Montag, März 10, 2025

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Uiuiuiui, eine Wunschlistenfrage

Aufwachsen mit drei Geschwistern: Hat das dich beeinflusst und wenn ja wie?

Ja, natürlich hat mich das beeinflusst. Und wie? Und wie!

Zum einen sind 3 Geschwister und damit eine Familie von 6 Personen eine richtig grosse Menge Menschen, die unter einem Dach zusammenleben. Dabei habe ich gelernt, eben mit anderen Menschen zusammenzuleben, zT auch Zimmer zu teilen (bevor beim 4. Kind aufgestockt wurde, haben sich immer zwei Schwestern wechselweise das grössere Zimmer geteilt, eine hat allein im kleineren gewohnt. Ordnung halten, Regeln des Zusammenlebens respektieren, Kompromisse schliessen, all das, was in einem grossen Haushalt halt das Zusammenleben erleichtert.

Ich habe gelernt zurückzustecken, weil nicht immer die Zeit, Ressourcen, Geld oder das Interesse der restlichen Familie für meine Interessen da war oder halt auch mal andere dran waren (Urlaubsgestaltung, Ausflüge, Hobbies). Ich denke, mien unendlich grosses Gerechtigkeitsbedürfnis kommt schon auch da her: wenn es nicht unendlich viel gibt, das unter recht vielen aufgeteilt werden muss (oder aber: viele Aufgaben, die gerecht verteilt werden sollten), schaut man sehr darauf, dass man nicht zu kurz kommt (lernt aber andersrum: teilen ist ganz normal.). Ich bin also für den hier ab und an aufkommenden Teenie-Futterneid perfekt gerüstet, meine Jungs sind Waisenkinder gegenüber uns vieren... (Es ging soweit, dass die Süssigkeiten am Tag des Wocheneinkaufs abgezählt verteilt wurden, damit niemand das Gefühl hat, zu kurz zu kommen. Das machen wir hier nicht).

Lernen, zurückzustecken klingt jetzt so traurig, es ist aber eine durchaus gute Sache, wenn man weiss, dass es meist nicht genau so läuft, wie man das selber gerne hätte, sondern in der Lage ist, Kompromisse zu schliessen und mit Kompromissen seinen Frieden zu schliessen und dass man nicht dran stirbt, wenn man mal was macht, worauf man keine Lust hat. Ich bin sehr gut (zu gut?) in: "jetzt reiss dich halt mal zusammen!"

Die Dynamik Gruppe vs Individuum ist und war schon eine sehr spannende: nach aussen (und gern auch von unseren Eltern) wurden wir vier als "die D.-Mädchen" gesehen, sei es in der Schule, im Dorf, bei den Nachbarn- Das war schon irgendwie cool, eine Viererbande, das ist einfach mal eine Hausnummer. Aber: wir vier waren und sind halt schon auch sehr unterschiedliche Personen, das war nicht immer allen klar, uns aber sehr wichtig. Für mich als älteste war das nicht ganz so dramatisch, aber meine jüngeren Schwestern waren halt eine nach der anderen  "noch eine von den D.-Mädchen" und "die kleine Schwester von x, y, z", das ist nicht immer nur toll.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich anerkennen konnte, dass unterschiedliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Interessen halt primär unterschiedlich sind, nicht schlecht. So ist es durchaus legitim, Leichtathletik und Handball nicht interessant zu finden, Tanzen und Turnen hingegen schon. Nur so als Beispiel. Oder: nicht jede muss zeichnen können oder kann zeichnen lernen. Oder muss zeichnen können wollen.

Ganz skurril, fast schon schizophren, war für mich die Alterssituation: ich bin ja die älteste von uns vieren, mit anderthalb Jahren einem recht geringen Abstand zu meiner zweiten Schwester. Mir war es immer sehr wichtig, eben älter zu sein und nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. Einkleiden als Zwillinge von Eltern und Grosseltern half da gar nicht! Es fühlte sich so an, als ob ich, wenn es um "mehr dürfen, weil älter" als Zwilling (oder aber: "auf keinen Fall, du bist mehr als zwei Jahre jünger als der Rest der Klasse!") gesehen wurde, wenn es um "mehr müssen, weil älter" als eben die ältere gesehen wurde. Tja.

