Samstag, Januar 14, 2023

140123 Eigentlich alles super

 So, L. und ich vermelden von der Impffront: auf der Omikron-angepasste Impfstoff sorgt bei uns beiden für Armweh. Sonst nicht besonders viel (bei L. weiss ich es nicht genau, der ist schon vor 10 verschwunden und kommt frühestens morgen mittag zurück, weil sie mit den Pios Sonntagszöpfe für das gesamte Dorf backen und morgen früh ausliefern. Auf Insta habe ich aber gesehen, dass sie den Teig mit der Hand kneten, ich gehe davon aus, die Schmerzen sind aushaltbar.)

Ausschlafen wäre bis 8 drin gewesen, aus Gründen war ich aber ab sieben hellwach, ist ja auch ok. Es gab Kaffee und Internet und Buch im Bett, bis der Wecker für den Rest läutete.

Mit L bin ich dann zum Semmelnholen gegangen (er hat im Moment einen extrem grossen Appetit auf Müsli und Birnen, eigentlich auch Kakis, aber die sind irgendwie spurlos aus der Obstabteilung verschwunden?!, da durfte er heute selber aussuchen. Der Hübsche und ich sind nämlich beide sehr festgefahren und spezifisch in unseren Müslivorlieben, da möchte keiner von uns die, die wir für die Kinder gekauft haben, die sie aber doch nicht so toll finden, aufessen. Es wurden für ihn: Special K red berry and seeds. Hätte ich so auch nicht gedacht.) und auf dem Hinweg schon haben wir etwas sehr Witziges beobachtet. 

Dafür muss ich ein bisschen ausholen (ach und wie schön, dass das MEIN Blog ist und ich hier schrieben kann, was und wie ich will, und mir keiner sagt "Boah, komm zum Punkt" oder "OK, Frau Brüllen, der Satz ist 5 Zeilen lang, das muss kürzer gehen" oder "Ok, I get the point, but please make it more crisp").

Unsere Reihenhaussiedlung liegt ggü von einem grossen Supermarkt und Baumarkt. Dieser Supermarkt hat im Rahmen seiner Expansion (von normal zu "Megastore") vergessen, dass ... es in der Schweiz verboten ist, so viele Parkplätze kostenlos anzubieten, weil Umweltschutz und was weiss ich. Die Gemeinde, die das alles so genehmigt hat, hat das auch nicht gewusst und so genehmigt, es hat eigentlich keinen gestört ausser ... den Veloclub Schweiz Verkehrsclub Schweiz *, der festgestellt hat, dass das so nicht ok ist und der Parkplatz kostenpflichtig sein muss und das mit Schranke geregelt sein muss. Der Verkehrsclub hat also Klage eingereicht und der Supermarkt musste reagieren.

Der Supermarkt reichte also ein Baugesuch bei der Gemeinde ein und ... dann war die Hölle los. Es ist nämlich so, ich hab das für Sie aufgemalt:


am Supermarkt vorbei führt die grosse Kantonsstrasse. Dort kommen die meisten Leute an, die mit dem Auto zum Einkaufen kommen (und das sind viele, weil halt MEGASTORE, so viele gibt es davon nicht und schon gar nicht mit umsonstigen Parkplätzen), ausserdem ist das die Umfahrung für den Autobahnstau im Berufsverkehr, und auch alle Mitarbeiter der grossen Pharmafirmen im Ort, die mit dem Auto kommen, kommen ALLE über diese Strasse.

Wenn richtig krasser Stau ist, tut man natürlich ALLES, um 10 Sekunden einzusparen und ein beliebter Trick war, an der Ampel abzubiegen, über den Supermarktparkplatz zu fahren, am McD wieder abzubiegen und ungefähr 500m weiter wieder auf die Kantonsstrasse zu fahren. An sich alles legitim, ist auch allen Leuten wurscht.


Eine grosse Befürchtung war nun aber, dass mit der Einführung der kostenpflichtigen Schranke die Stauumfahrer statt über den Parkplatz über die "nur für Anlieger" Quartierstrasse fahren würden und unsere mit Absicht nahezu autofreie Siedlung von einer Verkehrswalze überrollt werden würde.


