Mittwoch, September 03, 2008

Bernd und Anna

Ich weiss, ich weiss, ich bin spät damit dran (Entschuldigung wie immer in den letzten Wochen: ich bin schwanger, deswegen todmüde und habe ausserdem einen neuen Job, der mehr Neues von mir fordert, als ich dachte), aber die Texte von Frau ... äh ... Mutti über Mobbing etc. gehen mir nicht aus dem Kopf.
Ich selber war ja in meiner Jugend an sich ein prädestiniertes Mobbingopfer: immer die Jüngste, immer die mit den besten Noten, die mit den Eltern, die nichts erlauben, die mit den falschesten Klamotten, die man sich vorstellen kann, die mit der von den Eltern bestimmten absoluten Kackfrisur, die mit der (selber ausgesuchten) Kackbrille, die, die sich mit der aktuellen Muski so gar nicht auskennt.
Seltsamerweise wurde ich aber gar nicht so besonderst gemobbt. In der Grundschule hat zwar diese Lehrerin ihr Bestes getan, um mich in die Opferrolle zu drängen, in den folgenden Klassen wurde es aber besser.
Am Gymnasium dann war ich zwar nie bei den Coolen dabei, hatte aber immer eine beste Freundin, die den Coolen bedeutend näher stand als ich, evtl. sogar dazugehörte. Ich suchte mir irgendwie immer "beste Freundinnen", die nicht von Dauer waren, da sie entweder die Schule wechselten oder durchfielen. Ich selber hätte schon sehr gerne dazugehört, war mir aber bewusst, dass das nicht im Rahmen der Möglichkeiten lag.
Als ich dann zum zweiten Mal eine Klasse übersprang, da wurde auf einmal alles anders: ich war so viel jünger als meine Klassenkameraden, dass ich nicht mehr nur die Streberin sondern ein fast schon zu bewundernder Exot war. Ich hatte von Anfang an einen festen Platz in der mittelcoolen Gruppe.
Wenn ich also nicht gemobbt wurde, wer denn dann?
Zwei Kinder, die es echt schwer hatten, sind mir im Gedächtnis geblieben: Anna und Bernd. Anna war das dritte von sechs Kindern, kam mit einer noch blöderen Frisur in die Schule als ich und war vom ersten Tag am Gymnasium die Zielscheibe. Warum? Ich weiss es wirklich nicht. Es ging so weit, dass sie sich weigerte, zu lernen/vernünftige Noten abzuliefern, nur um durchzufallen und die Klasse verlassen zu können (das hat nicht geklappt).
Meine Eltern kannten aus dem Elternbeirat ihre Mutter und hätten gerne gehabt, dass ich mich für sie eingesetzt hätte/ihre Freundin geworden wäre/sie unterstützt hätte. Und wie Ute das so schön geschrieben hat: das kann man von einem Kind nicht verlangen. Ich war mir meiner eigenen, sehr instabilen Position in der Gemeinschaft sehr bewusst und wollte um alles in der Welt vermeiden, in den "Anna-Sog" zu geraten. So habe ich zwar nie aktiv an irgendwelchen Gemeinheiten teilgenommen (oder das zumindest verdrängt), aber bei allgemeinen Lästerrunden schön brav mitgemacht. Wenn ich mir heute alte Klassenfotos ansehe, steht Anna auf jedem Bild von der fünften bis zur dreizehnten Klasse mit einem grossen Abstand ganz am Rand.
Dieses Mädchen hat es wirklich geschafft, ohne eine richtige Freundin in der Klasse (sie hatte eine in der Parallelklasse) durch die ganze Gymnasialzeit zu kommen. Schön war das sicher nicht. Was ihr geholfen hätte? Die faden Appelle der Lehrerschaft vor versammelter Mannschaft haben es sicher nicht. Ein Wechsel zumindest der Klasse? Könnte sein.

Das zweite Kind ist Bernd, ein unscheinbarer Junge, der in der Pubertät mit extremer Akne geschlagen war, ein Hänfling, der sich nie wehrte. Auf unserem Landgymnasium war ja ein grosser Anteil Fahrschüler, darunter eben auch Bernd. Er fuhr jeden Morgen und jeden Mittag mit einem der Klassenrowdies im selben Bus. Ihre Eltern kannten sich und förderten die "Freundschaft". Diese "Freundschaft" nutzte der Rowdy aber dazu aus, Bernd nach Strich und Faden zu misshandeln, auszunutzen und vor der gesamten Klasse zum Gespött zu machen. Ich werde nie den Tag in der neunten Klasse vergessen, als einer der Freunde des Rowdies mitten in der Mathestunde aufstand und Bernd am Hals packte und würgte, lange würgte, bis die hysterische Lehrerin eine Möglichkeit fand, ihn davon abzubringen.... Auch hier habe ich nichts unternommen, bin nicht eingeschritten, habe mich ruhig verhalten.

Meine Gründe waren nicht direkt das "Ich will zur Gruppe dazugehören, deswegen pfeife ich auf das, was meine Eltern mir beigebracht haben", nein, für mich war es ein "Lieber Anna und Bernd als ich".

Wenn ich mir Little Q. so ansehe, dann hoffe ich inständig, dass ihm die Erfahrung, ein solches Opfer zu sein, erspart bleibt. Ich hoffe auch, dass ich ihm so viel Respekt und Empathie mitgeben kann, dass er kein "Täter" wird. Und die Grauzone dazwischen? Ich hoffe, er kommt unversehrt durch.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Nicht schön, was du da schreibst, Punkt: "nein, für mich war es ein "Lieber Anna und Bernd als ich".
Aber ehrlich, zu dir selber und uns. Und das wiederum finde ich gut.