Mittwoch, Januar 31, 2024

310124 kzh

Ich bin heute vor allem im Bett mit Wärmflasche und Tee, deshalb wird nix spannendes passieren. Aber ich habe eine lange Antwort auf eine Frage von der Wunschliste:

unterschiedliche Verpackungsarten für Medikamente je nach Region (z.B. die Blisterpackungen in Europa vs die orangefarbenen Plastikdöschen in USA, die von der Pharmacy befüllt werden), weil ich das interessant finde :-). Ich wundere mich, ob die Verpackungen in USA nicht fehleranfälliger sind (weil persönlich befüllt werden müssen?)

Aaaaaaaaaalso. Es ist nicht per definitionem so, dass die Verpackungskonfiguration von der Region abhängig ist. Primär muss die Verpackung dafür sorgen, dass das Medikament über die gesamte Verwendungsdauer stabil bleibt, d.h. vor Licht, Feuchtigkeit etc geschützt ist. Je nach Medikament sind diese Anforderungen unterschiedlich streng, es gibt so lichtempfindliche Wirkstoffe, die dementsprechend in Alu-Alu-Blister verpackt werden müssen, etc.

Dann muss die Verpackung natürlich sowohl der Krankheit als auch der Dosierung angemessen sein. Medikamente für Parkinson zB werden auch in Europa und überhaupt eher in Flaschen verpackt als in Blister, weil Parkinson-Patienten Mühe haben, Blister zu öffnen.

Medikamente, die aus einer Einzeldosis bestehen, also nur eine einzige Tablette, werden auch in den USA nicht in Flaschen, sondern Blistern verpackt.

Generell ist es aber schon so, dass es in USA die allermeisten Medikamente in Flaschen und nicht in Blistern gibt. Damit sind aber nicht die aus Filmen und Serien bekannten orangenen Plastikdöschen gemeint, sondern die Herstellerverpackung. Ich kann auch nur dazu was sagen. Welche Medikamente in der Apotheke noch dispensiert werden und warum das so gemacht wird: keine Ahnung. Aus Compliancesicht ist das ein Alptraum, ein rein manueller Prozess ist per definitionem eine massive Fehlerquelle.

Nun aber zu dem US-Bottle-Fetisch (Mensch, endlich kann ich mein Wissen aus dem mir selbst auferlegten Crashkurs in childresistant packaging loswerden!):

In den USA müssen ALLE potentiell gefährlichen Substanzen und deshalb ALLE Medikamente kindersicher verpackt werden (Poison Prevention Packaging Act und 2008 Consumer Product Safety Improvement Act., kommt von der  US Consumer Product Safety Commission (CPSC)). WIE kindersicher eine Verpackung sein muss, hängt von dem R-Wert eines Medikaments ab. Der R-Wert sagt aus, wieviele Einheiten dieses Medikaments ein Standardkleinkind von, ich glaube, 11.5 kg, auf einmal einnehmen kann, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Die Verpackung muss dann so designed werden, dass in einem standardisierten Test-Setup (s. hier) maximal eine definierte Anzahl an Testkindern in einem bestimmten Zeitraum an diese Anzahl von Einheiten aus der Verpackung rankommen.

Je niedriger der R-Wert, desto gefährlicher das Medikament, desto besser muss die Verpackung sein (man denke da zB an Krebstherapeutika, da darf ein Kind an keine einzige Tablette rankommen, die Verpackung muss also einen R Wert von <1 erfüllen.).

Ausnahmeregel: Wenn ein Medikament so wenig schädlich ist, dass das Standardkind auch bei 8 oder mehr Einheiten keinen Schaden nimmt, wird ein Default-R-Wert von 8 festgelegt. Das heisst: egal, wie harmlos ein Medikament ist, die Verpackung (in den USA) muss sicherstellen, dass kleine Kinder keine 8 Einheiten rauspokeln können.

Diese Kindersicherheit muss für jede Darreichungsform und jede Verpackung auf dem Markt durch Tests nachgewiesen werden, das ist ein enormer Aufwand und Kostenfaktor und natürlich ein Risiko, weil wenn die Kinder findiger sind, als man denkt, muss man natürlich die Verpackung umdesignen.

 Und da sind Flaschen tatsächlich eine recht einfache Option: während Blister eben für jede Geometrie, Tabletten / Kapsel-Grösse, -Form, -Farbe neu getestet werden müssen und es immer unsicher ist, an wieviele die kleinen Racker tatsächlich rankommen, gibt es bei Flaschen nur "alles oder nichts". Ist ja logisch: wenn der Deckel einmal ab ist, hat das Kind Zugang zum gesamten Inhalt. Dementsprechend muss jede Medikamentenflasche einen R-Wert von <1 erfüllen, d.h. kein Testkind darf sie aufbekommen, unabhängig vom Inhalt. Und wenn ich mal so eine Flasche habe (und die gibt es mittlerweile wie Sand am Meer), kann ich da alles reinfüllen was ich möchte, von Smarties bis Chemotherapeutika, es wird immer kindersicher genug sein.

Und deshalb gibt es in den USA fast nur Flaschen (ausser natürlich für "mein" Produkt :-))

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Spannend !! Danke für diese Info

Heidi hat gesagt…

Super interessant, vielen Dank für die Darlegung! Ich hatte beim Auf- und Ausräumen eine alte Medikamentenverpackung (Antibiotika) aus meiner Zeit in den USA gefunden, und da habe ich mich gefragt, warum das in den USA (zumindest vor über 20 Jahren) ganz anders aussah als jetzt in Deutschland. Nochmals vielen Dank!

Susanne hat gesagt…

Vielen Dank fuers Erklaeren. Jetzt weiss ich endlich warum meine Migraenetabletten, die in Blister verpackt sind und zusaetzlich noch eine Klebefolie zum abziehen haben bevor man an die Alufolie vom Blister rankommt, mir vom Apotheker trotz all dem noch in der orangen Plastikflasche abfuellt werden.

Anonym hat gesagt…

Total spannend mit den Verpackungen, bitte mehr Input davon 👍🏻

Frau Brüllen hat gesagt…

@Susanne: die Peel-Push-Blister sind tatsächlich schon die kindersichere Verpackung, die der Hersteller garantieren muss. Die Geschichte mit den orangenen Döschen ist mir tatsächlich ein Rätsel...

Anna hat gesagt…

Danke für die Erklärung! Auch von mir ein " Bitte mehr davon". Bedarf es dafür Verpackungs- Ingenieure oder wer managt das in Europa/ Schweiz/ Deutschland?

Margrit hat gesagt…

Spannend! Aber was ist denn jetzt mit den europäischen Kindern und unseren Blistern?

Frau Brüllen hat gesagt…

@Margrit: da steht auf den Packungen: "Ausserhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren" :-)
@Anna: zumindest bei uns wird all das global gemanaged, d.h. all das wird von der globalen packaging development Organisation am Headquarter entwickelt, jeweils entsprechend den Produktanforderungen und den lokalen Anforderungen.