Dienstag, August 18, 2020

180820 Stellvertretergefühle

Gestern kam der Hübsche heim und war verzweifelt, weil er mein Nierengepienze gelesen hatte und mich fast in der Notaufnahme verbluten sah oder um eine Spenderniere betteln.

Heute hätte ich fast angefangen zu weinen (oder zu wüten), als die dritte vermeintliche Anfrage nach Rohdaten und Begründungen von vor 20, 30, 40 Jahren kam.

Heute habe ich mit zittrigen Fingern "Ist L. schon auf dem Heimweg?" in den Messenger getippt und währenddessen gelauscht, ob ich den Krankenwagen auf dem Weg zu dem Zebrastreifen an der grossen Strasse, über die er vom Rückweg von seinem Freund muss, überhört habe, obwohl L. nur 10 Minuten später dran war als sonst immer und wir tatsächlich nicht einmal eine fixe Heimkommzeit abgemacht hatten.

Heute habe ich den Nachbarn gezwungen fröhlich geschrieben, ob sie Jonny mal gesehen hätten und 4 grosse Suchrunden gemacht, und schon mal überlegt, wo ich Suchzettel in Farbe ausdrucken könnte, wo ich die auf dem Werksareal aufhängen könnte, ob ich doch einen Facebookaccount anlegen sollte, nur um der Ortsgruppe beizutreten und dort Jonny vermisst zu melden, ich sah ihn eingesperrt, eingeklemmt, überfahren, entführt, aus Versehen über die Autobahn gerannt und auf der anderen Seite verloren, ich war so nervös, dass ich nichts zu Abend essen konnte und mir physisch übel war.

Tatsächlich wissen wir beide, 

  • dass die Niere vermutlich ok ist (und wenn nicht, dann sind wir weiter als auch schon in der Diagnostik)
  • dass niemand zu Schaden kommt oder die Firma oder auch nur ich in irgendeiner Weise schlecht da stehe, wenn ich nicht binnen Sekunden Rohdaten von 1979 aus dem Ärmel ziehen kann (abgesehen davon, dass sie da natürlich nicht hingehören)
  • dass L. natürlich im Moment des Abschickens zur Tür rein kam und schon rief "SORRY, wir haben die Zeit vergessen"
  • dass Jonny einfach einen Sommertag draussen genossen hat und so sehr französische Strassenkatze geblieben ist, dass er sich nicht einklemmen, entführen, einsperren oder irgendwo hinscheuchenlässt, wo es ihm nicht gutgeht (die Nachricht an die Nachbarn war aber insofern hilfreich, als sie direkt Bescheid gaben, als er auf dem Heimweg von wo auch immer bei ihnen einen Halt einlegte und enttäuscht war, dass ihre Katze das Abendessen ratzeputz aufgefressen hatte.


Das hilft aber im Moment der Panik auch nix, aber immerhin bleibt ein Rest Rationalität, der einem sagt, dass das morgen (oder ein paar Momente später) schon viel besser aussieht. Für mich ist es ein Zeichen, dass wir halt schon auch echt dünnhäutig geworden sind und unser Schutzpanzer, an dem solche Ängste normal abprallen, halt arg abgetragen ist nach den Monaten, die wir uns mit Corona und allem drum und dran rumschlagen. Die Abgeklärtheit und der Pragmatismus und die (besonders aber nicht nur den Kindern gegenüber) an den Tag gelegte Zuversicht, dass das schon alles irgendwie gut ausgehen wird, das kostet und irgendwann ist der Schutzpanzer an der einen oder anderen Stelle durchgewetzt und die nächste Anfrage nach Rohdaten trifft einen mitten ins Panikzentrum.

Nun denn.

Sonst okayer Tag. In Sachen Stundenabbau bin ich immerhin so weit, dass ich nicht mehr mehrere Stunden pro Tag aufbaue, sondern heute zB nur eine gute halbe. (Der Hübsche sagt, wenn ich da mal meine sonstigen Bewertungsmassstäbe anlegen würde, wäre das Totalversagen, aber ich finde, ich muss nicht immer so streng mit mir sein.)

Es gibt eine neue App der Krankenkasse, mit der man sich Prämienrabatte erarbeiten kann. Mir ist noch nicht 100% klar, durch welche Challenges man Punkte bekommt, immerhin haben der Hübsche und ich zeitgleich und unabhängig rausgefunden, dass man nur eine Schrittechallenge gleichzeitig laufen haben kann, unser grossartiger Plan, die Schritte pro Tag mehrfach zu verwursten geht schon mal nicht auf. Ich habe nur ein Quiz verkackt (Kann ja keiner ahnen, dass 5 Minuten pro Tag weniger als das allgemein anerkannte Optimum für Meditationszeit pro Tag ist. Wer hat denn 20 Minuten am Tag Zeit für so was?!), aus Versehen viele Videos beim Essenmachen lautlos laufen lassen ("Verwertung von schrumpeligen Äpfeln", "Kühlschrank richtig einräumen", "Bauchtraining", "Mikropause mit Entspannungsatmen"), weil ich dachte, man bekäme dafür Punkte. Wir werden sehen, ich habe eigentlich keine Lust und Zeit, da so Extragedöns zu machen, Schritte und Tralalala: schön und gut, die mache ich eh, aber so Quizzes, die ohne jede BEschäftigung mit dem Thema lösbar sind (bis auf die Meditation, ich gebe es ja zu), bieten jetzt ja keinen Mehrwert für mich.

Wir werden immer besser im Zuckerwattieren. Die gross beworbene Möglichkeit, aus Bonbons Zuckerwatte zu machen, hat es uns natürlich besonders angetang, aber bisher bin ich etwas underwhelmed. Wenn es klappt, ist es schon ziemlich cool, zB Eisbonbons in dünnste Fäden zu verwandeln, das explodiert geschmackstechnisch so richtig auf der Zunge, wie der ultrafeine Zucker auf den Kaugummistreifen. Aber leider haben entweder wir es noch nicht so raus, oder die Standardhartbonbons auf Glukosesirupbasis haben halt doch ein ungünstigeres Spinnverhalten als Kristallzucker, auf jeden Fall wird das nicht so fluffig und der Schmelzteller verklebt auch recht schnell. Wir bleiben dran, würde ich sagen!


So, fertig für heute.

Gegessen:

HummusBrot

Tortellini mit Salbeibutter und Tomaten

viel Nektarinen

ein Stück Brot und Rohkost, wegen nervös ging nicht mehr

Zuckerwatte und Kekse


Gelesen: das Trump-Buch

Gesehen: "Watchmen" (ganz grosse Empfehlung!)

Stressleveldurchschnitt gestern: 34

Selbstbeweihräucherung: letzten Rest Rationalität aktiviert.

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