211223 Storytime
So. Erster Urlaubstag ist bisher schon mal sehr befriedigend verlaufen für mich:
ich bin früh aufgestanden wie immer, habe meine Sporteinheit erledigt, mein blauglitzerndes neues Adventskalenderduschgel ausprobiert, das Kammerl des Grauens aus- und aufgeräumt (nicht alles, aber das, was nicht in Regalen verräumt war und sich so ausgebreitet hat. Jetzt ist da so viel Platz, dass der Hübsche vorgeschlagen hat, den Odunnebaum dort aufzustellen :-). Dann, weil morgen Friseur, Haare gefärbt und das ging diesmal super, ohne unschöne büschelweise Überraschungen danach. Dann habe ich den Wochen-/Weihnachtslebensmitteleinkauf erledigt (an einem Donnerstag. Vogelwild), dabei natürlich all das vergessen, was nicht auf dem Einkaufszettel stand, dafür die reduzierten Weinsonderposten genau unter die Lupe genommen. Daheim dann habe ich das erste Rezept aus dem neuen Kochbuch, das ich zum Geburtstag bekommen habe, angesetzt: vegetarische Alternative zur Hühnersuppe gegen alles (ich mochte den Hühnersuppengeschmack und das -Gefühl noch nie!). Zwischendrin gabs irgendwann Mittagessen, ich habe eine grosse Runde durch den Wind gedreht, einmal übers Werksareal, um zu schauen, ob sich Jonny da rumtreibt. Dabei ist mir aufgefallen, dass natürlich ganz viele andere noch keinen Urlaub haben und so habe ich schnell die Kapuze übergestülpt, damit mich niemand erkennt und anspricht und ich am Ende ein Arbeitsgespräch führen muss.
Soweit, so unspektakulär (wenn auch sehr befriedigend für mich)
Aber mir ist eingefallen, dass ich die Geschichte um L.s Notaufnahmenaufenthalt und Krankenwagenfahrt noch gar nicht richtig erzählt habe, ganz besonders den Teil noch nicht, den ich aus Leitersicht erst bei der letzten Elternratssitzung erfahren habe.
Also. Wir erinnern uns: Pfadiabteilung, Sommerlager, zwar in Solothurn, aber ganz nah an Aarau, also am Aargau. Es findet das sogenante "24h-Game" statt, in dem die Pios in verschiedenen Gruppen jeweils ihre Fahne, ihr Zelt aufrecht und ihr Feuer am Brennen halten müssen. 24h lang, im Wald, und natürlich gegen Angriffe von Leitern und den anderen Gruppen verteidigen und parallel am besten die anderen Gruppen daran hindern, ihre Ziele zu erreichen.
Das Ganze lief schon eine Zeitlang, als ein "Gegner" alle Heringe aus dem Zelt von Ls Gruppe zog und mit dem Bündel versuchte zu entkommen. L. stellt ihn, beide zogen an dem Bündel Heringe, der andere liess los, L. zog immer noch und rammte sich das Bündel gegen den Hals. Es gab keine offensichtliche Verletzung, aber durch den Schlag war er etwas beduselt, der Hals schwoll an und sie haben die Leiter, die in der Nähe am Schützenhaus einen Sanitäts- und Beobachtungsposten installiert hatten, informiert. Sie nahmen L. zu sich und als nach einiger Zeit klar war, dass es ihm zwar eigentlich ok ging, aber er wegen der Schwellung Mühe beim Atmen hatte und es ihm schon auch wehtat, beschlossen sie, dass da ein Arzt draufschauen müsste.
Wie erwähnt: Aarau, mit Kantons- und Kinderspital, war mit dem Auto nur etwa 10 Minuten entfernt, es war kein unendlich dramatischer Notfall, eigentlich hätten sie ihn mit ihrem Notfallauto da selber schnell hingefahren, keine grosse Sache. Aber: das Notfallauto war gerade auf dem Weg nach Hause mit zwei anderen Personen, die krank geworden waren. Die anderthalb, zwei Stunden, bis das Auto wieder da wäre, wollten sie nicht warten, also haben sie die Ambulanz gerufen. Wie man das als Pfadi in- und auswendig gelernt hat. Sie wussten, dass der Notruf jeweils kantonal behandelt wird, sie also in der Solothurner Zentrale in Olten (?) landen würden. Jeder Solothurner Krankenwagen würde länger brauchen als einer aus Aarau und sie würden L. eh ins nächst gelegene Krankenhaus bringen, also baten sie darum, doch die Info nach Aarau weiterzugeben und einen von dort schicken zu lassen. Wegen "mittem im Wald" klappte die automatische Standorterfassung während des Notruftelefonats nicht, sie gaben aber an: "Im Wald hinter Dorf xy, beim Schützenhaus, wir weisen ein".
