Jeden Dienstag fahre ich einen anderen Weg als die restlichen Tage von der Arbeit nach Hause, weil ich noch den Wochengrosseinkauf erledige.
Jeden Dienstag fahre ich da an der Abzweigung zu dem Haus meines ehemaligen Chefs vorbei und dem Wegweiser zu dem Friedhof vorbei, wo ich vor anderthalb Jahren bei seiner Beerdigung war.
Jeden Dienstag denke ich an ihn. An seine Familie, die Frau mit den drei Kindern, von denen der grosse Sohn ihm so ähnlich sah.
Jeden Dienstag überlege ich, wie es ihnen wohl geht. Ob sie immer noch so wie versteinert sind, wie auf der Beerdigung. Ob sie wieder ein bisschen lachen können. Ob sie sich in dem neuen Lebensabschnitt ohne den Mann und Vater zurecht gefunden haben.
Jeden Dienstag denke ich, dass ich seine Frau vielleicht mal fragen sollte, wie es ihr geht. Oder ihr sagen, dass wir ihren Mann nicht vergessen haben, obwohl der Alltag weitergeht, als ob er einfach ... den Job gewechselt hätte. Dass ich immer noch schlucke, wenn ich seinen Namen auf einem Master Batch Record sehe. Dass ich es merke, dass er langsam als Autor von Dokumenten verschwindet, weil die neuen Versionen von meinen Kollegen und mir geschrieben werden. Dass ich es beruhigend finde, dass bei uns die meisten Dokumente Audi-trails haben, wo man für alle Ewigkeit nachvollziehen kann, wer alles daran gearbeitet und etwas beigetragen hat, dass er so nie wirklich verschwindet. Dass wir sein Andenken hochhalten, das merkt man in den verschiedensten Kleinigkeiten. Dass ich bei jedem Performancereview und Entwicklungsgespräch dran denken muss, dass ich das erste bei ihm fast verpasst hätte, weil ich da Schichtwoche hatte und gerade im Vollschutz geholfen habe, einen Kessel zu chargieren. Und es dann in einem zu grossen T-Shirt und einer zu weiten grünen Arbeiterhose geführt habe.
Jeden Dienstag denke ich mir, das ist doch doof, das steht mir gar nicht zu, da traurig zu sein, er war "nur" mein Chef, sie hat ihren Mann verloren. Sie hat viel wichtigere und echtere Erinnerungen als Audit-Trails und Performancerevies. Vielleicht will sie da gar nicht dran erinnert werden. Andererseits: wer vergisst sowas schon?
Heute ist übrigens Dienstag.
Liebe Frau Brüllen...... Ich bin mir ganz sicher, das sich die Frau und die Kinder Ihres ehemaligen Chefs sehr, sehr freuen würden, wenn sie Ihren Post lesen würden. Und ich habe gelernt, das man solchen wiederkehrenden Gefühlen nachgeben soll. Biegen Sie ab oder schreiben Sie mal ne schöne Karte. Die Freude wird groß sein, das er unvergessen ist.
AntwortenLöschenLiebe Grüße aus dem Solling...Ilona
.
AntwortenLöschenAnderthalb Jahre ist das schon wieder her?
Und warum solltest Du nicht traurig sein dürfen? Du teilst Erinnerungen mit ihm.
Sehr spontan: Ich würde hingehen. Mein Vater ist nicht so jung gestorben, aber meine Mutter freut sich, wenn an sie gedacht wird. Und an ihn. Das geht nicht unbedingt emotionslos. Aber warum sollten Distanz und der Anschein von Vergessen besser sein?
AntwortenLöschenVielleicht ergibt sich ein Gespräch, vielleicht können Sie einen Frühlingsgruß oder einen Kuchen da lassen. Einfach so.
Ich finde es schön, dass er NICHT einfach vergessen ist.
Viele Grüße
Geertje
ich finde, das es eine schöne geste ist wenn,man sich nach einiger zeit nochmal erkundigt und die familie so merkt,das es da noch mehr menschen gibt die noch nciht vergessen haben.
AntwortenLöschenmir würde es trost geben,selbst wenn es "nur" arbeitskollegen sind
Die Audit-Trails und Performancerevies sind ja nur der äußere Anlass für deine Erinnerung an einen Menschen, den du offensichtlich geschätzt und gemocht hast. Vielleicht solltest du der Frau doch genau deine Gedanken mitteilen, geht ja vielleicht auch brieflich oder per Link auf das Blog. Vielleicht ist es für diese Frau ja ganz wunderbar, einfach mal ganz außerhalb der üblichen Wege von jemandem zu hören, dass ihr Mann auch im beruflichen Umfeld nicht einfach nur vergessen und ersetzt worden ist.
AntwortenLöschenFreundliche Grüße von einer stillen Leserin,
Doris-Anna
Frau Brüllen, dass Sie sich immernoch so arg erinnern, und dass dieser Mensch, dieser Chef, noch immer so präsent ist in Ihren Gedanken spricht sehr für den Menschen. Und vielleicht halten Sie einfach mal an und klingeln und sagen das, genau das? - Ja ich weiss, das erfordert sehr viel Mut. Weiss nicht ob ich den hätte. - Sie vielleicht schon?
AntwortenLöschen(es gab einen Menschen in unserem Leben der genauso wichtig war - es gibt da keine Frau, sondern "nur" Geschwister, und ich habe keine Ahnung wo die wohnen. Aber an "seinem" Haus fahren wir öfter vorbei, und noch immer ist es - nun, genau so wie Sie es beschreiben - vielleicht traue ich mich und schreibe einfach mal ein Mail, ein Mail das ihnen sagt das Mark nicht vergessen ist, ein Mail das ihnen sagt dass sie nicht allein sind mit ihrem Kummer, noch immer.)
Ich fände es eine gute Idee, dienstags mal mit einem Blumenstrauß dort anzuhalten. Sicher!Liebe Grüße, Sunni
AntwortenLöschenLiebe Frau Bruellen, ich wurde Witwe, als ich 32 Jahre alt war. Und weiss, dass ich mich am meisten freute, wenn jemand an uns dachte, an meinen Mann dachte, und uns besuchte oder irgendwie mit uns in Verbindung aufnahm oder aufrecht erhielt.
AntwortenLöschenIch kann mich erinnern, dass ich bei der Beerdigung, jedem, der fragte, was er fuer uns tun koenne, sagte, eigentlich nur in Verbindung bleiben.
Geben Sie ruhig ihrem Impuls nach, es wird sich ja herausstellen, ob Sie herzlich empfangen werden, oder es 'nur' ein Pflichtbesuch wird.
Ich glaube, dass viele Menschen sich diese Fragen stellen und diese Gefühle haben und nur sehr wenige ihnen nachgeben.
AntwortenLöschenDer Kreis der offensichtlich Trauernden und Vermissenden scheint somit kleiner zu werden.
Was aber nicht so ist.....
Trau dich, schreib eine liebe Karte, wirf sie ein!
Die Freude über die immer noch währende Anteilnahme wird groß sein bei der Familie.
Liebe Grüße