, Maschinenbauern etc.) auf der Unicafeteriaterrasse in Garching fast gesehen hätte. Fast, weil es ja erst dunkel wurde, dann kalt, dann windig, dann…. wolkig, dann kurzer Regenguss, dann war die Sonne auch grösstenteils schon wieder da.
Wir hatten natürlich wie gefühlt alle die schicken SoFi-Brillen, es herrschte allgemeine SoFi-Begeisterung, alle haben begeistert darauf hingefiebert.
Heute: viele um mich herum scheinen gar nicht zu wissen, dass heute Sonnenfinsternis ist. In meiner Ecke vom Internet wechseln sich Bauanleitungen für Lochkameras und Expertenhinweise („Sonnenbrille reicht nicht, auch nicht zwei oder drei, nein, Rettungsfolie auch nicht“) mit panikverbreitenden Schreiben von Schulen und Kitas, wo Kinder in schon vorab abgedunkelten und abgeklebten Innenräumen bleiben MÜSSEN, damit sie „nicht bestrahlt“ werden. Und ein Teil der Antworten ist nicht das automatische „WTF?!“ oder Erklärungen, warum das Quatsch ist, nein, ein nicht zu unterschätzender Teil der Antworten ist „Lieber auf der sicheren Seite sein“ und „Man weiss ja nicht, better safe than sorry“
Und ich frage mich ernsthaft: was ist los mit der Menschheit? Haben wir jetzt wieder Angst vor der Apokalypse? Glauben wir ernsthaft, dass ein Stück Mond vor der Sonne die Strahlung der Sonne so verändert, dass sie ein zufällig aus dem Fenster schauendes Kind in einem blinden Zombie verwandelt? Was ist mit „Das ist ziemlich sicher unser aller letzte Chance so etwas zu sehen?“ Was ist mit der Chance, das Sonnensystem endlich mal mit mehr Anschauungsmaterial zu erleben als mit Medizin- und Tischtennisbällen? Was ist damit geworden, unsere Kinder zu mündigen, interessierten, neugierigen, mutigen Menschen zu erziehen anstatt zu Weltuntergangsjüngern hörigen Panikbolzen, die sich „better safe than sorry“ hinter zugezogenen Vorhängen verstecken, weil „man weiss ja nicht“ (man weiss schon! Sehr gut sogar!)? Seit wann ist "Meinung" so viel mehr wert als "Wissen"?
Heieieieiei, entweder hat sich meine Filterblase von 1999 bis jetzt massiv geändert und diese Weltuntergangsstrahlungshysteriker gab es damals schon (könnte sein: damals kinderlos rein unter Naturwissenschaftlern, heute: Kinder und deren Eltern, im realen wie virtuellen Leben) oder die Welt ist in den letzten 16 Jahren nicht unbedingt schlauer geworden.
Wie auch immer: aus irgendwelchen Gründen haben wir keine SoFi-Brillen, stattdessen habe ich gestern abend noch zwei Pringles-Dosen geleert (also: ausgeleert und so viel gegessen, dass die restlichen Chips in dicht verschliessbare Vorratsdosen passen) und nach
dieser Anleitung zwei Lochkameras für die Kinder gebaut. Nach der ganzen Hysterie, die mir in die Timeline gespült wurde, habe ich dann heute morgen noch kurz bei Q.s Lehrerin nachgefragt, wie denn da der Plan heute aussieht, und siehe da: gestern wurde das Ganze theoretisch schon abgehandelt und heute ab 10:00h gibt es praktische Astrononomie auf dem Schulhof. Mit einem Hauch „Salt & Vinegar“. (Wenn Sie auch noch basteln wollen: das dauert ohne Witz keine 5 Minuten. Ohne Chipsessen)
Update:
Ich möchte jetzt doch noch kurz loswerden, wie das heute in unserem Kindergarten und unserer Schule ablief:
Little L. hatte seine Chipskamera dabei und durfte in der Pause alle Kinder, die wollten, durchschauen lassen. Weil sie leider nicht soooooo gut funktionierte, haben sie eher später noch Quatsch damit gemacht. Im Kindergarten hatten sie vorher schon ein Modell gebaut und alles besprochen. Parallel zum Lochkameraschauen haben sie am Laptop den Livestream angeschaut und die Kindergärtnerin hat ihnen begeistert davon erzählt, wie sie das 1999 erlebt hat.