Und dann warteten sie. Und warteten. Und warteten. Irgendwann sahen sie unten im Dorf Blaulicht kreisen, aber niemand kam. Sie verteilten sich strategisch auf die möglichen Zufahrtswege, um einen ankommenden Krankenwagen sofort einweisen zu können. Es kam aber kein Krankenwagen, sondern ... ein Kabrio mit 3 Männern in Hawaiihemden und Warnwesten, auf denen "First Respondern" stand. Die sprangen aus dem kaum stehenden Auto und wollten sofort "zu dem Herznotfall". Auf den Hinweis, dass es keinen Herznotfall gäbe, nur einen Halsnotfall und der auch nicht so schlimm wäre, sondern eben da hinten auf der Bank sässe, wollten sie sich nicht verlassen und begutachteten L. eingehend, bis sie zögerlich akzeptierten, das CPR nicht angesagt wäre. Sie hatten aber Funkgeräte dabei und kontaktierten mit denen den Krankenwagen, gaben durch, dass es KEIN HERZNOTFALL wäre, der kam dann aus dem Dorf in den Wald hochgefahren, die Sanitäter sprangen mit dem Notfallkit raus und überzeugten sich auch noch, dass L. wirklich kein CPR benötigte.
Dann atmeten alle erstmal tief durch, packten L. und Q. als Begleitung in den Krankenwagen. Ein Leiter holte in der Zwischenzeit aus dem Lager, wo die anderen Pfadis ihr Programm hatten, die Sachen, die L. für einen Krankenhausaufenthalt benötigte (Ladekabel, Powerbank, Handy, nicht, wie ich zB gedacht hätte: Zahnbürste, frische Kleider oder so) ab, brachte sie mit dem mittlerweile wieder zurücken Notfallauto ins Krankenhaus und begleitete L. und Q. dann bei den Untersuchungen und nahm Q. mitten in der Nacht wieder mit ins Lager.
Als L. auf dem Weg ins Krankenhaus war, hatten die First Responder in den Hawaiihemden und die verbliebenen Pios und Leiter beim gemeinsamen Durchatmen noch Zeit, aufzuklären, was denn eigentlich passiert war und warum es so lang gedauert hatte und warum L. kein Herznotfall war. Und das kam so:
Der Solothurner Notfalldisponent rief in Aarau an und ... man weiss es nicht, ob er/sie es sich falsch gemerkt / aufgeschrieben hatte oder in Aarau das falsch verstanden wurde, auf jeden Fall wurde aus "14jähriger mit Halstrauma am Schützenhaus" ein "14jähriger mit Herzproblemen am Schulhaus".
Mit dieser Prämisse düste der Krankenwagen also los mit Blaulicht und Tralala, weil Herzprobleme sind dringend. Am Schulhaus angekommen war da .... niemand. Kein 14jähriger, keine Herzprobleme, überhaupt niemand. Der Krankenwagen kreiste also, suchte den vermutlich zusammengebrochenen 14jährigen, die Pfadis auf dem Lagerplatz in der Nähe wurden recht nervös,, als der Krankenwagen kreiste und kreiste.... Als sie niemanden fanden, aktivierten sie das "First Responder Netzwerk" vor Ort. Das sind Leute, die in erster Hilfe ausgebildet sind und aufgeboten werden können, wenn eben die Zeit bis zum Eintreffen des Krankenwagens zu lang wäre, und direkt erste Hilfe geleistet werden müsste. Hier hoffte man vor allem auf Manpower und Ortkenntnis für die Suche. Die First Responder in diesem Dorf sind recht deckungsgleich mit der Feuerwehr und waren ausserdem alle gerade beim Grillieren beim Kommandant im Garten. Sie warfen also ihre First Responder-Westen über und halfen suchen. Weil nicht nur die First-Responder/Feuerwehr- , sondern auch die Feuerwehr/Pfadihintergrund-Schnittmenge sehr gross ist, kam sehr bald jemand auf die Idee: "14jähriger? Pfadi? Sind die nicht im Wald oben?" und so sprangen der Kommandant und zwei andere in das Kommandantenkabrio und düsten in den Wald, wo sie dann auf die einweisenden Pfadileiter stiessen und halt keinen Herznotfall. Was für ein Abenteuer für alle... und ich bin aus sehr, sehr vielen Gründen froh, dass L. keinen Herznotfall hatte.
(Etwas Gutes hatte das Ganze sowieso: neben keinem Herznotfall, was auch in Spital nochmal abgeklärt wurde, hatte L. auch keine Halsverletzung ausser einer Prellung und einem Kratzer, aber der Ultraschall zeigte, dass er jede Menge Knoten auf seiner Schilddrüse hat, die da nicht hingehören, und auch dafür wurden direkt noch nachts um drei in der Notaufnahme die ersten Untersuchungen in die Wege geleitet und als wir am nächsten Tag zum Abholen kamen, erwartete und schon die Kinderendokrinologin mit einem Fahrplan für weitere Abklärungen. Die sind mittlerweile auch alle erledigt und bestmöglich ausgegangen, d.h. wir machen das, was bei der Arbeit immer nicht gern als Status gesehen wird, weil man dabei angeblich NIX MACHT, nämlich "closely monitoring". )
Schade, dass L. keine Erlebnisaufsätze mehr schreiben muss, das wäre für einiges gut gewesen: "Wie ich einmal Glück gehabt habe", "Mein spannendstes Ferienerlebnis" (wobei, in diesen Ferien eher unter ferner liefen), oder auch eine Vorgangsbeschreibung: "Wie alarmiere ich richtig?"
Naja. Man kann nicht alles haben.
1 Kommentar:
Herrlich, Frau Brüllen. Bei der Stelle mit der Schnittmenge First Responder/Feuerwehrleute musste ich laut lachen. Danke!
Viele Grüße aus Berlin, Elisa
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