Ich habe heute morgen den in meiner Filterblase viel geteilten Blogeintrag zur
„Kann-Kind“-Thematik gelesen und mich erst ein wenig darüber geärgert, weil ich mich immer darüber ärgere, wenn der Schulstart als das Ende der Kindheit und die Schule als Institution, aus deren Mühlen man kaum noch entkommen kann und die einen knechten wird bis zum bitteren Ende, thematisiert wird. Ich habe mir gedacht, was wäre gewesen, wenn das Kann-Kind aus dem Artikel mit fünf statt der Schreckschraubenlehrerin die mütterliche Frau als Lehrerin bekommen hätte? Wäre es dann vielleicht in der Schule geblieben? Was wäre gewesen, wenn die Lehrerin beim regulären Start eine ähnliche Schreckschraube wie die erste gewesen wäre?
Und dann habe ich überlegt, wie das bei mir seinerzeit so war. Ich habe im Dezember Geburtstag und ich weiss jetzt nicht mehr genau, wie die Einschulungsregeln in Bayern 1982 waren, auf jeden Fall konnte ich bereits mit vier lesen, meine gesamte Peer-Group aus dem Kindergarten wurde eingeschult, meine Eltern haben mich also zum Früheinschulungstest gebracht. Es folgte das
Apfelbaumdesaster, ich wurde nicht früh eingeschult und war untröstlich darüber.
Ein Jahr später konnte ich zwar immer noch keinen Apfelbaum zeichnen, das war dann aber egal, weil ich war alt genug für die erste Klasse. Meine Lehrerin war eine grossartige Frau, die gottseidank erkannte, dass ich nur ein schrecklicher pain in the ass war, aber nicht vorrangig, weil ich unausstehlich war, ich war unterfordert. Und gottseidank hat sie meinen Eltern sehr bald nahegelegt, mich zum Halbjahr eine Klasse springen zu lassen, eben genau zu meinen ehemaligen Kindergartenkollegen, die jetzt in der zweiten Klasse waren. Und genauso gottseidank haben meine Eltern diesen Rat angenommen und so landete ich im März in der Klasse, in die ich ein Jahr vorher wegen mangelnder Apfelbaumskills nicht durfte.
Die folgenden Monate bis zu den Sommerferien und dem darauffolgenden Lehrerwechsel waren die Hölle. Ich denke, auch heute ist Klasseüberspringen noch nicht die Norm und man ist danach (ok, davor auch, sonst würde man das eh nicht machen) ein bunter Hund und das muss ein Kind erst mal tragen können. Aber damals, vor 30 Jahren in einem 1500-Seelen Dorf in Bayern (dabei musste ich auch an den
Dorfartikel vom Herrn Jawl denken), da kam das schon fast Gotteslästerei nahe (ach ja: wir waren auch noch die einzige evangelische Familie im Dorf). Das liess mich diese Lehrerin von Anfang an spüren. Ich wurde vor der gesamten Klasse runtergeputzt, weil ich nicht wusste, dass man beim Reinkommen einen Knicks/Diener vor ihr zu machen hatte mit einem lauten „Guten Morgen, Frau K.“, als meine Mutter am zweiten Tag in der Klasse anrief und um einen besseren Sitzplatz für mich bat (ich hatte einen mit dem Rücken zur Tafel), hiess es: „Einer muss mit der Neuen tauschen, für sie ist der Platz, den sie hat, nicht gut genug, sagt ihre Mutter.“, am dritten Tag weigerte ich mich, zur Schule zu gehen.
Ich habe diese Zeit durchgestanden, ich nehme an, sie hat mich geprägt und ich habe viel gelernt, was Sozialverhalten und sich gegen Obrigkeiten durchsetzen angeht.
Ab der dritten Klasse war mein Schulleben dann übrigens wunderbar, ich war zwar immer allein wegen meines Alters der bunte Hund, in der 10. Klasse habe ich nochmal eine Klasse übersprungen (ob ein oder zwei Jahre jünger ist dann auch schon wurscht), ich bin in der 11. Klasse als einzige noch mit Kinderausweis weil noch 15 mit auf Klassenreise nach Berlin gefahren, ich bin nicht abgestürzt, habe feuchtfröhliche Oberstufenparties völlig unbetrunken überlebt, ich hatte als Küken der Klasse einen gewissen Welpenschutz und man passte auf mich auf; ich habe mit 17 angefangen zu studieren (damals mussten übrigens meine Eltern nicht zum Bibliotheksausweisunterschreiben mitkommen), habe mit 25 fertig promoviert und es keinen Tag bereut, eben diese mindestens zwei Jahr jünger zu sein als der Rest.
