Samstag, Juli 16, 2022

160722 arrividerci!

So, während der Hübsche uns über den Apennin zum nächsten Supercharger (entweder bei Mailand oder, wenn wir mutig wären, bei Como) chauffiert,  Sansa sich freut, dass ihr Brudi wieder da ist (der gerade bei den Nachbarn ein zweites Frühstück einnimmt), hier also mein Take zu "Zum Paradies":

Ich habe "Ein bisschen Leben" seinerzeit verschlungen und kann die zT extrem negativen Kritiken ("trauma porn") nicht nachvollziehen, aber vllt bin ich zu einfach gestrickt.

Dementsprechend begeistert habe ich mich auf "zum paradies" vorgefreut: einen dicken Wälzer, der, so die Ankündigung, in einer Parallelrealität eine verzweigte Familiengeschichte über 3 Jahrhunderte erzählt,  alle verbunden durch ein Haus am Washington Square.
Erste Ernüchterung bei der Leseprobe: gar nicht mal so mitreißend, wie privilegierte Menschen über Seiten und Aberseiten um ein Abendessen rummäandern, also erstmal vertagt auf "wenn ich mal wirklich Zeit und Musse habe" und das war jetzt im Urlaub. 

Also: executive summary vorneweg: dieses Experiment ist gnadenlos gescheitert. Mein Rat: Sparen Sie sich 450 Seiten ärgerliche Langeweile und lesen nur den dritten Teil, der ist richtig,  richtig gut.

Der erste Teil spielt 1893 in einen fiktiven New York, wo es ganz normal ist, dass homo- und heterosexuelle Ehen gleichberechtigt sind. Es gibt keine vereinigten Staaten, sondern eine Art Konstrukt aus Freistaaten (incl New york), Amerika, dem Westen und so ungefähr. Es gibt irgendwelche Arten von Unabhängigkeitskriegen, es sind natürlich nicht alle gleich frei, sondern die "Negroes" zb werden zwar nicht offen verfolgt, aber da haben möchte man sie auch nicht. All das birgt Stoff für so viele Geschichten und Spannungsfeldee und Gedankenspiele, aber nein, es wird ein Bankiersenkel als Hauptperson ausgewählt,  der vor lauter Privilegiertheit total lebensunfähig ist und über 200 Seiten sich selber beim Zehenwackeln leidtut. Ich hätte so gern mehr über diese Utopie erfahren,  aber nein: es geht nur um den langweiligen selbstmitleidigen Heuli.

Der zweite Teil spielt 1993 während der Aidskatastrophe (ich habe mindestens zwei unglaublich gute Bücher zu diesem Thema gelesen) und verknüpft das in einem Rückblick mit der "Eingliederung " von Hawaii in die USA und Unabhängigkeitsgedanken. Auch hier: was hätte man daraus machen können! Stattdessen: gelangweilter junger Mann macht sich Gedanken drüber,  ob er oder die alternden,  kranken Freunde seines alternden reichen Liebhabers beim jungen hübschen Kellner eher zum Stich kommen. AIDS? Rassismus? Jaja, egal. Im Rückblick gibt es noch die Hawaii-Story, aber auch da: die Hauptperson ist so phlegmatisch, dass sie sogar das Laufen verlernt und katatonisch in einem Heim landet,  aber auch das ist irgendwie, Sie ahnen es, total egal.

Bis zu diesem Band sind die Hauptpersonen immer schule Männer, Frauen kommen nur total am Rand vor. Es gibt Stimmen, die dem Buch Rassismus und Fatshaming vorwerfen,  das kann ich nicht beurteilen,  das ist vor lauter Nix und Egalheit einfach untergegangen.

Die vielbeschworene Verbindung zwischen den einzelnen Teilen ... naja. Es kommt halt eine sehr begrenzte Anzahl an Vornamen vor, irgendwie ahnt man vage, dass der Bankierssohn nach Kalifornien ging und von dort die Familie "Könige von Hawaii" wurden, und dann irgendwie vor und zurück wieder in New York gelandet sind und irgendwann kam immer mal das Haus am Washington Square vor, aber das ist, genau, egal.

Der dritte Teil jedoch hat es in sich: erstens ist erstmals eine Frau eine der beiden Hauptpersonen, und dann passiert endlich mal was: 2093 ist die Welt seit Jahrzehnten von verschiedensten Pandemien durchgeschüttelt, wir erfahren das aus der Perspektive von Charlie, dwe Enkelin eines Wissenschaftlers, der das "vorher" noch kennt und im Rahmen der Pandemiebekämpfung Dinge getan hat, die  Nachgang vielleicht nicht richtig waren. Vielleicht aber nötig? Seine Geschichte erfahren wir aus Briefen an einen Freund, in denen er dein wachsendes Entsetzen ob der Änderungen und Auswüchse in der Gesellschaft Ausdruck verleiht.  Die Dystopie 2093 und die Vorgeschichte sind definitiv keine Aufsteller, sondern haben mich tatsächlich am Ende des Buches mit Tränen in den Augen zurückgelassen, aber holla, da steckt echt viel Stoff zum Nachdenken drin.

Also: keine Ahnung,  was Hanya Yanagihara oder ihre Lektoren geraucht haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass 450 Seiten nervige Langeweile die richtige Einstimmung für ein sehr superes Pandemie-buch wären, ich finde, das war eine sehr ungute Entscheidung. 

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