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Samstag, Oktober 24, 2020

241020: SHE-saster

 So, nachdem man ja nicht die ganze Zeit die aktuelle Misere beklagen kann und Q. gestern (Sie erinnern sich? Freitag ist jetzt "Chemiefreitag"? so viel Spass an der Story hatte die Story auch nicht ganz doof fand, heute mal wieder ein Schwank aus meiner und des Hübschen Jugend. (Kurze Vorbemerkung: kleine Lektion in Jugendsprache (wer dieses Wort benutzt, ist ja per definitionem alt). Ich war erst ernsthaft sehr stolz auf mich, dass ich noch alle Lanthanoide und Actinoide konnte, wenn auch nicht auswendig und in der richtigen Reihenfolge, Q. kommentierte das mit "Alles klar, Streber kickt ein". Und, nicht ganz in dem Zusammenhang: wenn man in einem Streit direkt die grössten Geschütze auffährt, heisst das "voll auf Mutter gehen." Weiss ich also wieder was Neues, um meine Kollegen in deutschsprachigen Meetings vor den Kopf zu stossen).

Jetzt aber zur eigentlichen Story (SHE bedeutet "Safety, Health, Environment" und im Rahmen meiner SHE-Beauftragten-Rolle, die durch Indien und Italien damals zementiert wurde, habe ich unzählige Wortspiele mit "SHE" auf Lager. Apres-SHE, SHE-Kurs, SHE-Rennen, SHE-Ferien, SHE-Hulk...). 

Bitte machen Sie nichts von all dem geschilderten hier nach, wir waren jung und hatten sehr viel Glück (und das Gefühl, relativ viel Ahnung zu haben, nach dem einen oder anderen Jahrzehnt Berufserfahrung möchte ich uns im Nachhinein die Ohren langziehen).

Also. Wir reisen zurück ins Jahr ... 2000, vielleicht auch 1999, vielleicht auch 2001, dann aber vor September. Sie werden gleich verstehen, warum.

Der Hübsche und ich waren beide Doktoranden an einer bayerischen Universität, wir hatten selber das Studium mit allen Laborpraktika hinter uns, betreuten das Anfängerpraktikum Anorganik, waren mittendrin im Hardcore-Laboralltag mit metallorganischen Verbindungen, die sich an Luft oder in Kontakt mit Wasser selbstentzünden, wir waren ausserdem Anfang zwanzig, eine Kombination, die dazu führt, dass man sich unverwundbar fühlt.

Eine unserer Mitdoktorandinnen lud uns und und zwei unserer besten Freunde zu ihrer Hochzeit ein (und shame on us, uns fällt der Name nicht mehr ein, ich weiss nur noch, dass wir alle sehr verwundert waren, dass erstens jemand, den wir kennen, HEIRATET, das passte überhaupt nicht in das Selbstverständnis unserer Lebensrealität zu dieser Zeit, und zweitens wir dazu eingeladen wurden, weil soooooo gut kannten wir uns dann doch nicht.) Wir fühlten uns ob dieser Gedanken ein wenig schlecht, wir hatten ausserdem überhaupt keine Erfahrung mit Hochzeiten, nur dass man als Gast "da was macht" und was können Chemiker? Genau: Explosionen, Feuerwerk, krach, bumm. Wir sagten also zu, fanden heraus, wo die Feier stattfand (im "Aumeister", klärten ohne das Brautpaar oder die Trauzeugen oder überhaupt irgendjemand zu fragen (wie gesagt: wir kannten uns mit Hochzeiten nicht so aus), mit den Leuten vom Aumeister ab, ob es eine Terrasse gäbe und ob wir da "ein kleines Feuerwerk" machen könnten. Konnten wir und so bereiteten wir uns vor.

Ich war und bin stolze Besitzerin dieses Klassikers (Affiliatelink, ich habe eigentlich zwei Ausgaben, eine davon im Büro, man weiss nie, wann man das braucht, eine davon auf dem Speicher, allerdings jetzt grad keine zur Hand, deshalb muss ich aus dem Gedächtnis zitieren), wir hatten als Praktikumsassistenten Zugang zum Chemikalienlager der Fakultät und so ging es los. 

