Dienstag, März 04, 2014

Blingbling

Ich habe mir letztens bei Limango für mich ganz ungewohnte Ohrringe geleistet. Im Alltag bin ich nämlich eigentlich der „Ich trage kleine Kreolen, die stören nicht, aber ohne fühle ich mich nackig“-Typ. Trotzdem oder deswegen haben mich die Blätterohrringe von HD-Berlin einfach fasziniert. Anscheinend werden dafür echte Blätter eben versilbert, vergoldet oder verplatint. Somit entstehen Unikate, die eben die ganz feine Blattaderstruktur aufweisen. Ich habe nun also passende Ohrringe und Kette in Blattform aus, tadaaaaaaaa, Platin. Ich mag sie sehr, allerdings musste ich beim Ansehen und Tragen die ganze Zeit an das quantitative Anorganik-Praktikum denken. Da kam ich nämlich zum ersten Mal in Kontakt mit Platin (also: hätte ich kommen können, ich hatte andere Sachen zu trennen). (Kleiner Exkurs: im Chemiestudium gibt (gab es damals zumindest) jede Menge Praktika, das erste ist/war das qualitative anorganische Praktikum, auch Ionenlotto genannt, wo man in immer wilderen Mischungen verschiedene Elemente nebeneinander nachweisen muss. Wer wirklich interessiert ist, google H2S-Trennungsgang. Dabei kommt es nur darauf an, rauszufinden, was in der Mischung ist, nicht, wieviel davon. Dann kam das quantitative anorganische Praktikum, da lernt man mit verschiedenen Techniken rauszufinden, wieviel von einem Element in einem Pulver, einer Lösung, einer Mischung ist. Eine dieser Möglichkeiten ist eben die Elektrolyse, wo man zB Kupfer oder Silber bestimmen kann. Dazu braucht man eine Platinelektrode in Form eines Netzes, an dem dann eben das in der Mischung als Ion vorliegende Kupfer elementar abgeschieden wird. Wieviel drin war, kann man dann einfach ermitteln, indem man das Platinnetz vorher und dann nachher wiegt und wenn man richtig gewogen hat und auch sonst alles richtig gemacht hat und der Mond im richtigen Aszendenten stand etc., dann ist die Differenz das, was man hätte bestimmen sollen.)
Diese Platinnetze also wurden von den Praktikumsassistenten ausgegeben und mussten nach der bestandenen Analyse sauber wieder zurückgegeben werden. Das war natürlich immer so eine Sache, weil: Platin ist teuer, d.h. die Assistenzen mussten wie die Haftlmacher dahinter sein, dass nichts davon wegkam (ich glaube nach wie vor nicht, dass es einen Rohstoffschwarzmarkt gibt, wo man als Chemiestudent mit einem abgeknippsten Stück Platinnetz reich wird, aber sei‘s drum.) Als wurde für diese Netze so eine Art Übergabeprotokoll ausgefüllt, wo das Netz zum Ausgabezeitpunkt und zum Abgabezeitpunkt gewogen wurde. Wenn es beim Abgeben dann leichter war als vorher, war es natürlich blöd, wenn es schwerer war, übrigens auch, weil dann hatte man das Kupfder oder Silber nicht wieder ordentlich saubergemacht und SACHEN SCHMUTZIG ZURÜCKGEBEN, das war ja eine Todsünde.
Wie gesagt, ich musste das nie machen (übrigens habe ich auch nie Stickstoff nach Kjeldahl oder Wasser nach Karl Fischer bestimmt, aber das nur am Rande. Ich bin trotzdem eine echte und richtige Chemikerin, glaube ich), ich weiss nur vom Hörensagen, dass das ein Riesengewürge war.
Später, während der Doktorarbeit dann war ich auch selbst Praktikumsassistentin, aber das soll hier nicht Thema sein (ich habe ganz viele Lebensmitteltechnologen und Bierbrauer davon abgehalten, sich leichtfertig mit Zyankali umzubringen), ich war ausserdem Edelmetallwart. In unserem Arbeitskreis haben wir uns nämlich mit Metallkomplexen befasst, das sind Moleküle, die in der Mitte ein Metallatom haben und dann ganz abenteuerliche andere Moleküle drumrum, die heissen dann Liganden. Die Metallatome in der Mitte waren in unserem Fall immer Edelmetalle und die sind natürlich teuer. Und weil Unis anscheinend notorisch knapp dran sind, haben wir die meisten dieser Ausgangsverbindungen als Spenden von Industrieunternehmen bekommen. Der Edelmetallwart hatte dann eben die Aufgabe, den Bedarf einzuschätzen und diese Spenden einzutreiben zu erbitten. Die Verbindungen kamen dann entweder in kleinen Fläschchen (0.1g für Rodium- und Iridiumverbindungen*, für die relativ billigen Palladium- oder Rutheniumverbinidungen gab e grosse Flaschen mit bis zu 25g drin) oder sogar abgeschmolzenen Ampullen, wie das hochgiftige und flüchtige Osmiumtetroxid. Und weil diese Verbindungen eben so teuer waren (habe ich erwähnt, oder?), wurden sie in einem Tresor im Sekretariat (unter dem Schreibtisch der Sekretärin) aufbewahrt. Zu dem hatte die Sekretärin einen Schlüssel, weil es waren auch Prüfungszeugnisse drin und Bargeld für, keine Ahnung wofür, und eben ich als Edelmetallwart. Wenn also Doktorandenkollegen Ausgangsmaterialien brauchten, kamen sie zu mir, wir sind mit dem Schlüssel ins Sekretariat gegangen, ich bin unter den Tisch der Sekretäring gegkrabbelt, habe den Tresor aufgeschlossen und zwischen Bargeld und Zeugnissen das richtige rausgekramt. (Auch hier: den Schwarzmarkt, wo ich für ein Fläschchen 0.1g Rodium(III)chlorid-Hydrat echtes Geld bekommen würde, den möchte ich erst mal sehen!)
Die Platinnetze für die Praktika wurden übrigens auch dort aufbewahrt
Wenn irgendwas knapp wurde, durfte ich den Edelmetallkatalog von zB der Degussa (mei, damals!) rausnehmen und neue Spenden erbitten. Das erste Mal sind mir da dann die Gäule ein bisschen drugegangen und ich habe irre viel angefragt, manches auch nur, weil ich den Namen so toll und spektakulär fand, das haben wir dann leider nicht alles bekommen.... Am liebsten waren mir die Ampullen mit Osmiumtetroxid, das sieht wunderschön aus. Dass es hochgiftig ist, macht natürlich auch einen gewissen Reiz aus. Gebraucht hat das zu meiner Zeit übrigens niemand, aber in der Hand hielt ich sie gerne, so unter dem Tisch bei der Sekretärin.