In der Schule wurde der Schwimmunterricht, der eigentlich genau in den SoFi-Zeitraum gefallen wäre, verkürzt, alle Kinder bekamen im Klassenzimmer SoFi-Brillen incl. der Anleitung, sie zum Trepperunterlaufen erst noch nicht aufzusetzen und dann wurde auf dem Schulhof gemeinsam geschaut. Die Lochkamera wurde natürlich auch getestet ("Mami, die riecht soooooooo lecker nach Paprika.")
Geht doch. (Der Hübsche hat auf dem Dach seines 10stöckigen Arbeitshauses fotografiert und meine Kollegen und ich haben immer mal wieder in den Spiegelungen in unseren grossen Glasbauten gelunst.)
Das hier kam beim Hübschen raus. Und mal ehrlich? Kann man vor so einer freundlichen Sonne Angst haben?
14 Kommentare:
Hachja, damals hatte ich meine erste erste Klasse und die lernten dann statt "I" schreiben, in der ersten Schulwoche, wie unser Sonnensystem funktioniert...etc. Für das grosse Ereignis durften alle nach Hause (war es mittags??) und ich fuhr an einen möglichst exponierten Hügel um es gut zu sehen. Heute bin ich allerdings nicht soo heiss drauf, aber Lochröhre kann ich ja noch basteln. :-) An die Brillenhysterie kann ich mich noch gut erinnern.
Hallo Frau Brüllen,
das selbe hier: Kindergarten 1: Wir lassen alle Rollos runter, gehen zwischen 09.00 und 12.00 Uhr nicht raus, sprechen das Phänomen NICHT an....
Kindergarten 2: Wir haben eine Brille dabei (Sohn wollte sie unbedingt mitnehmnen), Kindergartenleiterin: Joah, mal schauen, gute Idee, vielleicht gehen wir mit den Kindern raus....
Danke! Das ist der ERSTE (und ich meine wirklich ERSTE!!!) nicht hysterische Beitrag den ich bezüglich der Sonnenfinsternis lese.
In Schulen und Kitas wurde soviel Panik verbreitet, dass gestern mein Sohn weinte, weil er fürchtete, heute in der Kita zu erblinden.
Also da kann ich als Wissenschaftler auch nur weinen, wenn es Kitas schaffen Kinder so in Panik zu versetzen! Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wovor man Angst haben könnte, sodass man die Rollos runterlässt?! Wo sind all die aufgeklärten Menschen hin, die sich ihres eigenen Verstandes bedienen...
Ich bin heute morgen explodiert als ich im Kindergarten gelesen habe, dass heute alle Aktivitäten draußen ausfallen. Als ob die Kinder stundenlang in die Sonne starren. Die wollen doch eigentlich nur spielen. Oder man hatte Angst, dass sich die Kinder im Dunkeln auf'm Kindergartengelände verlaufen. Ich weiß es nicht.
Wie auch immer, die Lichtverhältnisse hier waren wie an einem bedeckten Tag, also von Dunkelheit keine Spur.
Das kann ich genau so unterschreiben!! Ich war schon sehr verwirrt ob der Hysterie in Sachen Sofi 2015.
Aber tasächloch, das große Kind, 5 Klasse, saß im verhangenen Klassenzimmer und zur Pause (Sonne, blauer Himmerl, bestes Tobewetter!!!!) durften sie die Klassen Räume nicht verlassen.
