Ich muss sagen, ich bin im Prinzip ein zutiefst unpolitischer Mensch. Das kann man mit Faulheit begründen, mit der Abneigung gegen Taktieren, Bündnisse schliessen, keine Lust auf Spielchen, kein Verständnis für Diplomatie, mit Desinteresse, mit mangelndem Pflichtbewusstsein. Ich habe zu vielen Dingen eine Meinung, so finde ich eine Frauenquote gut, das Betreuungsgeld bescheuert, die Wehrpflicht schon lang abschaffungswürdig, das Nichtrauchergesetz grossartig, den Atomausstieg dringend nötig, so Sachen. So weit, dass ich mir in unserer Zeit in der Schweiz Briefwahlunterlagen geholt hätte, kam es aber noch nicht.
Da kommen wir nämlich auch schon zum Punkt: seit über 10 Jahren leben und arbeiten der Hübsche und ich in der Schweiz. Wir haben uns vor über 10 Jahren in Deutschland abgemeldet, nach ungefähr 4 Jahren hat das auch das Finanzamt München I, Aussenstelle Deggendorf, eingesehen und aufgehört, uns Aufforderungen zur Steuererklärung zu schicken. Wir arbeiten bei einer schweizer (bzw. der schweizer Dependance einer holländischen) Firma, unsere Löhne entsprechen dementsprechend dem schweizer Niveau (= viel mehr als in Deutschland), wir zahlen unsere Steuern in der Schweiz (= viel weniger als in Deutschland), wir zahlen die schweizer Lebenshaltungskosten (= viel, viel mehr als in Deutschland; also: grösstenteils, weil wir sehr nah an der Grenze wohnen und so unsere Lebensmittel in Deutschland einkaufen) in Sachen Wohneigentum, in Sachen Vereinsbeiträge, Kinderbetreuung (wohooooow), in Sachen Auto, Versicherungen (wohoooow, die zweite), Dienstleistungen, ÖVs.
Wir nutzen das deutsche Strassen- und Schienennetz nahezu nicht, wir nutzen keinen deutschen Kindergarten, keine deutsche Schule, wir gehen nicht zu deutschen Ärzten (und wenn, dann würde unsere schweizer Krankenkasse ein Vermögen dafür bezahlen, das wiederum aus dem Vermögen, das wir an unsere Schweizer Krankenkasse bezahlen, bezahlt wird), wir haben weder deutsche Renten- noch Arbeitslosenversicherungen.
Tja. Und jetzt kommt rot-grün und sagt: wir sind jetzt total sozial gerecht und alle
Spitzenverdiener müssen 49% Steuern zahlen und ausserdem müssen
alle deutschen Staatsbürger in Deutschland Steuern zahlen, egal wo sie arbeiten und leben. Da der Hübsche und ich nach Ansicht von Herrn Gabriel Spitzenverdiener sind (ohne Witz: sogar mein Teilzeitgehalt würde als Spitzengehalt eines Alleinverdieners gelten, wobei ich da jetzt auch verschiedene Grenzen gefunden habe...) sollten wir also nach Wunsch von Herrn Trittin die Hälfte unseres Einkommens in Deutschland als Steuern bezahlen (gut, abzüglich der Steuern, die wir schon in der Schweiz gezahlt haben). Mit dem Rest, der uns bleiben würde, wären wir in der Schweiz vermutlich
armengenössig und hätten Anspruch auf staatliche Beihilfe bei Krankenkasse, Kinderbetreuung etc..
Klar, man könnte sagen, der Hübsche und ich haben eine aus deutschen Steuergeldern finanzierte Ausbildung genossen, die es uns erst ermöglicht, in der Schweiz den grossen Reibach zu machen, aber: dafür haben unsere Eltern mehr als genug (an Steuern) bezahlt und wir sind damals nicht aus reiner Geldgier in die Schweiz gegangen, es gab damals in Deutschland einfach nicht die Jobs, die wir wollten.
Und ganz ehrlich: ich überlege zwei Dinge: erstens: ich hole vielleicht doch Briefwahlunterlagen oder aber ich lasse meine Aufenthaltsbewilligung nicht nur verlängern (ist mal wieder fällig), sondern erkundige mich mal bei uns auf der Gemeinde, was denn nötig wäre, um die Schweizer Staatsbürgerschaft anzunehmen. Mehr als der Bundesadler in meinem Pass verbindet mich ja nicht mehr unbedingt mit Deutschland.... oder doch? Vielleicht mache ich das doch von dem Ausgang der Bundestagswahl abhängig....
