Tag 1 nach #MEI
Da haben die Schweizer aber wieder einen Coup gelandet! Neben Sotchi, der Ukraine und sonstigen globalen Schauplätzen schafft es dieses kleine Alpenland mit der gewöhnungsbedürftigen Demokratieform, sich mit einem mitteldeutlichen "Ja" zu "Nein zur Masseneinwanderung" in die Schlagzeilen zu katapultieren. Allerorten wird nun gewetter, gemahnt, verglichen, sich selbst gegeisselt, tja, was soll man sagen?
Ein Signal für eine offene, tolerante, moderne Gesellschaft und ein Ja zu Europa, auch mit Sonderrolle, hätte anders ausgesehen. (Das war aber, nach meinem Empfinden, noch nie ein Ziel der Schweiz). Die rechtspopulistische Propaganda der SVP (nicht nur zu diesem Thema) trifft offensichtlich ganz essentielle Ängste, ich nehme an, nicht unbedingt vor dem Nachbarn ohne Schweizer Pass oder dem Kollegen mit Grenzgängerausweis, aber eben vor der grossen gesichtslosen Masse, die anscheinend nur darauf lauert, zu Dumpinglöhnen den redlichen Schweizern die Arbeitsplätze wegzunehmen.
Ich finde es bezeichnend, dass die Kantone mit der höchsten Ausländerdichte eher diejenigen sind, die die Initiative abgelehnt haben, und umgekehrt. Vermutlich wissen die Leute in Basel, dass meine deutschen, französischen, amerikanischen, englischen, irischen, spanischen etcl. Kollegen und ich erstens nicht für Dumpinglöhne arbeiten, genauso Steuern, AHV, Pensionskasse etc. bezahlen und zweitens gar nicht genug schweizer Bewerber sowohl für die hochqualifizierten als auch die nicht so begehrten Jobs wie zB im Pflegebereich existieren.
Man kann es aber auch so sagen (ich finde den Tweet nicht mehr): Komisch, dass v.a die Kantone dafür sind, wo eh kein Ausländer hin will ;-).
Was ich auch lustig finde, ist, dass ja einerseits die grosse Gruppe der Deutschen immer wieder medienwirksam als Problem hochgespielt wird, im Rahmen der Initiative auch darauf hingewiesen wurde, wie dramatisch es wäre, dass ein so hoher Anteil von Kindern in der Schule nicht Deutsch als Muttersprache hätten. Ja was denn jetzt? *
Ich sehe das Ganze jetzt, ehrlich gesagt, relativ entspannt. Vermutlich wäre in Deutschland wäre eine Volksabstimmung zu diesem Thema genauso ausgegangen. (Ich sage nur ""Wer betrügt, der fliegt". Auch klar: macht es nicht besser.) Klar, ich würde mich willkommener fühlen, wenn das Votum andersrum ausgegangen wäre. Andererseits: die Wahlbeteilung von 56% mal den 50.3% Ja-Stimmen, das gibt für mich 28.2% Ja-Stimmen auf die Gesamtbevölkerung, das entspricht ziemlich genau dem einen von drei Schweizern in unserem Team, der sich offen zu seiner Ja-Stimme bekannt hat, und eine grosse Menge, der das Ganze nicht so wichtig ist, die mich Ausländerin jetzt aber auch nicht so schlimm finden, dass sie sich deswegen am Sonntag zur Urne bewegen würden oder den Umschlag abschicken würden.
Ich denke, die SVP/Ja-Stimmer hat weniger den Ausländern damit geschadet als der Schweiz selber. Meiner Meinung nach war es relativ undurchdacht, einfach mal wild Ängste zu schüren und dann zu sagen "Ja, wir kündigen die Verträge ja gar nicht, wir wollen nur den einen jetzt anders." und so zu versuchen, den Schwarzen Peter den anderen zuzuschieben. Ich denke, das alles wird nicht so heiss gegessen werden, wie es jetzt gerade hochkocht. In den drei Jahren kann man (sollte man!) viel mit diplomatischem Geschick wieder gut machen und so wieder hinbiegen, dass alle glücklich sind.
In der Zwischenzeit (und auch danach, hey, ich habe einen Niederlassungsbewilligung und als der Hübsche und ich seinerzeit hierherkamen, gab es noch lang keine Personenfreizügigkeit. Wir waren beim ersten Kontingent dabei, das damals btw. längstens nicht ausgeschöpft wurde) werden wir hier weiter brav unsere Steuern zahlen, und in dem Team aus Schweizern, deutschen Grenzgängern, Deutschen, die in der Schweiz wohnen, Amerikanern, die in der Schweiz wohnen, Schweizern, die in Frankreich wohnen, Franzosen, Deutschen, die in Frankreich wohnen, Spaniern, die in der Schweiz wohnen, Spaniern, die in Frankreich wohnen und elsässer Dialekt sprechen, Kosovaren, die in der Schweiz wohnen, und noch weiteren unzähligen Konstellationen weiterarbeiten.