Ich fass es echt nicht!!! Das kleine Kind und ich verbrachten den Vormittag im Garten, mit Kamera, Schweißergläsermasken und fanden die ganze Sache echt klasse!!! Das Licht war so komisch, es wurde tatsächlich 5 Grad kälter... und dann man glaubt es akaum, war alles so wie immer, die Welt drehte sich einfach so weiter!!!
Liebe Grüße in die Realität ;o)
Vorherige Hysterie war bei uns vollkommen unnötig.
Hier war der Himmel so bewölkt, dass wir nicht mal wussten WO GENAU sich die Sonne gerade befindet. ;-)
Sonnenfinsternis schauen war da nicht drin. Es war einfach nur eine graue Suppe, die kurze Zeit etwas grauer und dunkler war und fertig.
Nichtmal Umrisse der Sonne war durch die Wolken zu sehen, weder vor noch nachdem der Mond im Weg war ;-)
LG KaTe
Da die Schulen/Lehrer meist nicht so gut weggekommen, mal die andere (na gut, meine) Sicht: In der gesamten Zeit hatte ich die Verantwortung für 29 Fünftklässler. Ich bin keine Naturwissenschaftlerin, aber erinnere mich gut an meine Fasziniertheit in 1999. Also hatte ich der Klasse spontan schon am Montag versprochen, zum Hauptgebäude zu gehen, wo der Physikkollege eine Projektionsapparatur aufbauen wollte (Fernglas -> weißes Blatt, Sonnensichel ca. 15cm groß). Erst in den Tagen danach kam die Panikmache in den Medien auf... auch einige meiner Schüler glaubten schließlich, sie werden "verstrahlt". Aber versprochen ist versprochen - und die Sichel war toll zu sehen, viele Klassen standen Schlange auf dem Schulhof.
Vermutlich war das Gefährlichste an der Aktion der Fußweg mit Überquerung der Bundesstraße, trotzdem war ich froh, als alle heil wieder im Klassenzimmer saßen. In der Musikstunde haben wir dann passende Lieder gehört ("Here comes the sun", "I see a bad moon rising" und "Cheap sunglasses" ;) )
Eine Kollegin wollte gerade mit ihrer Klasse loslaufen - als die Sekretärin hektisch zu ihr kam und vom Telefonat einer Mutter berichtete. Diese habe darauf bestanden, dass ihr Sohn im Klassenzimmer bleibe, auch in der großen Pause. Das Erlebnis hatte sich damit für diese Klasse (und die Kollegin) erledigt...
Ich bin gespannt, ob ich noch nachträglich Beschwerden bekommen werde. Den Kindern hat es jedenfalls gefallen.
@anne: danke für den Einblick von der "anderen" Seite. An der Stelle der Kollegin hätte ich vermutlich der Mutter ausrichten lassen, dass sie ihren Sohn sehr erne abholen und in den eigenen Keller sperren kann... aber ich bin ja keine Lehrerin ;-). Ich finde, Eure Aktion klingt grossartig. (Vermutlich wird sich überhaupt gar niemand beschweren)
Irre.
Gerade heute Abend von Freunden gehört, dass an der leicht elitären Schule kürzlich ein Verbot zum Essen außerhalb der Pausenzeiten und der Klassenräume erteilt wurde. Grund: Ein Kind hat sich verschluckt. Kein Witz! Und nein, das Kind hatte keinen ernsthaften Schaden gekommen. Aber Essen auf dem Hof ist nicht mehr gestattet.
An einem Gymnasium hat eine Mutter mittels Nachweis aus Gesetzestexten erwirkt, dass die schulinterne Regel, beim Verpassen einer Klausur in der Sekundarstufe 2 wegen Krankheit ein ärztliches Attest vom gleichen Tag vorzulegen, gekippt wurde.
Verbohrtheiten und Übertreibungen allerorten.
Der Biologielehrer von Sohn 1 hat sich heute über die Panikmache belustigt. Alle Schüler wechselten sich mit vorhandenen Brillen ab und schauten. Es handelt sich um ein naturwissenschaftliches Gymnasium. Aber auch am Regelgymnasium von Sohn 2 durfte geschaut werden.