Nachtrag: und jetzt kommts raus: Politik und ich, das heisst gesichertes Halbwissen. Ich bin mir (fast) sicher, dass ich die Geschichte mit der USA-artigen Doppelbesteuerung in irgendwelchen Nachrichten gesehen oder zumindestens auf halbem Ohr gehört habe. Aufhänger war, sozusagen die gemeinen Steuerflüchtlinge wie die Schumachers und Vettels und Beckenbauers (und Brüllens) dieser Welt eben auch in Deutschland zur Kasse zu bitten. Jetzt finde ich das natürlich nirgends mehr und die Recherche in Wahlprogrammen etc. bestärkt mich wieder in der festen Meinung: Politik und ich, das wird nix.
18 Kommentare:
jetzt bin ich aber mal gespannt auf die kommentare deiner deutschen leserinnen… ;-)
Wow- super Post mit starkem Inhalt.
Den Rücken zu kehren wäre die logische Konsequenz, wenn die wirklich meinen so etwas .... anzunehmen.
Auch wenn du ungerne politisch wirst- das Ja zu einer Frauenquote hätte mich brennend interessiert.
Lg aus dem Kleinbasel
Nolumi
Hallo Frau Brüllen,
ich habe davon bisher noch gar nichts gehört, dass deutsche Staatsbüger in Deutschland Steuern zahlen sollen, Doppelbestuerungsabkommen hin oder her. In den beiden von Ihnen angeführten Artikeln finde ich dazu auch nichts.
Aber sehen Sie es doch locker: Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf und gerade in der Politik gilt doch: Was man verspricht, vergisst man später aber ganz schnell wieder und halten muss man sich sowieso nicht dran. Und wenn es passt, ändert man je nach Windrichtung die Meinung auch mal schnell um 180 Grad. ;-)
Also auch weiterhin einfach durchatmen und weiterleben wie bisher! :-D
LG, Kathi
Hmm, schwieriges Thema.
Was rot-grün da fordert, dass alle deutschen Staatsbürger in Dtl. Steuern zahlen sollen, egal, wo sie leben, ich glaube, das ist nicht durchsetzungsfähig. Ob du jetzt persönlich wählen gehst oder peng, ich an deiner Stelle, würde mich um die Schweizer Staatsbügerschaft bemühen. Wer weiß, was die sich in den nächsten Jahren noch ausdenken. Welche Staatsbügerschaft haben deine Kinder? Automatisch die der Eltern?
BITTE WIE?.?????
Knallt es bei denen?
Ich bin ja bereit die Steueterhöhung zu zahlen, aber dass Deutsche im Ausland die dort steuerpflichtig sind nochmals in DE zahlen sollen, kann ja nur ein schlechter Witz sein.......
Wtf.......ich geh mal genauer das Wahlprogramm lesen
Ich verstehe Euren Ärger.
Ich bin für eine höhere Besteuerung der Sehr-gut-Verdiener ,aber nicht wenn sie im Ausland leben und dort Steuern zahlen + die ganzen anderen Kosten. Ich kann mir auch nicht vorstellen das dies genau so umgesetzt werden kann.
Ich bin grundsätzlich dafür, dass diejenigen, die in Deutschland leben und potentiell die Infrastruktur nutzen, auch ihren Anteil daran leisten sollen. Dabei ist es egal, ob ein Kinderloser auch für Kitas mitbezahlt oder ein Autofreier für die Autobahnen. Wir bezahlen unsere Steuern nicht zweckgebunden.
Die Kopplung an die Staatsbürgerschaft halte ich nicht für sinnvoll. Ich sehe ein, dass man verhindern möchte, dass Reiche ins Ausland ziehen um Steuern zu sparen. Allerdings betrifft das nur eine Minderheit der im Ausland lebenden Deutschen. Ich kenne viele, die im Ausland leben, weil es ihre Jobs in Deutschland einfach nicht gibt. Und letztendlich kann man niemandem vorschreiben wo er zu leben hat und aus welchen Gründen.
Ich bin weit weg von einem Spitzenverdienst und eher in der Kategorie derer, die zu reich sind für jegliche Leistungen vom Staat und zu arm um stress- und schuldenfrei durchs Jahr zu kommen (an Urlaubsreisen oder Wohneigentum ist gar nicht zu denken. Und das trotz Studium und Promotion, aber das nur am Rande). Ich kann mich nur schwer in die Lage von Spitzenverdienern denken. Mich macht es wütend und mutlos, wenn ich sehe, dass manche Millionäre gerade mal so viele Steuern zahlen wie ich. Ich verstehe nicht, warum Reiche sich einerseits ums Steuernzahlen drücken um dann ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken, weil die staatlichen Schulen so schlecht ausgestattet sind. Oder großzügige Spenden leisten an Organisationen, die aus Steuermitteln nicht mehr finanziert werden können. Das ist ein Thema, dass viele Menschen emotional berührt und deshalb prädestiniert als Wahlkampfthema. Höhere Steuern sind toll - wenn andere sie zahlen. Warum nicht die im Ausland lebenden Deutschen?! Die werden nur leise protestieren oder ihre Staatsbürgerschaft aufgeben. Und die Parteien können sich hinterher damit brüsten.
