Ich Du Er Sie Es. Und bayerische Klosterschwestern
Als meine nächstjüngere Schwester (btw: Alles Liebe zum Geburtstag!) in der ersten oder zweiten Klasse war, hatten sie da mal eine oder zwei Nonnen zu Besuch, die an einer Abendverstaltung über irgendwas Spannendes aus ihrem Klosterschwesterleben erzählt haben. Ich weiss nicht mehr genau, worum es ging, im Zweifelsfall um die armen hungrigen Kinder in Afrika (das und die verschieden Sammlungen, um deren Hunger zu lindern, und die verschiedenen Vergehen, bei denen die Strafpredigt so sicher wie das Amen in der Kirche denSatz "Und in Afrika verhungern Kinder" enthielt und eben überhaupt Klosterschwestern und katholisches Kirchenleben -Beichten während der Schulzeit zB.- das war alles allgegenwärtig während unserer Grundschulzeit auf dem bayerischen Dorf), was mir aber im Gedächtnis blieb (es waren nämlich die ganzen Familien der Erst- oder Zweitklässler zu dem Nonnenevent am Abend eingeladen), war die Sprachregelung der Nonnen. Sie duzten ihr Publikum, was ja per se nicht schlimm ist, nicht mal ich sieze Erst- oder Zweitklässler, aber das gesamte Publikum (und es waren viele da. Weitgereiste Nonnen waren damals auf dem bayerischen Dorf ein Garant für aus den Nähten platzende Pfarrsäle) wurde nicht mir "ihr", sondern eben mit "du" angesprochen. "Die armen hungrigen Kinder in Afrika, die haben nicht einfach so einen Wasserhahn daheim wie Du" zB.
Ich fand das total komisch und war mir nicht sicher, ob die weitgereisten Nonnen vielleicht ihren Vortrag nur für ein spezielles Kind im Publikum hielten und die anderen eigentlich gar nicht da sein sollten (oder vielleicht kein fliessendes Wasser daheim hatten), aber meine Mutter, ihres Zeichens Grundschullehrerin und deswegen hatte ich damals das Gefühl, sie müsse das wissen, meinte: "Weisst Du, die Zweitklässler, die sind noch klein, die würden wahrscheinlich gar nicht verstehen, wenn die Nonne "ihr" sagen würde, deswegen sagt sie "du" und so hat jeder Zweitklässler das Gefühl, dass er angesprochen ist.".
Heute wage ich das zu bezweifeln und habe das lange für eine sehr seltsame Eigenart der weitgereisten Nonnen gehalten, was ja kein Problem für mich ist, weil weitgereiste Nonnen, mit denen habe ich kaum zu tun, aber diese Art zu sprechen, oder vielmehr und noch irritierender, diese Art zu schreiben begegnet mir in letzter Zeit immer wieder in "meiner Ecke vom Internet", bzw. v.a. in den, ich nenne sie mal, rohveganen Waldorfblogs, die ich mit interessierter, aber verständnisloser Irritation zum Teil ganz gerne lese (know your enemy ;-)). Und ich muss sagen, wenn ich da regelmässig am Ende der Posts lese "Und, wie machst Du das? Kennst Du das auch? Wie richtest Du Deine Chakren nach der Mondgöttin aus?", da fühle ich mich wieder ein bisschen wie damals, als meine kleine Schwester in der, sagen wir jetzt, zweiten Klasse war und ich die weitgereiste Klosterfrau so komisch fand. Und ich frage mich, ob diese Blogger jetzt denken, dass ihre Leser sich nicht genug angesprochen fühlen, wenn da stehen würde "Wie richtet Ihr Eure Chakren aus?" (und somit davon ausgehen, dass das geistige Niveau ihrer Leser ungefähr dem eines Zweitklässlers entspricht, wenn man da der Nonneneinschätzung trauen darf, was ich selbstverständlicherweise nicht tue) oder ob sie denken, dass ihr Blog wirklich nur eine einzige Person liest, oder ob sie ihre Leser auf diese für mich so ganz schreckliche Art ganz persönlich ansprechen wollen.
Aber vielleicht finde ja nur ich das komisch und Du nicht ;-).
17 Kommentare:
Liebste Frau Brüllen, SIE Schlingel. Ich hab jetzt tatsächlich meine Posts durchgelesen um zu schauen, ob SIE mich meinen :) Aber dem ist nicht so. Ich bin es nicht...
Dazu habe ich eine Theorie: Das mag schlicht eine Fehlübersetzung des engischen "you" sein, das ja ihr und du heißen kann. Ich komme drauf, weil ich dieses falsche Du von Aerobic-Vorturnerinnen kenne: "Nimm beide Gewichte in die rechte Hand ..." Und da Aerobics aus USA kommt, wurde es auf Englisch erfunden (so mein Erklärungsgang), und die erste Amerikaner, die das ins Deutsche übertrugen, haben sich halt vertan.
(Oder Aerobictrainerinnen sind in Wirklichkeit alles Ex-Nonnen. Die Erklärung mag ich eigentlich lieber.)