Nun ja, tempora mutantur und jetzt habe ich hübsche Platinnetze in den Ohren hängen und unterschreibe regelmässig Edelmetallrecyclingbögen, wenn wir multi-kg-weise „verbrauchten“ Katalysator zur Wiederaufbereitung schicken. AUF meinem eigenen Schreibtisch und ganz ohne Safeschlüssel.

*Das war übrigens eine meiner Hauptaufgaben in dem Industriepraktikum, das ich bei einer ehemals grossen deutschen Chemie- und Pharmafirma gemacht habe, die es auch schon nicht mehr gibt: ich habe einen 35L-Plastiksack voller 0.1g-Fläschchen Rh(III)Cl3-Hydrat hingestellt bekommen und musste so viele davon öffnen (aufschrauben, Siegel abreissen, ausleeren), bis im Kolben 12.3g Pulver waren. Ich bin auch heute noch fest davon überzeugt, dass es das bestimmt auch in grösseren Portionen gegeben hätte.... aber die Firma wird nicht nur an dieser speziellen Ineffizienz zugrunde gegangen sein.




PS und OT: morgen ist wieder WMDEDGT? aka Tagebuchbloggen im März!

2 Kommentare:

huntjeblöm hat gesagt…

Vielen Dank für Frau Brüllen an die Erinnerung an eine Zeit in der ein Chemiestudium für mich Stelle 1 der persönlichen Ziele stand, nach 2 Semstern Chemie (aber mit Praktika in Anorganischer Chemie, sowohl Quali als auch Quanti) habe ich dann doch die Verfahrenstechnik aus dem Blickwinkel des Maschinenbaus vorgezogen.
Ich bin aber doch erstaunt, wie viele Wörter ich noch so kenne.
Noch mal vielen Dank!

Herzlicher Gruß,
Britta Studen

Anci hat gesagt…

Ach wie schön ... Ionenlotto ... ich erinner mich gut. Vorallem an das TAA undcden vielrn Platz in der Straßenbahn, wenn ich nach Stunden in diesen Dämpfen nach Hause gefahren bin. Für die Praktika meine X Semester Chemie geliebt, für ein paar andere Dinge nicht. Deswegen ist wohl keine echte Chemikerin aus mir geworden. Nur eine abgebrochene ... Sei es drum. Wiegen hab ich auf jeden Fall gelernt ;-)

LG von der Küste
Anci