ich glaube nicht, dass es so kommt, wie es momentan heißt, aber ich würde
1) wählen gehen (und dann aber auch voher genauer informieren, was man da wählt)
UND
2) trotzdem mich auch nach der Staatsbürgerschaft erkundigen gehen (wer weiß, wie leicht oder schwer sie es einem machen...)
Ich würde sagen abwarten und Tee trinken. Das würde solche Berge von Gesetzesänderungen nach sich ziehen...
Es existieren mit vielen Ländern Doppelbesteuerungsabkommen, wenn schon etwas geändert werden soll, dann schließlich wegen der Diskriminierung wieder für alle möglichen Länder. Das ist nettes Wahlkampfgeplänkel aber sowieso nicht umsetzbar. Hauptsache mal den Leuten, denen die Konsequenzen nicht bewusst sind mal ne Stammtischparole untergejubelt und den einen oder anderen Wähler dazu gewonnen.
Trotzdem eine Schweizer Staatsbürgerschaft kann sicher nicht Schaden...
*lach*
Also wer sich das einfallen lässt, der muss doch nimmer ganz sauber sein.
Man bedenke, es kommen auch ganz viele Menschen aus dem Ausland nach Deutschland und zahlen in den Steuertopf, obwohl sie diesen noch nie beansprucht haben.
Und genauso kommen viele nach Deutschland und beanspruchen Sozialleistungen, die noch nie etwas einbezahlt haben.
Unsere Abgeordneten sollen mal schön selber sparen. Und zwar in ganz vielen unnötigen Bereichen.
Da kriegste echt die Motten. :-D
Grüßle ein "Inlanddeutscher".
Grundsätzlich gilt da erst mal: "Es wird nix so heiß gegessen, wie es gekocht wird", deswegen würde ich doch erst mal die Wahlen abwarten (im Moment sieht's ohnehin nicht nach einem rot-grünen Wahlsieg aus). Für mich wirkt das jetzt alles sehr nach "Hoeneß-Aktionismus", und anstatt einfach mal - wie auch immer, ich bin weder Steuer- noch Auslandsexperte - dafür zu sorgen, dass es nicht mehr "so einfach" (gefühlt) ist, Geld ins Ausland zu verschieben und dort zu verstecken, wird halt jetzt mal wieder auf alle draufgehauen. Typisch deutsch.
Das wär ja wirklich extrem. Ich denke auch nicht dass es soweit kommt. Aber wissen tut man es erst wenn's soweit ist.
Trotzdem wäre das mit der schweizer Stattsbürgerschaft doch zu überlegen wenn ihr hier bleiben wollt. Dann könnt ihr wenigstens hier abstimmen und so die Schweiz mitgestalten.
Die Kriterien sind u.a. xy Jahre am gleichen Ort gewohnt zu haben, eine Landessprache zu sprechen und dann gibt es i.d.R. ein Gespräch mit der Behörde über die Schweiz, wie sie organisiert ist, bisschen Geografie und Geschichte. Wäre wohl nicht so ein Problem für euch. Kosten tut es dann auch noch, aber heute hält es sich einigermassen in Grenzen so viel ich weiss. Bis vor ein paar Jahren wurde man regelrecht abgezockt für den roten Pass.
Liebe Frau Brüllen,
Dein zugegebenes Halbwissen in allen Ehren - viel besser bin ich auch nicht bewandert - es ist nach momentaner Gesetzeslage nicht möglich dass ein Deutscher der in der Schweiz lebt und arbeitet in Deutschland nochmals besteuert wird. Was anderes bei Menschen die in D leben und in der CH arbeiten (Grenzgänger). Und das werden die Grünen - sollte es denn dazu kommen dass sie in der Regierung sitzen - nicht durchdrücken. Das widerspricht jeder Gesetzgebung in jedem europäische Land.
Das USA-artige Doppelbesteuerungssystem wurde gestern abend bei Stefan Raab von Gysi angesprochen...
Und da wurde es im Zusammenhang mit den Promis genannt, die in Deutschland ihre Geld verdienen, aber bewusst im steuergünstigern Ausland wohnen bzw. ihren Erstwohnsitz haben (wie auch immer sich das gestaltet).