@kaltmamsell: stimmt, beim sporteln ist es auch so. (ja, die ganzen zumba-chicas: alles exnonnen);-)
am ersten schultag von ef hat die lehrerin genau so zur klasse gesprochen und mich hats jedes mal gerissen, weil ich das so "verkehrt" fand. aber da sie eine sehr juneg lehrerin war/ist, bin ich davon ausgegangen, dass das eben die neueste pädagogische masche ist. ich hab nicht nachgefragt und es fiel mir auch nie wieder auf, also hat sie es wohl nicht lange beibehalten.
also mich befremdet es eindeutig. auf blogs habe ich es aber noch nie gelesen (wo ist diese eso-ecke?). ich denke, diese schreiber verwenden es ganz bewusst in der (falschen) annahme, dass sich der leser so direkt angesprochen eher zu wort meldet (und daraus entspinnt sich dann wiederum ein friedlicher dialog auf augenhöhe ;)).
(da gibts ja diesen tipp, wenn man hilfe benötigt/organisiert, nicht allgemein "hilft mir bitte jemand?" o.ä. zu sagen, sondern "du rufst die rettung..." etc.)
... sie retten meinen Tag mit den "rohveganen Waldorfblogs"- hab sehr gelacht.... danke!
sabine
Ich bin Lehrerin und habe Kolleginnen die dasgenauso handhaben. Ich vermute mal, damit sich jedes Kind angesprochen fühlt?!
Ich kenne das aus verschiedenen Bildungsurlauben.
Zu Anfang fand ich das auch sehr befremdlich. Nach ein paar Tagen hatte ich mich aber daran gewöhnt und habe den "Trick" durchschaut, dass man sich nämlich immer sehr persönlich angesprochen fühlt. Mir hat das gut gefallen. Ich weiß aber nicht ob das in anderen Zusammenhängen auch so wäre.
Und ja, mir hat der Ausdruck rohveganer Waldorfblog auch den Morgen erhellt.
ich finde das auch sehr befremdlich. ich krieg davon genauso pickel wie von den ganzen in aus angeblicher sicht des kindes geschriebenen babyblogs ("meine mama und mein papa sagen, ich sei ein schöner schlingel" schreibt manches 8monatige baby… uahhh) und jeglichem geschreibsel auf schwyzerdüütsch. und babyblogs aus kindersicht in schwyzerdüütsch… das ist folter. wirklich.
als (eingekaufte) schweizerin mag ich hingegen gut geschriebene texte, die mit schweizerdeutschen ausdrücken gespickt sind, sehr gerne. so ähnlich wie das frau rage jeweils gemacht hat. (übrigens, was macht denn frau rage?!)
Ha, ich kenne so einen Blog, vielleicht sogar den selben wie DU ... ;-)
Das ist genau so eine Unart, wie im Drogeriemarkt die Damen, die dann "Du, Frau Müller, Regal 1 muss noch eingeräumt werden" rufen ... Also ob der Kunde nicht hören darf, dass Frau Müller tatsächlich auch einen Vornamen hat und als ob der Kunde zu doof ist, zum merken, dass Frau Müller mit Frau Meier in Wirklichkeit per Du ist ...
Danke den "rohveganen Waldorfblogs" liege ich jetzt unter meinem Bürotisch vor Lachen! :D
Die "rohveganen Waldorfblogs" haben es auch mir - als bekennender fleischfressender Pflanze - angetan. Super ;-)
Die Grundschulleiterin meines jüngsten Sohne redete die ganze Klasse mit einem einfachen "du" an und ich als begleitende Mutti an einem Tag fragte mich die ganze Zeit, warum sie nur ein Kind anspricht. Sie war die einzige Lehrerin an der Grundschule die so sprach, ich finde es sehr merkwürdig. Vielleicht war sie früher mal Nonne. ;o)
soo gemein! :)
Genauso seltsam finde ich auch die Mütter, die von ihren Kindern in der wir-Form sprechen, also z.B. "Wir sind ja erst 14 Monate alt" oder "Wir hatten nach der letzten Impfung auch Fieber." Nur weil das Baby in meinem Bauch gewachsen ist, muss ich mich doch nicht jahrelang als Mutter-Baby-Doppelmensch fühlen, oder? (Aber ich bin ja auch Rabenmutter und gehe gerne arbeiten...)
Genauso seltsam finde ich auch die Mütter, die von ihren Kindern in der wir-Form sprechen, also z.B. "Wir sind ja erst 14 Monate alt" oder "Wir hatten nach der letzten Impfung auch Fieber." Nur weil das Baby in meinem Bauch gewachsen ist, muss ich mich doch nicht jahrelang als Mutter-Baby-Doppelmensch fühlen, oder? (Aber ich bin ja auch Rabenmutter und gehe gerne arbeiten...)
*lach* - als ich im Frühling mein verpflichtendes Praktikum an der Grundschule gemacht habe, sprachen alle Lehrerinnen die Schüler auch ausschließlich mit "du" an. In der ersten Zeit hat mich das völlig irritiert, zumal dabei ja auch meist nur ein oder zwei Kinder angeschaut werden. Ich glaube, in Grundschulen steckt eine wie auch immer begründete didaktische Überlegung dahinter, die leider noch nicht bis zu den Lehrern der weiterführenden Schulen durchgedrungen ist (sonst wüsste ich vielleicht, warum das so ist)
Nonnen sind da phänomenal im Einverleiben anderer.
Der Versuch, Intimität herzustellen, wo keine ist, klingt immer verzweifelt nach "Hört mich da draußen einer?"
Es wird keiner antworten, wenn die Banalitätsgrenze schon lange überschritten ist.
Außer, der Beitrag ist witzig, was auch vorkommt.
Im Fitnessstudio werde ich geduzt, ist da Geschäftsprinzip.
Ich sieze zurück, ist mein Geschäftsprinzip.
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