*fun fact:
1. Hier gibt es sämtliche Infounterlagen für Schule und Kindergarten in sämtlichen Sprachen, die man sich vorstellen kann. Bei der Einschulung bekommt man die Unterlagen aus Prinzip und ungefragt in der Sprache, die man als Nationalität angegeben hat. Auch wenn die Eltern der Schulkinder vllt. schon in zweiter Generation in der Schweiz leben und wenn überhaupt nur ganz rudimentär zB albanisch sprechen.
2. Sämtliche Kinder, die nicht zwei deutschschweizer Elternteile haben, werden schon im Kindergarten zum DaZ-Unterricht (= Deutsch als Zweitsprache) geschickt. Die deutschen Kinder immerhin nicht.
5 Kommentare:
Ich war stimmen und habe nicht das gestimmt was nun herausgekommen ist. Ich find's mal wieder nur peinlich. Aber es ist wie du sagst, ein Ängste schüren.
Hast du heute Schweiz aktuell geschaut? Da werden so Urschweizer zu ihrer Meinung befragt. So Bergler die noch kaum mal einen Ausländer gesehen haben, pensioniert sind und Landwirt und die sagen: Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg. Wenn man keinen mehr hat, kann der einem auch nicht weggenommen werden und welcher Ausländer will einen Bauernhof in der Schweiz übernehmen?
In meinem Kanton wurde leider auch deutlich Ja gestimmt. Aber wenigstens mein "städtischer" Bezirk hat nein gesagt, das einzige was mich ein wenig tröstet.
Die Berechnung mit den 28% hab ich für mich auch gemacht, beruhigt ein klein wenig... ich bin gespannt wie es nun weitergeht.
raus mit euch! sofort! wir wollen euch nicht! ihr nehmt mir meinen job weg! mein haus! meinen platz im stau! meinen platz im reka-familiendorf! meinen bügellift-platz! etc.
(ich sach mal nix als geborene schweizerin mit deutscher grossmutter, heimatort sehr grenznah mit bombenschädigungen im 2. weltkrieg und DURCH UND DURCH AUSLÄNDISCHEM NAMEN!)
ich muss immer noch lachen wegen gänzlicher unfähigkeit meinerseits, dein leben zu leben... ergo du mir auch nix wegnimmst :-))
...ich fand besonders BLÖD am Ganzen wieder( bei der durchaus nicht unproblematischen Idee der Initiative in der Schweiz an sich, wo nun immerhin Teile eines Europa-Vertrages ausgehebelt werden sollen - Rosinenpickerei mit dem europäischen Gedanken und so...): Da kommt in der Hauptnachrichtensendung (u.a.)ein älteres Schweizer Ehepaar zu Wort, volle Kanne "Zielgruppe" der Initiative, und sagt medienwirksam (schön im liebenswerten Akzent!-DEN bitte dazu denken, also das klassische "ooderr??" und diese netten "Rachenlaute", das VERLANGSAMTE, die Sprachmelodie,...) Folgendes: "´s is´doch wirklich furchtbar, oder?? ALLES is´ ja verstopft, Tram, Straßen -einfach ALLES!" - HALLOOO - mal aufwachen, alle , die das so empfinden, und herzliche Einladung mal hierher nach Hamburg, ins "Tor zur Welt" - als Hafenstadt und Stadtstaat auch von jeher mit einer ganz besonderen Verantwortung und entsprechenden "Problemen" ausgestattet - und: ja, unfassbar, mein Mann muss auch in der Bahn stehen, wenn er zur Arbeit fährt, oft ... unglaublich ... am besten wär´, wir machen dann mal hier DICHT.... (Achtung: IRONIE) ...ich versteh die ganze "Angst" nicht, man redet über Zuwanderung aus Europa, ganz überwiegend spezialisierte Arbeitskräfte-ein echtes Problem...und dann stehen die eben auch noch ständig im Weg...in der Schlange im Supermarkt, auf der Straße und eben in der Tram... (und atmen die gute Schweizer Luft weg - na, hörnsemal!!) Da hat die Schweiz Deutschland die Familie Brüllen "abgezogen" - und dann sowas ;)
LG, Moni
Wir leben in einem Dorf mit 50% Ausländeranteil im Kanton Solothurn. Nein, ich bin nicht ausländerfeindlich, aber ich bin nachts nicht mehr alleine unterwegs, da ich angepöbelt wurde. Wir haben in der Schweiz 3x mehr Ausländer als in Deutschland und längst nicht nur hochqualifizierte Arbeitskräfte. Ich habe nicht ja gestimmt - trotzdem habe ich für die Aengste vieler Schweizer Verständnis. Im übrigen sind es nicht die Deutschen, welche in der Schweiz Probleme machen..........
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