Allerdings weiss ich nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich trotz falschen Apfelbaums damals vorzeitig eingeschult worden wäre und eben direkt in der Klasse mit der Horrorlehrerin gelandet wäre. Es könnte gut sein, dass mir die Freude am Lernen und Neuen, die ich mir bis heute bewahrt habe, verloren gegangen wäre oder ausgetrieben worden wäre durch eben diese "ostblockhaften" Zustände, die es auch in einem kleinen bayerischen Dorf gab. Man weiss es nicht. Andererseits: wenn meine grossartige Erstklasslehrerin zum regulären Einschulungstermin nicht ganz so grossartig gewesen wäre und mich als Störenfried und Klassenkasperl in die Underachiever-Schublade gesteckt hätte: wer weiss? Vermutlich würde ich voll des Selbstmitleids über meine ach so schreckliche Hochbegabung und die ach so schreckliche Welt, die mich nicht versteht und mir den Erfolg nicht auf dem Silbertablett serviert, suhlen und und läge dann damit wenigstens im gefühlten Trend. Da wäre das Jahr Warten auch für die Katz gewesen.
Insofern bleibt für mich als Fazit nur wie so oft: es ist kompliziert. Und ich denke, man kann es nicht nur am Alter festmachen, ob ein Kind für die Schule reif ist, es kommt, klar, aufs Kind, aber auch auf die Schule und dort extrem auf die Lehrerpersönlichkeit an. Somit spielt eine grosse Portion Glück mit rein. Traurig, aber wahr…..
15 Kommentare:
Fazit: es ist kompliziert.
Und es kommt drauf an.
Danke!
Und es gab auch im Ostblock viele tolle Lehrer, die ihre Schüler als Persönlichkeit sahen, sie förderten und forderten, denn auch das gehört dazu. Es ist nie eine Seite nur schwarz und die andere weiß, ganz wie im "richtigen Leben".Mir war als Lehrer egal, wie hoch oder wenig begabt einer meiner Schüler war, es war ein Mensch, der mir teilweise über viele Jahre und tägliche Stunden anvertraut war und dem ich ein Stück auf dem Weg ins Leben helfend beistehen konnte. Meine mit 61 Jahre begonnene Promotion lautet titulär kurzgefasst "Über den Sinn der Freude im Unterricht". Darauf kommt es an.
Ich hab auch schon beim anderen Artikel kommentiert. Ich bin vier Tage vorm Stichtag sechs geworden, also ein junges Muss-Kind. Ich war absolut schulreif (bin mit meiner Freundin im letzten Kindergartenjahr immer abgehauen, weil wir's so sterbenslangweilig fanden) und hatte nie Probleme in der Schule.
Allerdings fand ich es als Jugendliche tatsächlich ein bisschen doof, immer so jung zu sein. Ich wurde grade 16 als Klassenkameraden schon 18 waren. Während alle ihre Entschuldigungen selbst schrieben und den Geschichtsunterricht ausfallen ließen, quälte ich mich wöchentlich da durch.
Meine Eltern waren zum Glück nicht so streng und ich durfte auch mit 15 mit meinen Freundinnen abends lange weg bleiben, aber da sind ja nicht alle so. Auf dem Land ging das damals noch. Heutzutage werden ja schon im Kino Ausweise kontrolliert und wenn der Film bis nach 22 Uhr geht, heißt es für 15jährige "Draußen bleiben!". Und dann wird es echt ätzend, wenn alle Freunde schon ein (oder zwei) Jahre älter sind.
Ich hab übrigens mit 13 das erste Mal Alkohol getrunken und geraucht, obwohl regulär eingeschult, und aus mir ist trotzdem noch was geworden ;-)
In BW wäre Little L übrigens Kann-Kind für die Einschulung im September 2014. Ohne Test. Einzig notwendig ist Antrag der Eltern.