Ursprünglich hatte ich aus Compliance-Gründen überlegt, ob wir das ganze Zeug am besten auf eigene Rechnung zu uns nach Hause bestellen sollten, uns war doch bei dem ungeliebten Kurs "Toxikologie und Gefahrstoffrecht" eingebläut worden, dass wir nur durch Bestehen der Prüfung den Sachkundenachweis für Chemikalienbestellungen auf unseren Namen kriegen würden. So habe ich Abkürzungen gepaukt (GgvBinsch weiss ich heute noch) und Gefahrensymbole malen geübt. Fisch und Totenkopf haben sich auch längerfristig gelohnt, nicht nur kam "Abwassergefährdend" in der Klausur dran, nein, später wurde irgendwie erwartet, dass man die Taufkerze für das eigene Kind selber bemalt und wenn man den Fisch andersrum malt, ist es nicht mehr "abwassergefährdend", sondern voll der christlichen Symbolik. Der Totenkopf natürlich für Halloween und die langjährige Piratenphase beider Kinder, NICHT für die Taufkerzen). Alles in alle war das (onlineshopping war noch "Neuland", Darknet nicht erfunden, Amazon hat tatsächlich mehr oder weniger nur Bücher gerkauft) aber ein bisschen arg kompliziert, vor allem, weil wir die Schatzkammer ja zur freien Verfügung hatten (wir haben uns freiwillig für "Ausmisten und Entsorgen" gemeldet, aber das ist eine andere Geschichte)..

Ich habe also Post-its über Post-its in das Buch geklebt und die benötigten Chemikalien mit dem Bestand abgeglichen, ich war damals schon Perfektionist und von Theatergruppe/Orchester gewohnt, dass man ALLES probt, bevor man es vor Publikum aufführt und so haben wir auf der Wiese hinter dem Institut alle ausprobiert und nur die Sachen ins Programm genommen, die wirklich gut funktionierten. Ich erinnere mich noch gut, dass der Versuch, der mit "beeindruckenden tiefblauen Rauchwolken" einhergehen sollte, extrem unspektakulär war. Das war besonders enttäuschend, weil wir ja ein Anorganik-Institut waren und ich mich so gefreut hatte, ganz hinten im Regal noch ein Gläschen Indige (noch in Fraktur beschriftet) zu finden, aber das war wohl tatsächlich über seinen Zenith und so gab es einen dünnen, blauschwarzen Rauchfaden, nichts, was man nicht mit nassem Holz nicht viel beeindruckender hinbekommen würde. Also: nix mit blauem Rauch. Im Nachhinein vielleicht nicht das allerblödeste.

Wir haben uns an alle Anweisungen gehalten, Schwarzpulver "auf grossen Papierbögen" und "mit einer Hühnerfeder" gemischt, gerechnet, Zeiten geplant (wann wird es dunkel?), Ablauf geplant, und irgendwann stand das Programm.

Ich erinnere mich nicht mehr an alles, wir haben auf jeden Fall 

  • das "Tanzende Gummibärchen" (natürlich nicht ein kleines im Reagenzglas, sondern ein grosses, extra vom Hussel gekauft in einem grossen Glaskolben. Bitte denken Sie immer dran: wir waren jung und vermeintlich unverwundbar, uns war noch nie was schief gegangen.)
  • "Bierherstellung" (das zieht in Bayern immer, incl des Austausches gegen echtes Bier und Verkostung)
  • Feuerwerk in rot, grün und weiss 
  • und Borsäuremethylesterfeuer in leuchtend grün 

vorbereitet. Wir haben den Masstab aus dem Buch von Vorlesungsmassstab auf Showgrösse erhöht und alle Komponenten vorgemischt, schon so, dass die reaktiven Sachen erst vor Ort zusammenkamen, aber letzten Endes..... hatten wir den gesamten Twingo-Kofferraum voll mit diesen Plastikklappkisten mit Schraubflaschen voller explosiver Chemikalien in genau der richtigen Stöchiometrie für ein wunderschönes Feuerwerk. Damit sind wir dann für die eigentliche Trauung in die Tiefgarage des Kreisverwaltungsreferats in München gefahren (und jetzt verstehen Sie, warum ich mir sicher bin, dass diese Hochzeit vor September 2001 stattgefunden hat. Man könnte jetzt total meta werden, und sagen: "Schaut, wie grosse Ereignisse und Tragödien unser Verständnis von "normal" verändern, aber ganz ehrlich war das auch vor 9/11 hoffentlich nicht total normal.)