Die zweite Befürchtung war, dass all die Ortsfremden, die nur zum Einkaufen hierher kommen, bei kostenpflichtigen Parkplätzen sofort auf unsere Quartierstrasse ausweichen würden, wo es ungefähr 4 öffentliche Parkplätze für "mit Ortsgenehmigung" gab und natürlich die Besucherparkplätze der Eigentümergemeinschaften. Man sah die Quartierstrasse neben der Verkehrswalze auch noch mit Parkpiraten überschwemmt und die Besucherparkplätze für immer und ewig von ortsfremden Einkaufstouristen belegt.



Eine dritte Befürchtung war, dass zu Stosszeiten (der Supermarkt ist echt gross, der Baumarkt auch und da ist wirklich oft die Hölle los) die Schranken den Durchsatz so verlangsamen würden, dass sich ein Rückstau in den Kreisel und sogar bis zur Kantonsstrasse bilden würde und wir nicht nur von von der Verkehrswalze überrollt und unsere Parkplätze von Parkpiraten belegt würden, nein, wir wären auch noch durch Rückstau von der Aussenwelt abgeschnitten.

Alles in allem: sehr viele Sorgen bei den Anliegern.

Die Eigentümergemeinschaften taten sich zusammen, es wurden wutentbrannte Mails an den VCS geschrieben, und, das war der korrekte Weg, es wurden hunderte Einsprüche gegen das Baugesuch eingereicht. Wir haben das natürlich auch gemacht (also das mit dem Einspruch, ich schreibe ja keine Hassmails) und so kamen wir in den Genuss aller Feinheiten und Nuancen von Kommunalpolitik, Baurecht und überhaupt.

Die Einsprachen wurden angemessen bedröppelt zur Kenntnis genommen und als erstes wurde eine Projektgruppe mit Supermarktbetreibern, Gemeinde und VCS gebildet. Die luden dann zu einer Infoveranstaltung ein (die VCS-Leute kamen nicht, wäre ich auch nicht, sie haben ja eigentlich recht, aber naja). 

Dort wurde versucht, an den Gemeinsinn ("Umweltschutz ist letzten Endes gut für uns alle") zu apellieren. Das kam nicht so gut an, weil Parkpiraten, Verkehrswalze, abgeschnitten und überhaupt, der Scheiss-VCS.

Dann wurden verschiedene Szenarien vorgestellt, wie man das anders lösen könnte (alle sehr skurril und an der Realität vorbei) und, und das ist mein absoluter Favorit, eine Studie, in der gezeigt werden sollte, dass die Sorge mit dem Stau überhaupt total unnötig wäre. Man hat dazu zu Stosszeiten, die bekanntermassen Dienstag morgen von 8-11h wären, mal gezählt, wieviele Autos da denn überhaupt kommen. Man konnte auch mit konservativer Schrankenöffnungsdauer zeigen, dass das überhaupt kein Problem wäre und maximal 2 Autos vor der Schranke stehen würden, alles tutti also. Ich weiss ja nicht, wie das so bei Ihnen ist, aber ich zB war noch NIE Dienstag vormittag einkaufen und ich mag naiv sein, aber ich denke, dass Freitagnachmittag oder DEN GESAMTEN SAMSTAG (oder am 1. Mai, wo in den Nachbarkantonen Feiertag ist und alle frei haben und für ihren Garten einkaufen) oder überhaupt an jedem anderen Termin ausser Dienstag von 8-11 mehr Leute einkaufen kommen.

Die Versammlung endete in grossem Unmut und mit grosser Verwirrung. Ich habe dann ein wenig den Überblick verloren, wir bekamen immer mal wieder grosse Papierpakete per Post, weil wir ja als Einsprecher auf der Verteilerliste standen. Es wurde gerichtlich entschieden, dass der "Scheiss-VCS" halt schon recht hat und auch wenn es die Anwohner überhaupt nicht stört, so wie es ist, das trotzdem nicht so bleiben kann, dass eine Schranke und Gebühren her müssen. Und der Supermarkt müsste ein neues Baugesuch einreichen. Und dann kam irgendwann ein weiteres Papierpaket von der Gemeinde mit dem Baugesuch und dem Begleitschreiben, dass das jetzt halt so wäre und es mal gut mit beschweren, weil die Schranke kommt, egal wie viele Einsprachen. 

