Donnerstag, April 13, 2023

130423 Nähkästchen

 Heute habe ich mit zwei Kollegen eine Anfrage von einem Ministerium aus einem Land weit, weit weg bearbeitet, die sich (wie alle) Sorgen um Versorgungssicherheit mit einem unserer Medikamente machen. Jemand dort hatte sich etwas zusammengegoogelt und daraus dann einen Fragenkatalog erstellt. Es war einerseits ein bisschen lustig, weil, naja, es war halt gegoogelt und nicht wirklich korrekt, aber die Fragen, die sich daraus ergaben, waren schon logisch, nur konnten wir sie nicht alle beantworten, weil sie halt auf nicht korrekten Annahmen beruhten. Ich meine, wenn jemand schreibt: "Wir haben recherchiert und Aspirin wird aus Weidenrinde hergestellt, wie viel Weiden habt ihr und wie lange reicht das?", tja, da würde Bayer auch nicht antworten: "Keine." (Also: denke ich jetzt mal.)

Im Moment kommen recht viele Anfragen von extern, von Gesundheitsbehörden, Regierungen, NGOs, WHO, Medien etc.

Alles mit Medien wird bei uns vom Communications Department geregelt, natürlich mit Input von Seiten der SMEs. Gesundheitsbehörden und NGOs werden meist direkt von uns versorgt, da reden meistens NaturwissenschaftlerInnen unter sich, das ist einfach. Nachdem diese Frage zwar von einem Ministerium kam, aber mit der explizit erwähnten Möglichkeit, dass die von uns zur Verfügung gestellten Informationen auch Thema einer öffentlichen Parlamentsdebatte sein könnten, habe ich dann doch unsere Communicationsleute eingeschaltet. Die sahen das aber nicht so kritisch (oder aber unsere Antwort, die wir da heute entworfen haben, ist auch für Laien eindeutig und verständlich), also schicken wir das nun selber so raus.

Ich schätze die Arbeit unser Communicationsleute sehr (wenn sie denn aktzeptieren, dass der Content von uns kommen muss :-)), es ist nämlich echt eine Kunst, die Nachricht adressatengerecht zu verpacken.

Das für mich lehrreichste Beispiel, wie man ein Non-Issue nämlich mit zu viel Information, die der Adressat nicht versteht, zu einem Drama aufblasen kann, ist vor ein paar Jahren passiert:

Wir bekamen von einem Krankenhausapotheker einen Complaint via Hotline, in dem er erklärte, mit einem unserer Produkte wäre was nicht in Ordnung, er hätte nämlich den Kapselinhalt "wie immer" in Wasser aufgelöst und dem Patienten zu trinken gegeben und diesmal wäre das keine farblose Lösung gewesen, sondern sie hätten einen Rosa-Stich gehabt.

Die einfachste, absolut korrekte (und im Nachhinein beste) Antwort wäre gewesen:

"Danke für den Hinweis. Bitte beachten Sie, dass das Produkt gemäss Beipackzettel angewendet werden muss" Dort steht nämlich: "Kapsel mit etwas Flüssigkeit einnehmen", nicht: "Inhalt in Wasser auflösen". Man hätte noch hinzufügen können, dass man zur Sicherheit alle Batchrecords und Freigaberesultate für genau diesen Batch überprüft hat und alles in Ordnung war.

Was aber passiert ist, war folgendes: Der Complaint landet bei der Herstellersite, in diesem Fall also die Site, die die Kapseln herstellt, also aus dem Wirkstoff und Hilfsstoffen den Kapselinhalt herstellt und dann in Leerkapseln füllt. Dort wurde überprüft: alle eingesetzten Materialen waren innerhalb der Spezifikation, zur Sicherheit wurde eine Anfrage an die Wirkstoffherstellersite gestellt, ob sie was zu der Charge an Wirkstoff sagen können.

Auf der Wirkstoffherstellersite war man sehr guter Dinge, man hatte nämlich gerade ein Riesenprojekt beendet, das sich mit unerwarteten rosa Verfärbungen des Wirkstoffs befasste und in einer riesengrossen Root Cause Analyse der Sache auf den Grund gegangen war und zu Recht stolz darauf, dass dieses Thema geklärt und im Griff ist.

Es war nämlich folgendermassen:

Die rosa Farbe konnte identifiziert werden als Spuren im ppb-Bereich eines harmlosen, ungiftigen Komplexes des Wirkstoffmoleküls mit Eisen. An sich kein Problem, weil weder Eisen (v.a. in diesen Mengen) noch der Komplex irgendeinen Einfluss auf Reinheit, Wirksamkeit oder Sicherheit des Wirkstoffs  haben, wenn .... ja, wenn er halt nicht rosa gewesen wäre. Nicht mal die Farbei wäre ein Problem gewesen, wenn wir nur Kapseln oder Lacktabletten für dieses Produkt auf dem Markt gehabt hätten, weil weder in Kapseln (ich glaube, die sind hellblau) noch in Lacktabletten (ich glaube, lila) sieht man, welche Farbe der Inhalt hat. Es gibt aber noch zwei weitere Formulierungen, nämlich einmal Oralsuspension, d.h. ein Pulver in einer Flasche, das mit Wasser zu einem Sirup aufgeschüttelt wird, und eine intravenöse Formulierung, wo der lyophilisierte Inhalt eines Vials gelöst und in einen Infusionsbeutel gegeben wird. Für diese Formulierungen möchte man natürlich keine schwankenden Farben haben, deshalb wurde in die Wirkstoffspezifikation die Farbe "weiss" (und das natürlich mit den entsprechenden Referenzen im Munsell Book of Colours) mit aufgenommen, also: rosa geht nicht.