Wir haben das Auto geparkt, der offiziellen Trauung beigewohnt, sind mit dem kleinen Bombenauto durch die Münchner Innenstadt zum Aumeister gefahren, haben dort auf dem offenen Parkplatz geparkt und angefangen zu feiern. Irgendwann meinte der Kollege, der versprochen hatte, eine Heizplatte mit Verlängerungskabel für den Borsäuremethylester mitzuringen: "Oh Scheisse, ich hab die Platte vergessen." und anstatt zu sagen: "Naja, doof, machen wir es halt ohne den Teil", beratschlagten wir hektisch und die beste Idee, die wir hatten, war, seine Freundin loszuschicken und wo auch immer einen Campinggaskocher zu kaufen.

Gerade noch so rechtzeitig kam sie zurück, wir hatten schon alles auf der Terrasse des "Aumeisters" aufgebaut und baten also die Hochzeitsgesellschaft (von denen wir bis auf die Braut, und die auch nicht so richtig, niemanden kannten) nach draussen.

Es lief alles tatsächlich grossartig, die Gummibärchen tanzen, knallten und leuchteten, das eigentlich sehr langweilige Bierexperiment war der totale Knaller, es wurde langsam dunkel, wir baten um einen Moment Geduld, während wir die Feuerwerksmischungen zusammenschütteten (Papierbögen, Hühnerfedern), in die vorbereiteten Zylinder füllten, farblich abwechselnd an den Rand der Terrasse stellten, dahinter den Gasbrenner mit dem Gemisch für den Borsäuremethylester und dann, darauf war ich besonders stolz, statt Zündschnüren mit der Acetonspritzflasche "Lunten" auf den Boden spritzen, sobald der Kolben mit der Borsäuremethylestermischung kurz vor dem Sieden stand.

Hier ein kurzer Einschub: So sieht das aus, wenn man es im Labor macht. Wir haben das in unsere Studium unzählige Male gemacht, auch nochmal geübt, und hatten den Plan, einen wabernden Hexenkessel mit grüner Flamme auf der Heizplatte stehen zu haben.

Nun denn, leider stand die geplante Heizplatte noch beim Kollegen im Keller, wir hatten stattdessen einen Gasbrenner unbekannter Heizleistung und ein sehr gespanntes Publikum. Wir haben also die Lunten = Acetonspuren gespritzt, den Gasbrenner angezündet, das Publikum stand im Dunkeln und ..... der Gasbrenner macht, was Gasbrenner halt so machen, er heizte wie irre und das Zeug simmerte nicht nur wie beim Üben, sondern kochte, was das Zeug hielt. SOFORT. Aber naja, Sie erinnern sich, jung, unverwundbar, Bierexperiment, Publikum, was soll man anderes machen, als das Feuerzeug dranzuhalten

Es war schon beeindruckend, wir vier waren schlagartig nüchtern: Unser Kolben, der eigentlich ein wabernder Hexenkessel sein sollte, kochte über, die Brühe verteilte sich (knallgrün brenndend) über die ganze Terrasse, setzte die Acetonlunten in Brand, die auf die Feuerwerkszylinder zuliefen und wir vier standen in Hochzeitsklamotten mit Kitteln und Schutzbrillen drüber in einem grünen Flammenmeer in dem knallend und spritzend rot, weiss und blaue Feuerfontänen in den Himmel schossen, das Publikum jubelte und wir haben, glaube ich, gebetet.....

Naja. Ende gut, alles gut, der Gasbrenner brennt heute noch grün, den Aumeister gibt es noch, auch wenn wir seitdem nicht mehr da waren und ich gerne wüsste, ob es zB beim Unkrautabflämmen auf der Terrasse immer noch grün leuchtet, wie es um die Ehe der Kommilitonin steht, kann ich leider nicht vermelden, weil ich ja nicht mehr weiss, wie sie heisst, aber .... bitte, bitte, macht das nicht nach!

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