Danke für diesen Beitrag!
Ich ärgere mich auch über diesen anderen Artikel. Aber im Internet findet man meistens nur die negativen Meinungen.
Vielen Eltern bleibt nichts anderes übrig als ihr Kind mit 5 einzuschulen. In jedem Bundesland gibt es eine Stichtagregelung und da fallen viele 5jährige darunter.
Wir haben positive Erfahrungen mit der Einschulung eines "kurz vor dem Stichtag geborenen". Ich würde es immer wieder machen. Ein Gedicht meines Kindes lautete: Lieber Gott, vielen Dank für die Schule und ...das sagt alles.
Guter Artikel, aber was sind denn ostblockhafte Zustände? Da ich aus dem Osten komme, würde mich das schon interessieren ;).
Ich bin auch ein Kann-Kind gewesen und total zufrieden damit, wie es gelaufen ist. Mein Abi war das beste des Schuljahrgangs....
Meine Schwester musste springen genau wie Sie Frau Brüllen, weil sie erst im Januar 6 wurde.... Auch ihr ist das großartig bekommen.
Meiner Meinung nach wissen Eltern und KiGa-Erzieher meist ziemlich genau, was ein Kind kann und verkraftet, auch wenn es natürlich grundsätzlich nicht falsch ist, Regeln zu haben. Aber grade in solchen Fällen sollte der Ermessenspielraum breit sein. Ich konnte übrigens keine liegenden Achten malen - die sehen heute noch irgendwie unegal aus!
LG
Barnie, die bislang nur still mitgelesen hat
LG
Barnie
@Bergliese und @anonym: der Ostblockvergleich ist ein bisschen ungünstig, das gebe ich zu, ich beziehe mich auf den Vergleich im verlinkten Kann-Kind-Artikel.
Ich bin ein September- Kind und bin 3 Tage nach meiner Einschulung 7 geworden.
Ich habe mich die Grundschulzeit über entsetzlich gelangweilt, wir waren aber zu viert mit der Langeweile und haben uns allerlei Käse ausgedacht und hatten eigentlich eine echt Gute Zeit.
es kam zweimal der Vorschlag des Springens. Meine Mutter war strikt dagegen. Ich habe keine Ahnung was passiert wäre mit springen. Ich kann nur sagen, daß ich auch später im Gymnasium mich nicht wirklich anstrengen musste, außer in Latein, das habe ich leider nicht getan und damit schlechte Noten geerntet.
Als ich an die Uni kam musste ich das erste Mal im Leben lernen zu Lernen. Das war hart, ich hatte keinen Plan. Nun ist ein Medizinstudium per se ein recht lernintensives Studium. Ich habe es trotz aller Widrigkeiten ( und der eigentlichen Unlust, denn das war ja nicht mein Wunsch Medizin zu studieren, sondern der meiner Mutter die mich ziemlich unter der Fuchtel hatte) erfolgreich abschließen können und nebenher noch ein zweites Studium studieren können.
Ich würde gerne sehen, was gewesen wäre, hätte ich Springen dürfen. Ich wäre ja nicht wirklich jung gewesen. Ich bin ja im September geboren.
Nun habe ich zwei Kinder, die beide 5 jährig in die Schule gekommen sind. Bei der Tochter war es keine Frage, sie ist Ende Oktober geboren, alle ihre Freunde gingen in die Schule, sie ist fit gewesen. Ich bin überzeugt bisher, es war richtig. Und ich finde es schön zu wissen, daß sie, wenn denn G8 doch zu stressig ist, ein Reservejahr hat, was sie problemlos ausnutzen kann.
Der Sohn ist schon komplizierter. Ich halte ihn für mathematisch inselbegabt, sonst auch keinesfalls blöd, er hat einen Schatz an unnnützem Detailwissen, der mich täglich fasziniert. Aber er ist ein Junge der gerne träumt- hochwissenschaftlich und philosophisch träumt. Und nun gibt es Stimmen die sagen: Klar, das liegt daran, daß er zu früh in die Schule gekommen ist ! Ich behaupte, daß ist seine Art und mache mir Sorgen, ob er als Erwachsener als alltagsuntauglicher Nerd in einem Kellerloch hockt und vor dem Rechner versauert.
