Dienstag, Oktober 25, 2016

It's not a competition, but I win.

Ich gebe es zu, ich bin unglaublich einfach gestrickt. Wenn Sie mich dazu bringen wollen, etwas zu tun, was ich eigentlich nicht möchte, behaupten Sie, ich könne das eh nicht. Oder ich würde mich nicht trauen. Oder allgemein Frauen könnten das nicht. Oder niemand könne das. Oder klar könne ich das vielleicht, aber andere wären besser. Und schon springe ich vom Fünfmeterbrett, schnupfe Ahoibrause durch die Nase, schmuggel 5 Kilo Trockeneis vom Hoechst-Werksgelände und versenke sie beim McDonalds im Spülkasten, blogge jeden Tag, esse drei Scheiben trockenen Toast in einer Minute (oder 10 Salzstangen), trinke Wasser, wenn mein Kopf nach unten hängt, bin immer mindestens 2 Level vor dem Hübschen bei Pokemon Go, sowas.

In Sachen quantified self* habe ich mich bisher grösstenteils verweigert. Gut, die W-LAN-Waage nutze ich auch, als Naturwissenschaftlerin habe ich ja gern eine stabile Datenlage und ich beschäftige mich eh viel mit Statistik und Trends, da passt das ganz gut. Der Hübsche allerdings lebt das richtig aus, er trackt seinen Schlaf (will ich gar nicht wissen, ich schlafe weniger. Viel weniger. WIN!), seinen Kaffeekonsum (ich trinke mehr. VIEL MEHR!, WINWIN!), seinen Obst- und Gemüseverbrauch (ich esse mehr, VIEL MEHR! WINWINWIN!) und hat mich immer mal wieder gefragt, ob ich mir nicht einen Schrittzähler vielleicht wünschen könnte, dann wüsste er, was er mir schenken könne. Aber nein, tue ich nicht. Möchte ich nicht. Auch nicht als Überraschung.** Er hat übrigens auch keinen, nutzt aber eben die Schrittzählerfunktion seines Smartphones. Das tue ich ja theoretisch auch, aber wegen "Handies verboten im Betrieb" und "kein Salt-Netz im Elfenbeinturm" habe ich mein Privathandy eher selten dabei, was dazu führt, dass der Hübsche natürlich jeden Titicacasee-, Peru-Umrundung, Amazonasabschreiten- etc-Badge viel eher bekommt als ich. Ich habe mich da nun äusserlich cool, innerlich natürlich nicht wirklich, damit arrangiert, nur formal, rein formal in diesem Punkt nicht zu gewinnen.
 
Jetzt ist es aber so, dass unsere Krankenkasse neuerdings Rabatte anbietet, wenn man einer Gesundheitsplattform beitritt, wo man, ach, Millionen Challenges erledigen kann, wo man Punkte durch Quizzes bekommt, Punkte für Gemüseessen und Wassertrinken*** und eben auch für Schritte. Ich dachte mir ja erst "Was ein Quatsch, das geht die alle gar nichts an, ich trinke so viel Kaffee wie ich will und laufe nur für mich allein rum, das sag ich keinem." Dann aber wurde enthüllt, dass aus Gründen andere Rabatte wegfallen würden und der Hübsche und ich also nun jeder 49.80CHF pro Monat mehr an Krankenkassenbeiträgen zahlen müssten. Und für Geld tue ich ja dann doch fast alles und so sind der Hübsche und ich also bei "Healthi"**** angemeldet. Wir haben unsere W-LAN-Waage damit verknüpft und der Hübsche hat natürlich sofort seinen Schrittzähler auch mit eingebunden. Es ging genau vier Tage und drölfzig aufmunternde automatisierte Mails und Pushnachrichten "Dein Freund Prozac74 hat dich angefeuert, deinen Fitnesslevel zu steigern", "Dein Freund Prozac74 hat seinen Fitnesslevel um 3 Punkte gesteigert, möchtest Du ihm gratulieren?" und "Mit nur 37 Kaffees weniger oder 100 Schritten mehr am Tag könntest auch Du Deinen Fitnesslevel steigern und Prozac74 einholen.", bis mir das zu doof wurde. In meinem Kopf lieferten sich die innere 13jährige ("Einen Scheiss muss ich, ich trink so viel Kafffee, wie ich will, ich muss überhaupt keinen einzigen Schritt tun, schau mal, wie ich mich auf dem Bürostuhl durchs Leben ziehe!!!Näanaäanaäanä!") und Miss Competition ("ICH MUSS GEWINNEN! IMMER!!!!") einen harten Kampf. Aber was solls, ich arbeite eh nicht mehr im Ex-Betrieb, die Schritte werden auch ohne Netz gezählt, jetzt will ich gewinnen. Das Handy ist jetzt IMMER dabei, ich schnalle es mir auch beim Crosstrainer-Rennen um, das gibt Punkte, sag ich Ihnen. Soviel Kaffee kann der Hübsche gar nicht nicht trinken!
 
Weil heute abend aber eher kein Sport dran ist, habe ich das Handy zum Mittagessen mitgenommen und den Rückweg dann nicht über die Strasse und in den Lift angetreten, sondern mich in das verwinkelte unterirdische Labyrinth unter dem Werksgelände gewagt und dann den Aufstieg aus dem dritten Untergeschoss ins 20. Stockwerk. Mit doppeltem 18. In Stiefeln mit hohen Absätzen! WINWINWINWINWINWIN!
 
