Dünnhäutig
Nach den Nachrichten aus Berlin gestern abend war es einfach Selbstschutz, auf Social Media und die dort übliche Mischung aus Angst, Gerüchten, Aufforderung, bitte keine Gerüchte zu verbreiten, blöde Witze, Betroffenheit und Betroffenheitsgebashe zu verzichten. Wir haben gehofft und kurz überprüft, ob unsere Lieben in Sicherheit sind, und versucht, dann den Alltag so normal wie möglich zu erledigen.
Heute morgen dann war es nicht ganz so leicht, dem RL-Gerüchteaustausch und "Oh, schrecklich, in welcher Welt wir leben" zu entgehen, nicht aus Ignoranz oder mangelnder Empathie, aber ich ertrage das Wiederholen von Allgemeinplätzen im besten und von Stammtischparolen im schlimmsten Fall in solchen Situationen überhaupt nicht. Ich habe dann einfach auf die Kaffeerunde verzichtet und mich stattdessen im Erledigungsmodus auf Zeug, das ich noch vor Weihnachten weggeschafft haben möchte, gestürzt. Und da merkte ich dann nicht nur bei mir die von dem allgemeinen Jahrensend-Stress ("Können wir noch schnell...", "Due date ist 31.12, d.h. wir müssen dan heute machen." "Wir brauchen das für die Zielerfüllung 2016 noch") eh schon zum Zerreissen gespannten Nerven und den papierdünnen Rest eines ehemals mitteldicken Fells. Und so haben wir es zu fünft geschafft, uns schon vor neun in Rage zu diskutieren, uns einig zu sein, dass die diskutierte Aufgabe unglaublich nutzlos, unverschämt, "OUT OT LINE" wäre. So weit, so gut, Gottseidank kamen wir dann beim "Wer schreibt denn jetzt die Antwort?" wieder zur Besinnung, kurz bevor wir die transatlantischen firmeninternen Beziehungen in Flammen aufgehen hätten lassen und einigten uns auf eine "Kurze, höfliche Antwort, der man zwischen den Zeilen unsere Laune anmerkt". Ratet mal, wer sich aus Versehen so etwas wie freiwillig dafür gemeldet hat? War eine gute Übung und dder Mail liest man nicht an, dass wir mit roten Köpfen und Rauch aus den Ohren diskutiert hatten.
Zur Mittagszeit dann noch ein internationales Meeting mit Beteiligung aus Basel, Shanghai und der US-Ostküste. Die eine Hälfte des Teams war im Pyjama und müde, die andere unterzuckert und hungrig.
Zum Kopfauslüften habe ich dann das letzte noch nicht an Ort und Stelle angekommene Weihnachtsgeschenk persönlich ausgeliefert, meinen Kalender für die ersten beiden Januarwochen von doppelt, dreifach und vierfach gebuchten Terminen versucht zu bereinigen (Note to myself: 6 Produkte und eine Doppelrolle in einem Transferteam sind grenzwertig bis zu viel.), meinem Chef Besserung in Sachen Überstunden gelobt und mich recht zeitig auf den Heimweg gemacht.
Heute abend haben wir das letzte offizielle Kinderweihnachtsding in Q.s Klasse (ich bin gespannt, sie machen eine Vernissage), für das Eltern-Kind-Plausch-Unihockey-Match am Abend des 23. Dezember haben wir uns nicht ganz so schweren Herzens abgemeldet wegen "Weihnachtsbesuch schon da", und dann heisst es noch zwei Tage Arbeit (der Plan mit der ruhigen Woche vor Weihnachten, wo ich alles Liegengebliebene im Büro erledigen kann, ging mal so gar nicht auf) und drei Tage Schule durchhalten, dann haben wir uns die zwei Wochen Weihnachtspause aber sowas von verdient.
Wir brauchen sie dringend nötig.
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