Was mich die Rolle als älteste gelehrt hat: Verantwortung übernehmen. Und zwar nicht optional, sondern "ist halt so.", in Kombination mit Vorbildfunktion (das kann super sein, weil: meine Güte, eine kleine Armee! Wie cool ist das denn?, aber auch doof, weil alles, was man zB an altersangemessenem Mist macht, direkt mit "Du bist ein Vorbild für die Kleinen, benimm dich so!" eingenordet wird.) und (gefühlt, aber nicht nur) immer Schuld zu sein, wenn irgendwas schief geht oder die Kleinen irgendwas falsch machen, weil "Du bist Vorbild, du hättest aufpassen müssen!"

Beispiele: in der Nachbarschaftsspielclique waren wir 4 per se eine Mehrheit, das war schon cool. Bei Rollenspielen gab es immer genug Leute, meine Autorität wurde relativ lang nicht in Frage gestellt. Mir wurde viel zugetraut: ich bin mit der Überzeugung grossgeworden, ALLES erreichen zu können, mir wurde das Wohlbefinden meiner kleinen Schwestern zT erstaunlich früh überantwortet. 

Ich erinnere mich an einen Abend, als meine Eltern mit Freunden Essen gegangen sind und uns drei damals noch, ich kann also nicht älter als 8 oder so gewesen sein, meine Schwestern waren dementsprechend 6 oder 7 und maximal 2, allein daheimgelassen haben, mit der Anweisung: "Wenn was ist, ruf im Restaurant an, hier ist die Nummer.". Alles war ok, bis die kleinste geheult hat, die habe ich dann zu mir ins Bett geholt, dann wollte die mittlere dazu und ich fand, sie wäre gross genug, in ihrem Bett (im selben Zimmer) zu bleiben, also hat die auch geheult, dann machte es komische Geräusche aus dem Keller und ich war mir nicht sicher, ob das immer so ist oder vllt die Heizung explodiert, und deshalb habe ich dann (mit zwei heulenden Schwestern und der brummenden Heizung im Keller) im Restaurant angerufen und dem Typ, der abgenommen hat, gesagt, er müsste sofort meinen Eltern Bescheid sagen *Name, Beschreibung von ihnen und ihren Freunden", dass sie heimkommen sollen. Und als er meinte: "Gehts noch, auf keinen Fall, da könnte ja jeder anrufen", habe ich gesagt (mit 8 oder 9), dass das aber sein müsse und hier heulen alle und ich bin verantwortlich und meine Eltern haben gesagt, ich könne im Notfall anrufen und es wäre ein Notfall. Er ist dann kopfschüttelnd zu ihnen an den Tisch gegangen und angeblich waren sie eh grad am Gehen und ich erinnere mich an keinen Folgeanlass in absehbarer Zeit mehr. (Ich bin ein bisschen gespalten: einerseits denke ich mir: WTF, wie kann man einen 8/9jährige mit zwei jüngeren allein daheim lassen?! (das ist der Hauptgedanke), andererseits habe ich da halt mitgenommen, dass ich telefonieren kann und mir von vermeintlich Überlegenen nicht alles sagen lasse. Die Angst und Panik, die ich hatte, wünsche ich allerdings niemandem und frage mich heute noch, was meine Eltern an diesem Abend geritten hat...)