Immer wieder kommen Zweifel an der Richtigkeit der Früheinschulung, die sich aber sofort aus dem Weg räumen lassen mit dem Gedanken an die Alternative: Was wäre gewesen, wenn er noch im Kiga geblieben wäre ?
Es ist alles nicht so einfach, und es gibt sicherlich keine Patentrezepte, es hängt unheimlich viel vom Lehrer ab, mit dem vom Sohn gibt es beispielsweise nur Probleme.
Es hängt vom Schulsystem ab, den Möglichkeiten individueller Förderung....
Aber als Eltern hat man doch ein gewisses Bauchgefühl und das ist dann doch meistens wegweisend
Ich wäre ein Kann-Kind gewesen. Aber meine Eltern haben sich dazu entschieden mich erst ein Jahr später, also mit 7, einzuschulen. Ich mache ihnen keinen Vorwurf daraus, denn sie haben es sicherlich gut gemeint. Ich wäre die einzige aus der Kindergartengruppe gewesen, die eingeschult worden wäre. Wäre ich heute in der Situation meiner Eltern würde ich anders entscheiden.
Die 10. Klasse lief bei mir nicht so super. Ich hatte keine Freunde und das wirkte sich leider auf meine Noten aus. Also habe ich eine (freiwillige) Ehrenrunde gedreht. Leider musste ich dann auf mein Austauschjahr in USA verzichten, denn eine abgeschlossene 10. Klasse war Voraussetzung und ein Jahr später war ich bereits volljährig. Keine Austauschorganisation nimmt volljährige Schüler. Der Zug war abgefahren. Als ich dann mein Abi in der Tasche hatte war ich fast 21. Ich fühlte mich immer zu alt zum Studieren und habe dann 'nur' eine Ausbildung gemacht. Ich frage mich oft wie alles gelaufen wäre, wenn ich mit 6 eingeschult worden wäre. Vielleicht ohne Ehrenrunde? USA? Abi mit 19? Wie gesagt, meine Eltern haben es nur gut gemeint, aber ich würde heute anders entscheiden. Der große Sohn wird im Dezember 6. Ich habe hier keine Chance ihn mit 5 einzuschulen. Der kleine Sohn wird im Juni 6 und ist ein Muss-Kind. Und das finde ich prima!
Nein, Schule ist kein Ende. Auch kein Ende für die Kindheit, egal wie sehr Eltern auch wünschen mögen, dass ihre Kinder noch klein bleiben.
Und jeder, der so argumentiert, und es seine Kinder so spüren lässt, nimmt ihnen ein bisschen Zauber. Die Freude auf Neues, den Stolz darauf, groß zu sein und dazu zu gehören. Den Optimismus und das Vertrauen, dass es schon irgendwie laufen wird.
Den Rücken stärken, hier und da ein Hindernis aus dem Weg räumen - dafür sind wir Eltern da. Nicht dafür, unseren Kindern im Weg zu stehen.
Sag ich jetzt mal so - aber fragt mich im September nochmal, wenn unsere Große in die Schule kommt ;-)
Schade, dass Du diesen klugen, lesenswerten Bericht mit einem Bashing gegen die beenden musst, die mit ihrer Hochbegabung nicht so gut klarkommen.
@Christian: ich weiss. Passt gar nicht zum Tenor von deinem Dorf-Artikel, den ich grossartig finde. Aber ich bin offensichtlich nicht ein so netter/guter Mensch wie Du (und das ist wirklich ernst gemeint, nicht ironisch)
Na, dann wünsche ich Dir - und auch das ist nicht ironisch gemeint - dass Du nette Menschen um Dich hast, falls Deine Privilegien mal bröckeln.
Dein Fazit kann ich nur unterschreiben - gerade zum Schulstart haengt ALLES von den Persoenlichkeiten - Kind - Lehrer - Eltern -ab. Ja und solange sich das Schulsystem nicht komplett wandelt-wird sich auch daran nix aendern...und wie das mit Veraenderungen halt so ist - ob es dadurch wirklich besser wird - sieht man erst Jahre spaeter - nach dem Prinzip es gibt nix positives ohne Schattenseite ...
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