Den Bedenken der Anwohner wurde folgendermassen Rechnung getragen:

  • Auf der Quartierstrasse wurden die öffentlichen Parkplätze entfernt.
  • Es wurden versetzte Verkehrsinseln, Poller auf dem Gehweg und massive Blumenkästen auf der Strasse aufgestellt, um die Strasse unattraktiver für den Durchgangsverkehr zu machen, weil jetzt auf der gesamten Länge keine zwei Autos mehr aneinander vorbeikommen und man wegen der Poller auch nicht auf den Gehweg ausweichen kann. (Diese Baumassnahmen wurden übrigens schon realisiert, da waren auf dem Parkplatz noch nicht mal Markierungen für die Schranken aufgesprüht. Neben den Parkpiraten und der Verkehrswalze kommen nun auch die Anliegerautos nicht mehr aneinander vorbei oder können mal kurz auf der Strasse parken, die Stimmung ist so mittel. Bisher wurden aber noch keine Blumenkästen verrückt oder Poller abgesägt. Betonung auf "noch") 
  • Ausserdem wurde zugesichert, dass die Regionalpolizei regelmässig mal schauen kommen würde, ob Verkehrswalze und Parkpiraten schon da wären.
  • Ausserdem wurde eine Emailadresse bei der Gemeinde eingerichtet, wo man ganz unkompliziert Fotos von Parkpiraten und ortsfremden Stauumfahrern auf der Quartierstrasse einreichen kann, damit die der gerechten Strafe zugeführt werden.

Irgendwann im Dezember wurde dann angefangen mit dem Schrankenbau, es wurde gross auf Plakaten kommuniziert, dass der Supermarkt das halt müsse und danke für Ihr Verständnis (es stand nix von "Scheiss-VCS" drauf, aber nur knapp). Es gab Infostände und Goodies, es wurde einem geholfen, in der Supercard-App einzurichten, dass man direkt mit Punkten die Parkgebühr bezahlen könnte und dann passierte lang nix mehr und die Schranken waren zwar da, aber halt offen.

Und diesen Donnerstag morgen war es dann soweit: Schranken zu.

Ich habe das morgens um kurz vor acht beim losradeln gesehen, vor allem, weil ein Auto schon quer davor stand und mühevoll versuchte, zwischen all den Verkehrsinseln zu wenden. Ich nehme an, ein Stauumfahrer.

Gestern, als der Hübsche und ich vom Einkaufen zurück kamen (wir fahren unseren Wocheneinkauf die 100m einfach mit dem Einkaufswagen bis vor die Haustür, das geht auch mit Verkehrsinseln und Pollern), standen zwei Nachbarschaftssherrifs (leicht zu erkennen am Hut und der Weste und dem Klemmbrett, ich mache keine Witze) am Eingang unserer Quartiersstrasse und fotografierten und notierten alle ortsfremden Fahrzeuge, ich nehme an für eine Bulkmeldung an die Gemeinde.


Als wir gerade mit unserem Einkaufswagen vorbeiratterten, hatten sie gerade einen grossen Lastwagen voller Baumaterial fotografiert. Der Lastwagenfahrer fand das nicht super und fragte, ob sie überhaupt das Recht hätten, sein Fahrzeug zu fotografieren, und dann gab es eine Riesendiskussion, ob ja oder nein und der Scheiss-VCS und auch wenn er zur Baustelle am Ende der Strasse müsste, hätte er ja auch beim McD-Kreisel reinfahren können und dann mussten wir weiter, wir hatten ja TK-Ware im Einkaufswagen.

Heute morgen und kudos, wenn Sie noch da sind, sahen L. und ich ein Polizeiauto der Regionalpolizei vor der Schranke zum Parkplatz. Es wendete mühsam und fuhr zurück, nur um ein paar Minuten später die "nur Anlieger" Quartierstrasse entlangzufahren. Ich nehme an, sie haben nach Verkehrswalze und Parkpiraten gesucht und natürlich nicht den Stau auf der Kantonsstrasse umfahren wollen.


So. Wie man sieht: alles kompliziert hier und ich bin schon sehr gespannt, wie das dann alles nächsten Dienstag vormittag zu PEAKEINKAUFSZEIT aussieht. 