Und wir Eltern haben es wie 1999 gemacht - ein doppelt gelegtes Stück Rettungsdecke bot ein sehr gutes Bild.
Aber ich gebe zu, dass ich irritiert war. 1999 war ich im Urlaub am Strand. Mein Onkel kam mit einer Rettungsdecke und teilte jedem ein Stück zu. Keinerlei Bedenken. Vergangene Woche hingegen überall Warnungen. Es fiel mir zuweilen schwer, das ob der Massivität sinnvoll einzuordnen. Auch deshalb: Danke für den heutigen Beitrag.
Viele Grüße,
Geertje
Oh Shit, jetzt ist mein langer Kommentar weg :-(
Ich erinnere mich gut an 1999, an den Hype vorher mit den Brillen (weshalb ich meine auf jeden Fall aufheben wollte - irgendwo ist sie auch noch ...) und daran, wie ich mit den Kollegen mittags auf dem Balkon stand und die Sonnenfinsternis beobachtete. Beeindruckend.
Diesmal habe ich es erst spät mitbekommen, dass überhaupt eine SoFi stattfindet, hier sollten es immerhin fast 83% sein. Gestern früh war strahlend blauer Himmel, aber um 10:40 als ich mit den Kollegen in der 4. Etage auf einem Süd-Balkon zum Himmel guckte, hatten wir 100% Bewölkung und nichts war mit SoFi. :-(
Was in einigen Schulen abging, entsetzt mich. Ich frage mich ernsthaft, warum man den Kindern so ein einmaliges Erlebnis vorenthält. Was Anne schreibt, finde ich sehr, sehr traurig - schön, dass wenigstens einige Kinder die Sonnenfinsternis genießen konnten.
In Wolfsburg (glaub ich) waren über 1000 begeisterte Schüler im Planetarium, wo sie in den Himmel gucken durften und die passenden Erklärungen bekamen. So geht es also zum Glück auch.
@geertje: dann hoffe ich, dass Ihren Augen nichts passiert ist. Weder CDs noch Rettungsdecken sind wirklich geeignet als Schutz für die Augen beim Voll-Reinschauen, gaukeln einem das aber vor durch die Verdunkelung. Die Hysterie, dass jemand aus Versehen blind werden könnte, ist da wieder was ganz anderes: wir werden ja auch sonst an einem sonnigen Tag nicht blind, wenn unsere Augen die Sonne streifen, und mehr ging ja gestern (für Leute, die halbwegs irgendwie vernünftig sind) ungeschützt auch nicht.
oje, ich ärgere mich heute noch über diese Panikmache!
Meine Schulkinder durften den ganzen Schultag nicht auf den Pausenhof und im Kindergarten wurden ALLE Fenster mit Papier zugeklebt, damit auch ja kein Kind einen zufälligen Blick nach draußen wirft.
Selbstverständlich durfte den ganzen Tag auch nur im Haus gespielt werden, dabei war es hier im Norden so bewölkt, das man die Sonne nicht mal erahnen konnte.
Fürchterlich, hätte ich das vorher gewusst, hätte ich alle Kinder krank gemeldet, naiv wie ich war, bin ich davon ausgegangen, das die Einrichtungen darauf vorbereitet waren mit Brillen o.ä.
Nachtrag:
Bei Frau Bergs Kommentar im Spiegel musste ich an die abstrusen SoFi-Verdunkelungen denken.
"Eine neue Krankheit legt weite Teile der Bevölkerung lahm: die Angst vor Reaktionen. Alle könnten irgendwie reagieren. Wie furchtbar. Am besten, man entscheidet gar nichts mehr."
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-homo-ehe-und-die-angst-vor-reaktionen-a-1035999.html
Eine Elternbeschwerde habe ich übrigens nicht bekommen, auf der Schulhomepage wurde sehr nett über die Aktion der Physikkollegen berichtet.
Liebe Grüße
Anne
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