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Mittwoch, Mai 04, 2016

Irgendeiner heult immer

Wir wohnen hier in einer Neubausiedlung (gebaut wurde unsre Zeile vor über 10 Jahren, aber ich nehme mal an, auf dem Schweizer Land ist es genauso wie daheim in Bayern: meine Mutter ist auch nach 38 Jahren im Ort noch eine von den Zuagroastn, also: "Neubausiedlung") mit, wie es da halt so ist, unglaublich vielen Familien mit Kindern um uns rum. Deswegen ist es eigentlich nie leise, untertags* wird draussen gejohlt, gerufen, gelacht, geschrien und immer auch mal geweint. Das ist ganz normal, meistens wird geweint wegen beim Rennen hingefallen, Schaufel am Sandkasten weggenommen, "NIEDARFICHAUFDIESCHAUKEL", blöd angeschaut werden, falsch vom Keks abgebissen, Paninibildchen abgezockt worden, man muss raus an die frische Luft, man muss schon rein, obwohl alle anderen noch draussen sind, nie kriegt man ein Eis, die anderen schiessen mit extra kaltem Wasser bei der Wasserschlacht, alles also mitteldramatisch.
Gestern abend sass ich oben unter dem Dach bei geöffnetem Gaubenfenster und habe den Blogeintrag getippt, draussen war grade ein Sturzregen vorbei, es war schon nach 20:00h, d.h. die kleinen Heuler waren alle im Haus (nicht, dass man da nicht auch für alle hörbar heulen könnte, wegen Schaum ins Auge, schon wieder Zähneputzen, ich hab doch erst gestern, nie darf ich Pommes mit Nutella zum Abendessen etc.), es war echt sehr ruhig. Während ich aber so vor mich hintippte, nahm ich auf einmal wahr, dass aber doch ein Weinen durchs Fenster kam. Ein sehr lang andauerndes Weinen, kein wütendes Kreischen, das auf ausserplanmässiges Haarewaschen MIT SHAMPOO hindeutet, sondern eher ein leiseres, verzweifeltes. Ich schaute aus dem Fenster: nix. Naja, nicht umsonst lebt man auf dem Dorf in einer NSA-artig selbstüberwachten Nachabrschaft, da kann man für den Ruf ja auch was tun, ich habe also schnell Schuhe übergezogen und bin rausgegangen, immer dem Heulen hinterher und habe mit ... ich weiss nicht, einer zerrissenen Hose, einem verlorenen Fussball, einem platten Reifen am Fahrrad oder einer gemeinen vermeintlichen Freundin gerechnet. Was ich aber fand, war ein Kind aus dem Nachbarweg, das in Fussballklamotten neben einen umgestürzten Fahhrrad auf dem nassen Boden lag und schluchzte. Ich dachte erst an einen Radunfall und wollte schon mit triagieren beginnen (kein Helm: nicht gut, kein Blut: ganz gut, Kind heult: auch gut), aber nein: der Junge erzählte mir schluchzend, dass er von grösseren auf dem Heimweg vom Training abgepasst worden wäre, vom Rad geschubst, geschlagen und getreten worden wäre. Ich sah dann auch schon seine verschrammte Wange und das angeschwollene rote Ohr, er hielt sich die Rippen und weinte, weinte, weinte. Er wollte sich nicht nach Hause begleiten lassen (auch wenn man immer drüber lächelt und Augen rollt, dass man mit den Kindern anscheinend seine eigene Identität verliert und nur noch als "Mama oder Papa von xy" referenziert wird: in so einem Fall hilft das. Die Kinder lernen ja zu recht, keinem Fremden oder Unbekannten zu trauen, da baut "Du bist doch der xy, wir wohnen einen Weg weiter, ich bin die Mama von Q. und L." ein gewisses Vertrauen auf, und sei es nur, sich in den Arm nehmen zu lassen und ein bisschen Trost anzunehmen.), weil seine Mutter eh schon auf dem Weg wäre (sie hatte ihn, als er vom Training nicht nach Hause kam, auf dem Handy angerufen). So sass ich dann eine Zeitlang mit einem schluchzenden, nassen 12jährigen im Arm auf dem Weg, ich konnte ihn da ja nicht einfach sitzen lassen. Leider konnte ich der fassungslosen Mutterdann auch nicht helfen, weil ich ja nichts gesehen hatte. Immerhin wusste der Junge, wer ihn angegriffen hat und der Plan "Wir holen jetzt den Papa und dann gehen wir zu denen nach Hause" klang ganz gut.

So viel zur Dorfidylle....ich könnte mir in den Bauch beissen, dass mein Kinderheulfilter mich so weit hat abstumpfen lassen, dass ich so lange gewartet habe.

*Abends sieht es mittlerweile anders aus: die erste Generation Kinder, die hier miteingezogen sind, als die Häuser wirklich noch neu waren, sind jetzt im allerbesten Teeniealter. Man kennt das: da steht man mit Einbruch der Dämmerung so rum. Und Gruppen, nach strengen, nach aussen unersichtlichen Kriterien sortiert. Letztens bin ich mit Little Q. an solchen Trüppchen vorbeimarschiert und meinte so: "Schau, Q., in vier Jahren oder so, da stehst Du dann mit Deinen Freunden so vorne am Weg rum und stehst da halt so." Er hat mich mit diesem unvergleichlichen Blick und dem Ding mit den Augenbrauen angeschaut und erst gemeint: "4 Jahre? Mami, die da vorne sind in der 5. und 6. Das wäre dann für uns ab Sommer. Kannste dich jetzt schon mal drauf einstellen." Und dann diesen wunderbaren Spruch gebracht:

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6 Kommentare:

  1. Danke für den Lacher zum Feierabend.
    Ich stelle mir gerade meine Truppe mit Wählscheibentelefon an der ecke vor. Mal abgesehen davon, dass wir im Osten nicht mal alle ein Telefon hatten, wäre das ein schöner Fitz an Telefonleitungen geworden.
    ;-)))

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  2. Q ist ja so genial :D. Ich kringel mich vor lachen.
    Ach du meine Güte, ja jetzt weisst du was dich ab Sommer erwartet ;)

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  3. Herrlich.
    Danke.
    LG
    Sandra
    😘

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  4. Unfassbar. Der arme Kerl :(

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  5. Ich hab anfangs gegrinst, zwischendurch geweint und am Schluss nochmal gelacht.

    Ich weiß genau, wie du dich fühlst, weil du nicht eher gegangen bist – aber eigentlich hast du tausend Mal mehr Herz bewiesen als viele Andere. Eben WEIL du 'raus bist, getröstet hast und überhaupt. <3

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  6. Toll, dass du den Jungen nicht alleine gelassen hast. <3
    Beiß dich nicht, immerhin BIST du rausgegangen und hast ihm Beistand geleistet bis seine Mama da war.

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