Dienstag, Dezember 18, 2018

All the feelz

Heute abend war es für den inneren Ausgleich wichtig wie selten, mich auf dem Crosstrainer auch physisch müde zu strampeln. Emotional war der Tag nämlich extrem anstrengend, ich bin sozusagen gefühlserschöpft. (Und jetzt auch körperlich, das passt dann wieder).
Es fing damit an, dass mich Google Photos so weckte:

Sieht nett aus, man könnte denken "Oh, schau, so schön, wäre cool, wenn es am Samstag auch wieder schneien würde, dann würden wir wieder in den Wald gehen zum Christbaum holen anstatt einen schon geschlagenen auf dem Werkhof vom Förster zu kaufen".
Was ich aber dabei denke: "Puh, dieser Tag ist jetzt 8 Jahre her. Wir hatten die bis dato schrecklichste Nacht unseres Lebens überstanden und wussten nicht, dass es noch munter weitergehen würde. Der Hübsche hat für Q. Normalität geschaffen, während er in Gedanken bei Little L. und mir auf der Intensivstation bei der Elektrokonversion war." Mittlerweile ist ja alles wunderbar, es ging so glimpflich aus, wie man es sich nur hätte wünschen können, ich denke jedes Jahr, dass ich jetzt aber wirklich drüber weg bin, und trotzdem, wenn ich an diese Bilder sehe, schiessen mir immer noch die Tränen in die Augen.

Naja, ich habe also Little L. besonders fest geknuddelt heute morgen und bin dann nach ein bischen frühmorgendlichem Arbeiten ins Nachbarstädtchen gefahren, Strubbellook in zivile Bahnen lenken lassen und dabei ein, zwei Überstunden loswerden. Wäre alles entspannter gewesen, wenn ich nicht zeitlich sehr knapp in Folge den Nupsi-Kontrolltermin im Brustzentrum gehabt hätte und deshalb "Sorry, ich habe nur kurz Zeit" auf die Speedvariante ohne Kaffee, ohne zweite Haarwäsche und mit nicht mal der Gala ganz durch (Immerhin so weit, dass ich weiss, dass die Queen süssen Gewürztraminer zum ChristmasDinner serviert und man sagen muss, dass man den mag, sonst ist es unhöflich. Bei Königs ist es auch nicht immer alles toll!) gedrängt hätte, um dann nach Basel zu sausen.
Mehr als rechtzeitig war ich also da, und ... wartete. Ich wusste ja, dass alles gutartig war, dass die Kontrolle auch nichts anderes ergeben würde und so. Eigentlich. Und dann sass ich im Mammographiewartezimmer. Unter Broschüren zu "Krebs im Alltag", "Lebensfreude trotz Krebs", "Krebs, und dann?". Neben Frauen, die bleich und zittrig und wortlos nebeneinander sassen. Und wartete und wartete und wartete. Und nach einer Dreiviertelstunde war ich, obwohl ich ja wusste, dass alles gut war, einfach innerlich durch.
Die Untersuchung war dann, naja, meine Güte, toll ist das nicht, aber ich hatte schon ein paar Blasenspiegelungen, ich bin ganz gut im Sachen aushalten. Es ist nach wie vor alles gut, ich durfte praktisch nicht gehen, bevor ich nicht glaubhaft versichern konnte, dass die Take-home-Message des Tages "Es. ist. alles. in. Ordnung. Und. das. bleibt. auch. so." ist. Ich bin ja selber nicht so ein Empathieprofi und eher im Fettnäpfchen als zwischen den Zeilen daheim, und so war ich echt beeindruckt, als er während der langen Ultraschalluntersuchung auf einmal meinte: "Ach, Sie müssen sich übrigens überhaupt keine Gedanken machen, weil ich grad eine Zeitlang überhaupt nichts gesagt habe und da extra genau schaue, das heisst nix schlimmes, ich will mir nur die Narbe genau anschauen." Weil: ungefähr 30 Sekunden davor hatte ich mir gedacht: "Na super. Langes Schweigen beim Ultraschall. Been there, next stop Biopsie."
Also. Nix schlimmes, ich habe halt viele kleine und ein paar nicht so kleine Fibroandenome, produziere noch Hormone und deshalb solldarfmuss ich in einem Jahr nochmal zur gleichen Kontrolle kommen, um das Wachstum dieser "GUTARTIGEN,  das müssen Sie sich immer sagen" Knubbel zu beurteilen. Tja. Dann halt.



Leicht derangiert (ich sag nur: Ultraschallgel unter Seidenbluse.) landete ich endlich bei der Arbeit, wo ein Meeting das nächste jagte, gipfelnd in dem "Annual Contribution Review", zu dem mein Chef mich gestern bestellt hatte. Ich wusste nicht genau, was erwarten, weil eigentlich ist der Performance Review, wie das bis letztes Jahr hiess, immer eher kurz vor der Lohn-/Bonusrunde im April, dachte ich zumindest, aber wer weiss das schon so genau. Auf jeden Fall war ich nicht ganz darauf vorbereitet, welche Lobrede mein Chef vom Stapel liess. Sogar ohne jede Einschränkung, an der ich sonst gerne mal ewig weiter drauf rumgedacht habe. (Kein Augenrollverbot mehr!) Ich bin (und war auch im Gespräch) echt ehrlich und habe gesagt, dass das Jahr viel anstrengender war als ich gedacht hätte und dass ich auch finde, dass ich das alles "schon ganz gut" hingekriegt habe und dass das nur ging, weil ich meinen Job (und die Gruppe) wirklich von Herzen gern mache (und habe). Dass das gesehen und gewürdigt wird, freut mich natürlich wie ein Schnitzel, auch wenn ich danach ein wenig sinnieren musste, ob das nur deswegen so gesehen wird, weil man mir alles auf 100m gegen den Wind vom Gesicht ablesen kann, sei es dass ich begeistert, traurig, erschöpft, genervt, frustriert oder  im Durchbeissmodus bin, und weil ich das und alle Erfolge und Misserfolge auch immer sehr offen kommuniziere. Und ob vielleicht andere Kollegen, die nicht ganz so offene Bücher sind, mindestens genausoviel leisten, aber das nicht so gesehen wird, weil sie nicht damit hausieren gehen? Naja, ich bin dann anscheinend doch nicht vollends gegen Anflüge des Imposter -Syndroms gefeit, weil meine Güte: ich habe mich echt richtig reingehängt das Jahr (naja, immer eigentlich, aber dieses Jahr gabs extraviel zum Reinhängen) und da ist es toll, wenn das gesehen und gewürdigt wird.
Punkt.
Tagesabschluss war dann noch ein Meeting, in dem über "Role of the QPL in the approval process of process performance analysis reports now and in the future" diskutiert wurde. Das war Gottseidank emotional eher neutral, wie so eine Art Sorbet in diesem fulminanten Gefühlsmenü heute.

So.
Stressleveldurchschnitt gestern: 52
Selbstbeweihräucherung: kein einziges Mal richtig geheult.