* Ich wurde darauf hingewiesen, dass der VCS NICHT der Veloclub Schweiz ist, sondern der Verkehrsclub Schweiz. Das ist natürlich richtig, ich kannte nur den TCS als Verkehrsclub und hätte nicht gedacht, dass ein so kleines Land wie die Schweiz Platz für zwei Verkehrsclubs hat UND sich ein Autolobby-Club für ein Umweltschutzthema einsetzt. Wieder was gelernt, danke für den Hinweis!


12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oh, ich bitte um live-Berichterstattung am Dienstag, nach diesem cliffhanger muss das doch drin sein .......

Anonym hat gesagt…

Hallo in den Ort mit den dienstäglichen Verkehrsspitzen (wer denkt sich sowas aus???),
was Kakis angeht: kann es irgendwie generell ein schlechtes Erntejahr sein?
Auch mir ist aufgefallen, dass es nicht überall welche gibt, und wenn, dann sind sie unverhältnismäßig teuer (auch mehr als die sonstige Inflation bei anderem Obst).
Also, ich hatte diese Saison noch gar keine. Dafür sind wir gerade auf dem Ananas-Trip
Viele Grüße
Friederike aus Leipzig

Anonym hat gesagt…

Made my day! :'-D

Anonym hat gesagt…

Früher nannte man das Schildbürgerstreiche.

Anonym hat gesagt…

Danke für die ausführliche Schilderung! Für Unbeteiligte ist das ziemlich lustig...

Anonym hat gesagt…

Was für eine Geschichte! Ich finde es ganz spannend, ja tatsächlich, und warte auf die Fortsetzung am Dienstag.

Anonym hat gesagt…

Das ist wunderbar erzählt und illustriert! Ich hoffe sehr auf Fortsetzung ;-)
Hier las ich in der vergangenen Woche erstaunt davon, dass bereits eine zweite Veranstaltung zu den Verkehrsproblemen im Ort stattgefunden habe. Im Gegensatz zu den - ob der geringen Beteiligung - wohl enttäuschten Organisatoren scheint aber 98% der Bewohner klar zu sein, dass die meisten „Probleme“ durch sie selbst verursacht werden…
Viele Grüße, Frauke

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für die erklärenden sehr hilfreichen Zeichnungen ☺☺☺
Christiane (die Ihren Blog seit vielen Jahren liebt!)

Poupou hat gesagt…

Ein großartiger Blogpost! Bitte schreiben Sie unbedingt weiter was immer Sie möchten und lassen Sie sich nicht von den Leser*innen oder Kommentier*innen beirren.
Den Megastore werde ich mir bei nächster Gelegenheit jetzt auch mal anschauen müssen, auch wenn ich eigentlich Team Migros bin ;)

Barbars hat gesagt…

Liebe Frau Brüllen 🦁 ich habe den ganzen Beitrag gelesen, ich schwöre!
Ich weiss sie mögen es nicht wenn man sie belehrt oder korrigiert🤷‍♀️aber ich bin über VCS=Velo Club🧐dem ist nicht so!
VCS ist der Verkehr Club der Schweiz die Konkurrenz zum TCS dem Touring Club der Schweiz über der Grenze ist das glaub ich der ADAC.
Also bitte der scheiss VCS ist nicht der Velo Club!
Ich möchte anmerken ich habe meine Blogleserunde sehr verkürzt aber ohne SIE kann ich nicht⭐️
Aso bitte nicht böse sein wegen dem Rotstift!

Frau Brüllen hat gesagt…

@Barbars Upsi! Ich habe jetzt tatsächlcih nochmal in den Protokollunterlagennachgeschaut und ja, es war der VCS und ja, das ist NICHT der Veloclub. Upsi. Sorry und danke für den Hinweis, ist korrigiert

Barbars hat gesagt…

Ich nochmals mit meinem richtigen Namen „Barbara“
Es gibt wirklich zwei Clubs und man sagt der eine sei der „ Vornehmere“ aber ich weiss nicht welcher🤷‍♀️
Gern geschehen!
Meinte Tante pflegte jeweils zu sagen :
„Me cha vo jedem Toggeli öppis lehre“ man muss einfach aufpassen wem man das sagt nach einer Belehrung 😂