Dienstag, April 21, 2020

210420 Parallelwelten

Heute morgen war ich recht nervös, weil der Hübsche ja seinen Endokrinologietermin im Unispital hatte und unverhältnismässig erleichtert, als er heil wieder da war, obwohl wir ja wissen, dass wir erst in zwei Wochen wissen werden, ob die Isolationsstrategie des Unispitals aufging oder er sich (und uns) doch eine Überraschung mitgebracht hat. Er berichtete von Ausschilderung für Covid-19-Verdachtsfälle und eben alle anderen schon im Parkhaus, der Eingang ist natürlich auch voneinander getrennt und ins "normale" Krankenhaus kommt man nur an Zivilschutz und Security vorbei, wenn man einen Bestätigung für einen Termin vorweisen kann. Alles medizinische Personal trägt Masken und Handschuhe, es wird überall darauf hingewiesen, dass diese NICHT an Patienten oder Besucher ausgegeben werden können. Alles in allem war es recht leer, aber in der Endokrinologie brennt auch sonst nicht die Luft. Wie so ein Hütehund bin ich auf jeden Fall sehr froh, alle meine Schäfchen wieder hier im Haus zu haben.

Arbeit: heute recht anspruchsvoll, den Vormittag mit vielen Details und einem virtuellen Townhallmeeting verbracht (ich mag das ja, dass ich jetzt all die Wohnzimmer nicht nur der Kollegen, sondern auch der gesamten Konzernleitung kenne. Ich vermute allerdings, dass die Tochter meiner Oberstchefin ein bisschen gelangweilt war, als sie dann heute gut sichtbar im Hintergrund brav Hausaufgaben machen musste. Ich glaube, sie hat sich gegen Ende langsam aber sicher in den Vorhang gewickelt, leider wurde dann irgendwann zur HR-Frau abgegeben, deshalb fehlt mir die Auflösung. Ich bin übrigens unverhältnismässig stolz, dass eine von mir via Frageapp gestellte Frage im Meeting zur Beantwortung ausgewählt wurde und das tatsächlich sehr spannend war), den Nachmittag von halb eins an durchgehend in Meetings, die so ineinander verzahnt waren, dass ich aus einem Hangoutnachrichten ins parallel stattfindende andere schrieb, um den schnellstmöglichen Informationsfluss sicherzustellen.

Schule:
Q. hatte heute sein erstes Zoom-Meeting mit der gesamten Klasse. Dank Learning bei Zuhöring wusste er schon genau, dass die Standardsätze "Can you see my screen?" und "Oh, sorry, I think I was still on mute" sind. Nur halt auf Schweizerdeutsch (L. macht sich Sorgen, dass er Schweizerdeutsch verlernt, weil er so lang mit uns eingesperrt ist, wir müssen für mehr Videocalls unter native speakern sorgen). Das Einloggen der gesamten 23 Klassenkameraden hat super funktioniert, es gab kein Hintergrundgetöse, jeder kam zu Wort, alle kommen mit dem neuen Setup gut zu Rande, sie werden sich jetzt so alle zwei Tage im Plenum treffen.
Q. kommt mit den Lektionen sehr gut zurecht, das tägliche Sportprogramm, das wir ihm aufgebrummt haben, kommt ihm jetzt sehr zupass, weil sie ihre Sporteinheiten für den Sportunterricht protokollieren müssen. Mit seinem Gruppenkollegen für die Deutscharbeit überlegt er sich, wie sie das fiktive Interview als Zoom oder Hangout oder ähnliches aufzeichnen und dann einreichen können. Alle Lehrer haben ihre Stoffe und Aufgaben und Erklärungen dazu in unterschiedlichen Formaten hochgeladen, natürlich je nach Technikaffinität oder Ausstattung, aber man merkt allen an, dass da viel Herzblut und Arbeit drin steckt. Die Schüler nehmen das alles erstaunlich gelassen hin und arbeiten halt jetzt zu Hause, Kontakt besteht und bestand ja auch vorher schon in diversen Chatgruppen, das ist alles viel unaufgeregter, als man glauben möchte.

L. hatte heute ein wenig Mühe, sich zu konzentrieren respektive von Repetition auf neuen Stoff umzuschalten. In der neuen App gibt es an sich superstrukturiert den Wochenplan für die einzelnen Fächer, die Aufgaben in verschiedenen Formaten je nach Endgerät, die Lösungen, Erklärvideos, die die Lehrpersonen aufgezeichnet haben (man glaubt nicht, was für ein Leuchten über die Schülergesichter gehen, wenn sie die Stimme oder die Handschrift ihrer Lehrer hören/sehen). L. war allerdings von den letzten Wochen gewohnt, dass die Aufgaben selbsterklärend sind und man sich die Erklärung gar nicht gross anschauen muss, da kam er ein bisschen ins Schwimmen und er (und ich) haben das ein bisschen spät gemerkt, dass da was schief läuft. Es wurde dann aber doch alles gut, ich habe eine sehr seltsame Eselsbrücke für die Doppelkonsonantenregel gelernt (aus dem Deutschbuch), das liess sich dann doch alles viel einfacher lösen als von L. gedacht.
Morgen setzt er sich wieder neben mich am Vormittag, dann habe ich das Grossraumbürofeeling mit einem summenden kleinen Kollegen, er fragt mich je nach Schnaufen, ob ich grad voll genervt bin oder einen Kaffee möchte, und ich kann in die richtige Richtung stupsen, wenn zB mehr Gehirnschmalz darauf verwendet wird, ob ein Foto von der Himbeermarmelade oder dem Honig besser als Profilbild für die Lernapp ware.

Heute abend waren wir alle rechtschaffen müde (nach Rennprogramm dann alle auch körperlich, nicht nur im Kopf), ich nähe jetzt noch die letzten zwei Babypullis fertig, dann kommen die Nähmaschinen wieder auf den Speicher!

Gegessen:
Brot mit Honig
Salat mit gebackenem Cambembert (ohne fiese Panade) und frisches Brot
Pasta mit grünem Spargel, Tomaten und Parmesan

Getragen:
Heute kam die Lieblingshose in die Wäsche, ich hoffe, der morsche Stoff überlebt das, grad jetzt, wo das eine Knie ja schon gerissen ist


Gelesen:
"Überbitten" und aus Gründen die Berliner und Bayerischen Corona-Regel-FAQs. Nein, da gibt es keinen Interpretationsspielraum, so sehr sich das mancher auch wünschen mag. Ich bin ehrlich schockiert, wütend und sprachlos, dass solche Diskussionen überhaupt in unserem erweiterten Familienkreis geführt werden (müssen)..

Gesehen: "Bosch" (unser Retirementplan, hier irgendwann die Zelte abzubrechen und nach Südkalifornien ans Meer zu ziehen, ist immer noch aktuell. Allerdings müssen wir dafür noch echt viel Kohle auf die Seite legen :-))

Stressleveldurchschnitt gestern: 40 (hat sich gar nicht soooo schlimm angefühlt, aber ein Grossteil vom Stress war anscheinend im Schlaf)
Selbstbeweihräucherung: Es geschafft, L. nach ein paar dicken Tränen nicht nur zu trösten, sondern auch wieder ins richtige Fahrwasser zu bringen. Obwohl ich nun echt kein natural born Pädagoge bin.