Hunger Cloth
Gestern habe ich übrigens wieder etwas über Schweizer Lokalgeschichte gelernt, übrigens wieder mal in Verbindung mit dem Militär. Kann man ja mal überlegen, was das bedeutet. Oder nicht.
Also. Nach einem langen Workshoptag hatten wir gerstern abend eine „Bier- und Beizenführung“ durch Reinfelden, was ich erst ja nur so mittelspannend fand (v.a. weil wir am Abend vorher in der lokalen Grossbrauerei waren und ich komme zwar aus Bayern, aber schon wieder Bier? Ausserdem war es gestern abend saukalt und da ist Bier für mich ja nur so mittelpassend.) Egal, der Stadtführer machte seinen Job ganz ganz grossartig. Ich habe viel über die Habsburger Geschichte von Rheinfelden gelernt, und irgendwann wann waren wir in der Baslilika und während mein Kollege und ich noch drüber rätselten, ob die Kirche nun katholisch oder protestantisch wäre (ich alter Kirchenhistoriker war für katholisch, weil voller Gold und Engel und pastellfarbenem Gedöns. Da musste ich dann auch an Anke Gröner und ihre Ausführungen zu Barock und Rokoko denken), kam auch schon raus, dass wir beide falsch lagen und die Kirche vor ungefähr 150 Jahren von den Christkatholiken übernommen worden war. Auch hier habe ich wieder dazugelernt, weil was Christkatholiken von den Römischen Katholiken unterscheidet, was sie mit den Anglikanern verbindet, das alles wusste ich gar nicht. Also zB, dass es doch (christ)katholische Priester gibt, die heiraten dürfen, keinen Papst haben und wo nicht 1:1 gebeichtet wird.
Jetzt aber langsam zu der Militärverbindung: In der Schweiz ist Militärdienst ja speziell. Ich kenne nur die wildesten Erzählungen darüber (was sagt das eigentlich über unsere Generation aus, dass Geschichten vorn früher ™ immer noch als „war stories“ bezeichnet werden?), aber auf jeden Fall ist der Militärdienst nicht einfach vorbei, sondern man muss relativ lange in festen Abständen zu WKs (Wiederholungskursen) wieder einrücken. Macht ja aus Schweizer Sicht auch ein bisschen Sinn: es gibt ja nicht sooooo viele Schweizer, da ist "für wenn mal was ist" es schon gut, wenn man dann sozusagen eine schlagkräftige Truppe hat, die dann spontan ihr Sturmgewehr aus dem Kleiderschrank holen und voll trainiert das Land verteidigen kann.
Man könnte ja meinen, man würde da so trainieren, wie man es aus einschlägigen Hollywoodfilmen kennt, so wie Navy Seals das halt machen. Abgesehen davon, dass Navy in der Schweiz...., aber lassen wir das.
Allerdings ist das in der Schweiz wie so oft ein bisschen anders, als man eben meinen könnte:
Bis gestern abend dachte ich, der WK, von dem unser allererster Bankmensch in Basel uns erzählte, wäre der skurrilste gewesen: er war/ist (ich weiss nicht, ob es im Schweizer Militär so etwas wie "war" eigentlich gibt) im Musikbataillon und so ein WK sah so aus, dass sich die Musiksoldaten eben in einer Kaserne (?) in den Bergen trafen, oft im Winter und dann war das so was wie eine Art Orchesterwoche in der Schule früher. Nur in Uniform, bezahlt und für Erwachsene.
Also. Gestern abend habe ich aber gelernt, es geht noch skurriler. In den 70ern wurde in Rheinfelden während eines solchen WKs trainiert, wie man im Ernstfall den Hochaltar der Basilika schnell und korrekt in Kisten verpacken könnte, um ihn vor den raubenden und brandschatzenden Horden zu schützen. (Also. Man stelle sich das mal vor: mein immer weit jenseits von Plan A, B und C vorausplanendes Hirn schlägt Freudenpurzelbäume bei der Vorstellung, dass der Kriegsfall in der Schweiz so perfekt durchgeplant ist, dass (ich nehme an, dafür gibt es eine priorisierte, konfessions-oder basisdemokratisch abgestimmte Liste) sichergestellt ist, dass Kirchenschätze (mit der passenden Musik untermalt) kontrolliert von geschultem Personal in Sicherheit gebracht werden.
Also. Dieses Kunstschatzbataillon entdeckte während des Trainings im Auseinandernehmen des Hochaltars ein Stück Stoff, dass irgendwie verklemmt war. Und weil nicht Hinz und Kunz in einem Kunstbataillon landen, sondern das alles Leute vom Fach waren, also im zivilen Leben Künstler und Architekten, haben sie nicht einfach gerupft und gerissen, sondern sorgfältig und vorsichtig gearbeitet und so eins der ganz wenigen erhaltenen Hungertücher in der Schweiz entdeckt, das dort über 400 Jahre als verschollen galt. Mit diesen Tüchern wurde früher das Hauptgemäde des Altars während der Fastenzeit abgedeckt. Es kam übrigens nicht ins Museum, sondern wurde aufwendig restauriert und wird heute wieder verwendet.
Also: ich habe auf dieser Stadtführung mehr gelernt und viel, viel mehr Spass gehabt, als ich gedacht hätte und das lag nicht am Bier.
2 Kommentare:
kleiner Tipp um schnell bei einer Kirche rauszufinden, ob sie katholisch oder evangelisch ist (bei christkatholisch und den anderen kenne ich mich leider nicht so aus):
Nachschauen, ob es am Eingang ein Weihwasserbecken gibt,das auch gefüllt ist.
Evangelische Kirchen haben sowas in der Regel nicht, Katholiken dagegen schon (Kreuzzeichen mit Weihwasser beim Betreten, außer in der Karwoche).
Auch in Deutschland gab es nach absolviertem Wehrdienst noch Wiederholungswochen.
Mein Mann mußte für eine Woche ins Manöver und das 6 Jahre nach der Bundeswehr.
Liebe Grüße in die Schweiu
Simone
Kommentar veröffentlichen