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Samstag, April 12, 2014

Gelbwurscht

Früher hatten wir zu Hause nicht nur eine grosse Speisekammer, sondern auch einen Vorratskeller, der, wenn noch Wasserflaschen und Sturmgewehre drin gewesen wären, durchaus manch einen Prepper glücklich hätte machen können.
Mein einer Onkel hatte nämlich aus Gründen eine Metro-Karte und so kamen auch wir in den Genuss, Grossküchenpackungen an Nudeln, Reis und solchen Dingen zu kaufen und eben aufzubewahren. Im Garten hatten wir Johannisbeerbüsche, die jeden Sommer im Industriemasstab entbeert wurden und dann ging das Eingekoche los: es wurde immer später dann zu verdünnender Saft draus gekocht, ich mochte den schwarzen am liebsten, gegen Ende des Winters war aber nur noch der weisse übrig, der irgendwie komisch schmeckte. Wir hatten auch einen Dirndl-Strauch (aka Kornelkirschen), die den Gehweg vor unserem Haus immer ordentlich versauten, obwohl Unmengen gepflückt und zu sehr, sehr saurem Gelee eingekocht wurden. Ausserdem wurden Schlehen gesammelt (immer erst nach dem ersten Frost, gab sehr leckeres Gelee), wir hatten irgendwelche nicht näher definierten Quittenconnections, aus denen wurde auch Gelee gekocht oder aber Quittenbrot, aber nachdem da mal eine ganze Ladung geschimmelt ist, gabs das nicht mehr. Dann stand dort unten ein Rumtopf, der war aber ein bisschen gruslig. Ein Arbeitskollege meines Vaters hatte irgendwelche Verbindungen zu fränkischen Kirschenbauern, so dass wir auch einmal im Jahr gefühlt 1Tonne Kirschen bekamen, von denen wir dann einfach so so viele assen, bis wir fast platzten, der grosse Rest wurde dann in Einmachgläsern eingekocht. In dem Vorratsraum hatten wir einen rohen Betonboden, den ein grosser dunkelroter Fleck zierte, der kam von da, wo ich ein Glas Kirschen aus dem Keller holen sollte und noch zu kurz war. Ich dachte übrigens auch ganz lange, dass ich Kürbis per se hassen würde, das stimmt aber gar nicht: ich hasse nur süsssauer eingelegten Kürbis.
Im gleichen Vorratskeller stand auch eine Gefriertruhe, unter anderem lagen da die von meinem Opa selbst gejagten Rehkeulen drinnen. Habe ich schon erwähnt, dass ich Wild seit meiner Kindheit nie mehr freiwillig gegessen habe? (Okay, doch, das Gulasch aus dem Wildschwein, das mein allererster Chef mit dem Hornbachlaster selbst erlegt hat, das war lecker.) Auch wenn ich mittlerweile weiss, dass das Knirschen der Schrotkörner zwischen den Zähnen eigentlich nicht unbedingt dazugehört. EInmal hatten wir auch eine halbe Sau da drin, die kam von einer niederbayerischen Verwandtschaft, die einen Bauernhof hatten, und von denen mir nach wie vor nicht klar ist, wie sie zur Familie gehören. Es gab da viel Angedeutetes, viel Drama, viele in Gegenwart der Kinder abgebrochene Gespräche, die in meinem lesegeübten Hirn diesen niederbayerischen Bauernhof zum Schauplatz von Mord, Totschlag, Sodom und Gomorrha machten. Vermutlich hatte es aber höchstens mit einer Scheidung oder, noch schlimmer, einem unehelichen Kind zu tun. Ich war auf jeden Fall sehr aufgeregt, als wir die "halbe Sau", was aber dann eher eine Waschwanne voll Fleischstücken war, dort abgeholt haben.
So, jetzt aber zur Titelwurscht: "A Radl Gelbwurscht", gern auch "Hirnwurscht" genannt, war das, was man bei unserem Dorfmetzger als Kind immer bekam. (Ich bin heilfroh, dass das hier "eine Scheibe Lyoner" ist). Eine Zeitlang mochte ich das ganz gern, ich machte mir keine Gedanken über die Herkunft (hätte ja auch sein können, dass es Hirnwurscht heisst, weil man davon schlau wird, oder?), aber irgendwann machte mein Vater mit seinem Bruder einen Wurschtgrosseinkauf in der Metro. Ich weiss nicht, wieviele von diesen Riesenwürschten (die, von denen an der Wursttheke mit der Maschine dünne Scheiben abgeschnitten werden) sie am Stück eingekauft haben, es muss auch noch was anderes als diese Hirnwurscht dabei gewesen sein. Diese Würschte wurden dann in ca 10 cm grosse Stücke zerteilt und in Alufolie verpackt in der Gefriertruhe eingefroren. Wenn Brotzeit geplant war (=jeden Abend), musste/durfte (eher musste, weil es war echt dunkel da im Keller) eine von uns Mädchen in den Keller und aus der Gefriertruhe ein Packerl Wurscht zum Auftauen holen. Da sie ja in Alufolie verpackt war, sah man nicht, welche Wurscht man griff und ich schwöre: wir haben mindestens ein Jahr jeden Abend Gelbwurscht gegessen. Seitdem übrigens nie wieder. Und eine Gefriertruhe werden wir uns auch nie kaufen. Und nach Niederbayern fahr ich auch nicht mehr. Aber den Johannisbersaft, das Quittengelee und die Kirschengläser und das Powidl von der österreichischen Verwandtschaft, die vermisse ich.

4 Kommentare:

  1. Eingemachte Kirschen im Glas sind auch meine Kindheitserinnerung - unsere Nachbarn hatten Verwandtschaft im Schwarzenburgischen, da durfte man damals noch Kirschen selber pflücken wie heute nur noch Erdbeeren: selbst in den Baum kraxeln, und die Kinder wurden nicht vorher-nachher-gewogen *g*.
    Ich habe übrigens einen Weckautomaten, falls du mal probe-einkochen möchtest ;-).

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  2. wir hatten eine grooße Johannisbeerhecke im Garten, da konnte man sich super verstecken und spielen und später hat meine Mutter dann auch diesen konzentrierten Johannisbeersaft gekocht - lecker :)
    danke für die schönen Erinnerungen an die Kindheit, die mich wieder an schöne aus meiner erinnert haben :)

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  3. Die Gelbwurscht ist nicht allen Ernstes aus Hirn gemacht oder?!? Oder ist Hirnwurscht noch was Andres? (Ich hoffe...)

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  4. Die Gelbwurscht ist nicht allen Ernstes aus Hirn gemacht oder?!? Oder ist Hirnwurscht noch was Andres? (Ich hoffe...)

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