Mittwoch, März 08, 2017

Grumpy Woman

Ich glaube, ich bin einfach nicht zur Solidarität geboren. Ich habe heute

  • nicht gestreikt (ich sehe den Sinn dahinter nicht, nix zu machen, während mein Mann die Kinder wie jeden Morgen versorgt und in die Schule scheucht, während das superdiverse Produktteam auf meinen für heute fälligen Input wartet, während das andere Projektteam damit rechnet, dass ich die Abklärung mit der Change Commission mache, während mein Ich von morgen sich darauf verlässt, dass die fälligen Risikoanalysen vorbereitet sind, alles in allem: während mein Arbeitgeber, für den Diversity und Inclusion und Equal Pay etc nun tatsächlich keine hohlen Worthülsen sind, darauf wartet, dass ich das tue, wofür ich mehr als ordentlich bezahlt werde, und mein Partner und meine Familie darauf warten, dass ich den fairen Anteil an Care-Arbeit und Liebe verteile, der eben meiner ist)
  • nicht demonstriert (hier in Basel ist Fasnacht. So laut und auffällig kann man gar nicht sein, um das zu übertönen)
  • nicht mal das #beboldforchange-Event des Frauennetzwerks bei der Arbeit besucht, weil währenddessen zwei andere Meetings stattfanden
  • nicht rot getragen (mein einziges rotes Shirt hat einen so tiefen Ausschnitt, dass man das Marienkäferpflaster vom Muttermalschnippeln sehen würde),
  • nicht mal pink (mein pinker Rolli ist in der Wäsche, den hatte ich gestern an).
  • Auch keine pinken oder roten Nägel, weil meine Fingernägel so splittrig sind zur Zeit, oder Lippen (weil just in den letzten 2 Minuten vor dem aus dem Haus gehen, die für den Lippenstift eingeplant waren, das Klassenrundtelefon anklingelte wegen "Schulausfall für den Grossen" ohne Angabe von Gründen) und vor allem, weil ich das ehrlich gesagt ein bisschen albern und Augenwischerei finde.
Vielleicht bin ich unsolidarisch, vielleicht nicht kämpferisch genug, vielleicht einfach nur ich selbst. Auch am Weltfrauentag.


Was ich getan habe (ausser arbeiten und so):
ich habe an all die Frauen gedacht, die mein Leben bisher geprägt haben, sei es als positive oder negative rolemodel.
  • Meine beiden Grossmütter, so unterschiedlich sie auch waren (ich hätte meine eine gerne im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte kennen gelernt, die andere gern besser. Ich frage mich, ob ich je rausgefunden hätte, wieviel "wahr" und wieviel "Image" war.)
  •  meine Mutter,
  • meine Tante,
  • meine Schwiegermutter,
  • meine Erstklasslehrerin, die mir die Underachieverschublade erspart hat
  • meine Zweitklasslehrerin, die mir fast die Freude an der Schule versaut hätte,
  • meine Klassenlehrerin in der 7., wegen der ich am liebsten Archäologin geworden ware,
  • meine Deutschreferendarin in der 9., die mich erstmals für das Fach Deutsch begeisterte (nur kurz) und an eine, leicht angestaubten humanistischen Gymnasium auf den Dresscode pfiff,
  • meine Chemielehrerin in der Kollegstufe, ohne deren Begeisterung für das Fach und für mich als erste Chemieabiturientin an der Schule überhaupt jemals ich niemals Chemie studiert hätte,
  • meine Klavierlehrerinnen,
  • die ehemalige Leiterin des Pilotbetriebs, die der lebende Beweis ist, dass man trotz ungeplanten Kindes noch in der Schule sehr wohl eine Karriere hinlegen kann, die viele Männer vor Neid erblassen last,
  • meine ehemalige Chefin, die mich damals mit frischem Schwangerschaft abwarb,
  • meine einzige Kollegin seinerzeit, die den Weg für "Schwanger, Kind, Teilzeit" für mich viel leichter machte,
  • meine Teamkolleginnen in meinen aktuellen Teams, die mir zeigen, wie grossartig es sein kann, nicht immer nur mit Männern zusammenzuarbeiten,
  • die Leiterin eines dieser Teams, die ich mir zum Vorbild  nehme und bei der ich mich getraut habe, sie um Karriererat zu bitten,
  • eine grosse Gruppe meiner ehemaligen Klassenkameradinnen, die mit dem  Anbau bei den Schwiegereltern und einem Teilzeitjob im Geschäft derselben glücklich scheinein,
  • Frau Mutti, die mein Vorbild für so unglaublich viel ist, unter anderem für "Ich würde die Erziehung meiner Kinder auch gern so hinkriegen"
 
Ich habe heute einfach genau das getan, was ich jeden Wochentag tue. Meine Familie und mein Arbeitgeber könnten ohne mich auskommen, keine Frage, das haben sie schon mehr als einmal bewiesen, das geht ohne grössere Dramen, da muss ich nix beweisen. Und schöner ist es allemal, wenn sie es nicht müssen.




Vielleicht bin ich doch nicht so unsolidarisch, nicht mal am Weltfrauentag.

3 Kommentare:

natalie hat gesagt…

Daumen hoch! Genau richtig, all das!

Ich war heute auch einfach ich selbst,ohne pink oder rot. Fand's aber irgendwie gut, in meiner Filterbubble auch die eine oder andere Pusshat zu sehen. Hier aufm Dorf live eher nicht...
Und dem blöde witzelnden Kollegen augenrollend deutlich gemacht, das ein Weltfrauentag wohl doch irgendwie nötig sei. Wenn nicht hier, dann für woanders.

Grüße ausm Norden
Natalie

Luluxand hat gesagt…

Ich hätte heute streiken müssen?

Immerhin hatte ich lila-bunte Stiefel an und eine lilakarierte Bluse mit ein bißchen Rosa drin (ein bißchen zuviel Rosa eigentlich für meinen Geschmack, aber das ist eine andere Sache). Allerdings einfach so, weil ich Lust drauf hatte, nicht weil heute Weltfrauentag ist. Das habe ich eh erst beim Mittagstischgespräch mitbekommen.

Anna-Alice hat gesagt…

Liebe Frau Brüllen,

ich sag´s mal frei nach Margarete Stokowski (sehr lesenswert übrigens): "Beim Feminismus geht es darum, was für ein Mensch man sein möchte" - von daher: Streiken kann dazu gehören, muss aber nicht.