Wäre doch gelacht! *****
 
*was übrigens nichts mit personalized healthcare zu tun hat, auch wenn das gerne in einen Topf geworfen wird, aber das wäre ein anderes Thema.
** verschiedene Gründe. Ich mag kein Plastikarmband um die Hand haben. Überhaupt Armbänder: ich trage meine Uhr, mehr geht nicht, nicht mal in schön, ich kriege da eine Art extended Rollkragenpanik. Ich finde sie nicht schön, schwarz steht mir nicht, weiss sieht ganz schnell schmuddelig aus, alle anderen Farben beissen sich irgendwann mit Kleidern. Und Kleider muss ich tragen. (Wehe, einer sagt jetzt "Wetten, du traust dich nicht, ohne Kleider...")
*** Die Achtsamkeitsapp musste ich ganz schnell wieder deinstallieren, als ich bei einem Training meinen Laptop für Demozwecke an den Instruktor ausleihen musste und für alle sichtbar auf der grossen Leinwand die nur für Testzwecke angelegte Erinnerung "Zeit für Kippen und Kaffee" aufpoppte.
****Ja, mit -i am Ende. Ich krieg Augenzucken beim Gedanken dran.
***** Jaja, ich weiss, wer lacht, der Hübsche nämlich, der genau wusste, wie er mich drankriegt :-).

9 Kommentare:

Frau Roth hat gesagt…

Frau Brüllen!
You made my day.
Herzlichen Dank.
Frau Roth

Anonym hat gesagt…

Ich kann nicht mehr!!!! Mußte laut loslachen und lache Tränen! Danke!
Herzliche Grüße,
Steffi
PS: Mein Mann ist Ihnen sehr ähnlich, daher war es vermutlich für mich besonders amüsant.

kaltmamsell hat gesagt…

Großartig. Ich erwarte in absehbarer Zeit dieses Duett von euch:
https://youtu.be/WO23WBji_Z0

(Die Kapsel meines Xiaomi Mi Bands muss ich nicht am Handgelenk tragen, sondern kann sie in die Hosentasche stecken - selten - oder in den BH innen - meist.)

Anonym hat gesagt…

Und was haben Sie davon, wenn sie mehr Schritte und mehr Kaffee als (wer auch immer)schaffen? Und mein Kaffeekonsum geht meine Krankenkasse einen lauwarmen Tee an.

Anonym hat gesagt…

Da isser wieder der Troll....
LG Susanne

Bergliese hat gesagt…

:) Das mit dem Toastbrot essen kenne ich von unseren "Partys" damals als wir noch jung waren. Nur Toastbrot essen ist ja bubieinfach, aber haben Sie schon einmal versucht mit den ganzen Toastbrotscheiben im Mund das Wort Muffkuchen zu sagen ohne zu lachen oder Brösel zu verlieren ????...........ist nur was für Toastbrotprofis :)))))))))))))))))))))). Das kann nicht jeder.


Anonym hat gesagt…

Huch, ich wusste gar nicht, dass das schon "trollen" ist, wenn man den Sinn dieser ganzen Datensammelweit hinterfragt ? Ich persönlich würde das niemals tun, ich finde, diese Art der Konditionierung und Selektion unmenschlich und unsozial. Das hat sowas von Suvival of the Fittest und das unterstütze ich nicht. Menschen sind unterschiedlich, manche auch schwach und krank, und das ist okay. Auch, dass die Kosten von den getragen werden, die mehr/genug gaben. Was ist mit dem, der seinen Tracker jemand anderem zum Joggen mitgibt, oder dem Hund? Oder der vielleicht eine Sportart ausübt, die Unerfahrene als zu risikoreich einstufen würden? Es ist meines Wissens auch völlig unklar, welche Kriterien vielleicht in Zukunft von irgendwem, der diese Daten nutzt (denn ja, die weden verkauft), als wichtig für irgendwas eingestuft werden: vielleicht zu dünn, zu viel Stress, Fußprobleme, Nierenprobleme etc pp. Ich mach mir wirklich ernsthaft Gedanken darüber und ich verstehe nicht, wie alle so gedankenlos ihre Daten freiwillig hergeben; ich würde das nämlich nicht tun. Viele Grüße, Eva

Eva H. hat gesagt…

Ach Frau Brüllen,
grade hab ich (nach einem heute eher bescheidenen Tagesverlauf) diesen Ihren Eintrag gelesen ... und hab laut gelacht :-)
ich mag Ihr Blog so sehr, das muss jetzt grad nochmal wieder gesagt werden...
Liebe Grüsse, Eva H.

Frau Brüllen hat gesagt…

ich finde es ja wirklich toll, wie sie sich hier meinen kopf zerbrechen. ach, wenn sie achon kein vertrauen in die datensicherheit haben, könnten sie ja wenigstens ein wenig vertrauen in meinen gesunden menschenverstand haben. natürlich lese ich mir nutzungsbedingungen durch, natürlich schauen ich, welche daten wo wie verschlüsselt ankommen. und ganz ehrlich? um auf meine nierengeschichte zu kommen, muss die krankenkasse nicht meine schritte zählen, sondern einfach mal schauen, welche rechnungen sie bisher so bezahlt haben.
ausserdem habe ich ja vor gar nicht allzulanger zeit hier mal erklärt, das hier nicht immer alles wortwörtlich genauso passiert ist.
aber hey: ich freu mich für sie. ein kollege pflegt zu sagen: so lange man sich über die probleme anderer leute so den kopf zerbrechen kann, scheints einem selber ja doch ganz gut zu gehen.