Ich erinnere mich an einen Münchenausflug, wir waren beim "Beck", meine Eltern wollten irgendwas gucken und ich hatte die Idee "Wir Kinder fahren Rolltreppe" (ich weiss nicht, wie alt ich war, meine jüngste Schwester war entweder noch nicht auf der Welt oder so klein, dass ich sie nicht mitbekommen habe, ich war also irgendwie maximal 10). Aus Elternsicht kriege ich da tatsächlich heute noch Schweissausbrüche, wie kann man 3 kleine Dorfkinder in einem Riesenkaufhaus in einer Grossstadt, in der sie sich nicht auskennen, aus den Augen lassen und auf Abenteuertrip ziehen lassen? Was passiert ist: nach einer Weile war Rolltreppefahren langweilig und ich habe beschlossen, wir setzen uns jetzt auf die Rolltreppenstufen. (Alles in allem war ich ein sehr braves Kind, wenn das meine Vorstellung von Abenteuer war) Es kam, wie es kommen musste: die kleinste schaffte es, dass ihr Reissverschlusszipper sich zwischen zwei Rolltreppenstufen verklemmte. In Panik, dass meine Schwester jetzt in die Rolltreppe gesaugt würde, habe ich mit aller Kraft dran gerissen und eben den Zipper abgerissen. Dafür gab es einen RIESENAUFSTAND, weil eben der Reissverschluss kaputt war (nicht mal wirklich, nur der Nupsi ab). Tja.

Ich erinnere mich, mit 18 oder so, habe ich in der Zeitung eine Anzeige gelesen, in der ein blondes kleines Mädchen für eine Kinoproduktion gesucht wurde. (Es war die Rolle der Heldin als Kind in "Jenseits der Stille"). Meine jünsgste Schwester hatte das richtige Alter und die richtige Haarfarbe und so habe ich sie mit 8 (?) ohne Elternbegleitung zum Casting geschleift (falls Sie sich fragen: sie hat die Rolle nicht bekommen. Wie wir alle wissen, war das Mädchen weder taub noch stumm, meine kleine Schwester aber so schüchtern, dass sie KEIN EINZIGES Wort sagen konnte, naja.)

All das ist ein abstruser Mix aus "Wow, was mir zugetraut wurde" und "Wow, wie kann man das jemand so jungem zutrauen/muten/aufbürden?", aber erklärt vllt, warum mir das Wort "Selbstwirksamkeit" so fremd ist, weil "das ist doch normal?!".


Es war übrigens zwischen uns Kindern nicht immer alles super und grossartig und hervorragend, wir haben gestritten, gekämpft, uns geprügelt, uns verraten und angeschwärzt und reingeritten auf eine sehr, sehr üble Art, von der ich froh bin, dass ich sie bei Q und L so nienienie beobachtet habe. 

Heute: gemischt. Wie Sie ja wissen, hat sich eine der Schwestern aus dem Geschwisterverband ausgeklinkt und zwar endgültig. Ich akzeptiere das, derselbe Genmix und dieselbe Geschichte verbindet nicht notgedrungen. Wir anderen drei sind... sehr unterschiedlich, akzeptieren einander in all der Unterschiedlichkeit und unterstützen einander bedingungslos und ohne zu werten. Das ist schon sehr schön und unglaublich viel wert.

Was ich mitgenommen habe: ich wollte nie mehr als zwei Kinder, mir war klar, dass die Kinder unser Wunsch als Eltern waren, deshalb gab es nie Babysitter- oder Aufpasserpflichten vom Älteren für den Jüngeren. Ich wollte aber auch nie weniger als zwei Kinder, weil: das Band zwischen Geschwistern halt schon grossartig ist / sein kann und Eltern als gemeinsame Front sehr bedrohlich und übermächtig sein können und ich nicht wollte, dass ein Kind das alleine aushalten muss. Im Hinblick auf alternde Eltern: auch das ist einfacher auszuhalten, wenn man nicht allein ist als Kind.


So. Sonst ist heute eh nicht besonders viel passiert, das muss reichen.

1 Kommentar:

kaltmamsell hat gesagt…

Wow - ich bin sehr froh gefragt zu haben und danke von Herzen für das großzügige Teilen. (Die Casting-Geschichte! Zu der wünsche ich mir an Ostern noch Details.)