Man ging also auf die Suche nach der Quelle der Eisenspuren und das war überhaupt nicht einfach, wenn man nicht weiss, wonach man sucht und es halt wirklich nur extrem kleine Mengen sind.

Man wurde aber fündig und zwar in der Salzsäure, die in kleinen Mengen in der Wirkstoffsynthese eingesetzt wird. Diese Salzsäure war zwar Pharmagrad, Eisengehalt spezifiziert gemäss Ph Eur / USP etc, aber sobald die Salzsäure von einem Lieferanten kam, der sie in Schwarzstahltanks lagerte, war der Eisengehalt zwar immer noch im Rahmen der Spezifikation, reichte aber aus, um mit dem Wirkstoff genug des rosa gefärbten Komplexes zu bilden, dass die Farbspezifikation "weiss" nicht mehr erfüllt wurde.

Es wurde also eine Spezifikation für Salzsäure für die Herstellung dieses Wirkstoffs festgelegt mit einem viel, viel, viel niedrigeren maximal erlaubten Eisengehalt (das bedeutete auch: sie musste beim Hersteller in Extragebinden gelagert werden, nirgends durfte auch nur ein Hauch Eisen ins Spiel kommen) und so war es gelungen, die Rosafärbung zu verhindern.

Nun stellte sich aber heraus, dass sich ganz ohne Eisen / Rosafärbung die gelbliche Farbe eines (bekannten, spezifizierten) Synthesenebenprodukts in der Wirkstofffarbe niederschlägt, so dass es nun zwar nicht mehr hellrosa war, sondern hellgelb. Man schraubte also an der Eisenspezifikation der Salzsäure, um genug rosa (ich glaube, es war eher fliederfarben) hinzubekommen, damit das gelb damit maskiert würde und alles in allem wieder weiss wäre.

Das hat ziemlich gut geklappt und um auf jeden Fall auf der sicheren Seite zu sein, hat man die Spezifikation für den Wirkstoff getrennt in: "Wirkstoff für Kapseln und Tabletten" (weiss mit gelben oder rosa Untertönen" und "Wirkstoff iV" (reinweiss, ausserdem steril) und "Wirkstoff für Sirup" (reinweiss).

Sie sehen also, was in dem Krankenhaus passiert ist: der Apotheker hat eine Kapsel aufgemacht, dort war, total korrekt, Wirkstoff mit rosa Untertönen drin, aufgelöst sah das rosaner aus als sonst. Kein Problem, keine Gefahr, aber falsche Anwendung.

Was unsere Kollegen in der Produktionssite nun gemacht haben, war folgendes: sie haben die gesamte Investigation in einem dreissigseitigen Memo zusammengefasst und den Leuten von der Complaintbehandlung geschickt. Die haben dieses 30seitige Memo in die Antwort an den Apotheker kopiert, zusammen mit dem Hinweis, dass gemäss Beipackzettel die Kapseln zubleiben müssen.

Woran der Apotheker beim Überfliegen des Memos hängenblieb, war: "Salzsäure", "Schwarzstahltanks", "Eisen". 

Was er rauslas: tja, in den Kapseln, die du bekommen hast, ist nicht nur Salzsäure, sondern auch Eisensplitter und zwar kein Chirurgenstahl, sondern richtig dreckiger Eisenbahnschienenstahl, aber hey, alles tutti einfach nächstes Mal Kapsel zulassen, dann ist alles gut.

Die Reaktion war ..... naja, wie Sie und ich auch reagieren würden, wenn uns jemand gesagt hätte, dass wir schwerkranken Patienten Salzsäure und dreckige Eisenspäne verabreicht hätten und uns bitte nicht so anstellen sollten.

Ich kann auf der anderen Seite die Kollegen von der Produktionssite so gut verstehen, weil das war eine wirklich grossartige Investigation, da steckte so viel Herzblut und Wissen und Arbeit drin, da ist man zu recht stolz drauf und freut sich, wenn man das nicht nur für die Schublade oder vllt irgendwann mal einen Inspektor gemacht hat. Tja.


Also: ich hoffe mal, dass das mit dem Parlament / Ministerium besser läuft, wenn nicht, werden Sie es wohl in den Nachrichten hören.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Herrlich. Vielen Dank. Ich habe Ihre Ausführungen sehr genossen. Einfache Antworten sind nicht so leicht. Viele „rosa“ Grüße, Sandra

Sarah hat gesagt…

Wirklich sehr spannende Geschichte, danke dafür!

Neeva hat gesagt…

Wenn man drinsteckt, ist es bestimmt weniger unterhaltsam (auch für den Apotheker), aber es ist eine wunderbare Geschichte. :-)
Das Phänomen gibt es auch in meiner Branche, aber bei Büchern reagieren die Leute nicht ganz so emotional.

Herr Rau hat gesagt…

Äußerst interessant, die Nähkästchengeschichte, vielen Dank!

Anonym hat gesagt…

Danke für diesen Einblick, sehr interessant, und unvorstellbar, wieviel Futzelarbeit hinter einem grad mal schnell geschluckten Medikament steckt. Danke für Ihre Arbeit!
Christiane

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für diesen tollen Einblick -- gern mehr davon, falls es sich ohne Pflichtverletzung einrichten lässt. Und ja, ich fühle mit den Leuten, die dem Rätsel des Rosatons auf den Grund gegangen waren und dann voller Begeisterung dieses neue Wissen teilen wollten ...

kaltmamsell hat gesagt…

HAHAHA! Herzlichen Dank! Das leite ich als Beispiel mal beruflich weiter.
(Komisch: Immer wenn ich meinem Pressesprecherchef eine Antwort-Mail auf eine seltsame Medienanfrage vorformuliere, streicht er zwei Drittel beim Antworten weg.)