Ich denke, wenn, dann sollte man auch da ansetzten. Menschen, wie Ihr, die mit Haut und Haar im Ausland wohnen, arbeiten, Steuern zahlen, Kinder großziehen, alle Vor- und Nachteile mitnehmen, sollte man da raus lassen.
Und zu sabingleichen: Am einfachsten wäre es doch, wenn das Ahlrecht an die Steuer gekoppelt würde. Wer als Nicht-Staatsbürger Steuern zahlt, sollte auch wählen dürfen. Ist ja auch nur mehr recht als billig, darüber bestimmen zu dürfen, wofür die (teuer) bezahlten Steuergelder "verwendet" werden.
Ich kann Unmut verstehen. Denke aber auch, dass man sich nicht immer nur die Rosinen rauspicken kann.
So nach dem Motto: ich bleibe zwar Deutsche, möchte aber nicht so behandelt werden (Thema Steuer) und mir das von der Schweiz nehmen was ich gut finde (Gehalt, Steuern, Kinderbetreuung etc).
Für mich wäre Konsequent: Hüh oder Hott, aber nicht alle Türen aufhalten.
Sorry, will nicht angreifen.
Katja
@katja: naja, im Moment nehme ich alles Positive und Negative der Schweiz (runtergebrochen: hohes Gehalt, niedrige Steuern, extrem hohe Lebenshaltungskosten) mit, von meinem deutschen Pass habe ich gar nix, abgesehen davon, dass ich in der Schweiz nicht mitabstimmen darf und zur Verlängerung etc. auf Konsulat/Botschaft muss. Von Rosinenpicken kann also nun keine Rede sein....
@katja und @FrauBrüllen:
Auch wenn Sie, Frau Brüllen, seit 10 Jahren in der Schweiz leben, so gehört ja der deutsch Pass irgendwie zur Ihrer Identität (wie weit sie sich damit identifizieren, können nur Sie beurteilen). Und so was legt man nicht so einfach ab. Das finde ich auch etwas vermessen.
Überspitzt gesagt müsste/sollte dann ja jeder, sobald er mal im Ausland arbeitet, die jeweilige Staatsbürgerschaft annehmen (mal ganz abgesehen davon, dass das zur Zeit u.a. in der Schweiz nicht sooo einfach ist).
Ich hab ja gut lachen, ich zahl in Frankreich keine Einkommensteuer (bzw. real zahlen wir negative Steuer, denn wir bekommen im Juni einen Scheck), aber dafür die hohen anderen Steuern, auf alles, was das Leben so kostet. Wohnungssteuer (Mietwohnungen in Deutschland werden nur beim Vermieter besteuert, nicht beim Mieter) beispielsweise.
Wobei hoch sich natürlich aufs Niveau bezieht, die Einkommen sind prinzipiell eher geringer, gemessen am Preis fürs tägliche Brot. Und andere Dinge, DVD-Rohlinge beispielsweise kosten hier selbst beim HardDiscounter das Doppelte wie im gleichen Laden in Deutschland.
Natürlich ist hier EU, und in der EU ist geregelt, alle Steuern werden im Land gezahlt, wo sie anfallen, und für Einkommensteuer werden zur Berechnung des Steuersatzes sämtliche Einkommen zusammengelegt, und der Steuersatz wird auf das im Land zu versteuernde Einkommen angewandt.
Ich versteh mich selbst nicht ganz, deshalb geb ich ein Beispiel: ein Ehepaar verdient in Deutschland 48000 Euro/J. und in Frankreich 24000 Euro/J. (das ist schon ein ordentliches Gehalt in Frankreich...). Besteuert werden sie dann auf Basis "72000 Euro zusammen", aber Deutschland erhebt nur 2/3 der Steuer nach deutschem Satz, und Frankreich nur 1/3 der Steuer nach französischem Satz.
Die Franzosen haben vor den Wahlen letztes Jahr auch mal getönt, Auslandsfranzosen müßten in Frankreich versteuern; daraufhin hat Gérard Dépardieu seinen französischen Paß abgegeben und ist Russe geworden. Aber die Sozialisten haben bisher nichts dergleichen eingeführt. (Über das, was sie gemacht haben, schweige ich lieber.) Da besteht also wenig Gefahr, daß in Deutschland so ein Neidgerede tatsächlich umgesetzt wird. Die Grünen und Linken können sich so ein Gepöbel schließlich leisten, solange sie wissen, daß sie einen Seniorpartner in der Koalition haben werden, der ihre Visionen auf das vernünftige Maß zurückstutzt.
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