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Montag, November 18, 2019

181119: Speeddating

Ich gebe zu, ich war unterschwelliger nervöser als ich gedacht hätte wegen der Speeddatingstory heute, alles in allem war das im Vergleich zum Rest vom Tag ... a walk in the park (aber der Speeddating-Charakter blieb sich gleich, es war eine Feuerwehraktion nach der nächsten und als ich vom Speddating mit der Tram ins Büro zurückfuhr und ENDLICH den Kollegen von der QC am Telefon hatte, mit dem ich dringend klären musste, was wir tun müssen, damit die regulär hinterlegten Analysenzeiten deutlich unterschritten werden können, beschloss das Iphone: "so, fertig, ich hab noch 20% Akku, es ist unter 10 Grad Celsius, ich mach jetzt einfach nix mehr." Und so kam ich heute zu ungefähr 7 Minuten Zwangspause im Tram. Immerhin)
Aber: der Reihe nach.
Ich war also sehr nervös, weil (jaja, lachen Sie ruhig) ich mir den Tag heute mit drölfzig Highpotential Nachwuchswissenschaftlerinnen als den ausgewählt hatte, wo ich das "OMG, das ist das Kleid, das mir am allerbesten im ganzen Leben passt, das Kleid BIN ich"-Kleid zum ersten Mal tragen wollte. Mit, es ist ja eine Zeitlang her, dass ich es gekauft habe, und die Lebkuchensaison hat begonnen, Shapewear drunter, und meinen Lieblings-Wildlederstiefeln. Also habe ich mich heute morgen in die Quetschklamotten gequetscht, das Kleid sass dann sehr locker, meine Organe nicht so (das KANN nicht gesund sein, hätte es für das Kleid sicher nicht gebraucht und ich zieh die jetzt sicher nicht mehr für ganze Tage an und nur, wenn man den Termin im Stehen verbringt, nicht im Sitzen.)

Also. Der Arbeitstag an sich war extrem eng getaktet, aber ich merke, mich stresst nicht der Stress, sondern wenn ich kein klares Ziel vor Augen habe oder wenigstens weiss, wie ich den Weg dorthin finde. Wenn ich hingegen drölfzig Bälle jonglieren muss und bei jedem weiss, welcher Stups in welche Richtung ihn wie in der Luft hält, dass macht mir das Freude und am besten ist, wenn noch ein brennender Reifen dazwischengeworfen wird.

Mitten im Jonglieren bin ich also zum Speeddating gefahren, habe mir mein Namensschild abgeholt, freundlich auf das Angebot, mir ein neues Profilfoto vom Profi schiessen zu lassen, verzichtet, weil: ich habe DAS BESTE PROFILBILD, das ich je bekommen würde, und meine Tischpartnerin getroffen.
Setup war: zwei Kollegen pro Tisch, jeweils zwei Nachwuchstalente, alle 3 Minuten wird gewechselt (und zwar hard stop, welcome to Switzerland, enforced by Kuhglocke).
Zack los gings und es ging ein bisschen, bis wir zwei unsere Vorstellungsrunden so optimiert hatten, dass das Wichtigste gesagt war und in den drei Minuten noch Zeit für ein, zwei, drei Fragen und Antworten blieb. Ich war irgendwann (es waren, glaube ich, 24 Stationen) so im Flow, dass ich aus Versehen fast meine Kollegin vorgestellt hätte, statt mich :-).
Danach gab es noch einen Stehlunch, wo ohne Kuhglocke noch ein bisschen vertieft diskutiert werden konnte, und dann musste ich auch schon wieder jonglieren.
Nachdem Sie mir so geholfen haben mit Fragen, auf die ich mich vorbereitet hatte, habe ich mir gedacht, ich beantworte Ihre und die, die tatsächlich gestellt wurden, aber ich stelle das an den Schluss vom heutigen Post.

Sonst wäre nämlich der Schwenk zurück zum Tag ein arg seltsamer, es wurde nämlich sehr skurril:
Wegen irgenwas war die Tramlinie, die den Elfenbeinturm mehr oder weniger direkt mit dem Standort am Bahnhof verbindet, unterbrochen und ich musste erstmal recherchieren, wie ich am schnellsten weder zurückkomme (ich hatte ja Bälle zu jonglieren und feste Termine!) und auf einmal sass ich dann ... nur an einer anderen Haltestelle an einem Platz, an dem ich sonst entweder in den Manor gehe oder selten auch mal umsteige, aber holla, das war eine andere Welt. Anstatt nur mit Kollegen oder Kitagruppen oder Messebesuchern zu warten, wurde ich angebettelt und creepy angegraben. Skurrile Beobachtung (und nein, ich habe geschaut, ich stand in sicherer Entfernung davon, die Stiefel sind kein Pretty-Woman-Overknees und so kurz ist das Kleid nun auch wieder nicht): es gibt tatsächlich Strassenmarkierungen für Prostitutions-Duldungszonen. Wieder was gelernt.

Irgendwann dann heim, sehr nervös geworden, weil Sansa noch unterwegs war, obwohl es schon dunkel war, aber sie hat mich dann auf dem Rückweg vom Bus begleitet.

Daheim: raus aus der Quetschwäsche, rein in die Sportklamotten, alle Innereien wieder an den richtigen Ort rütteln, mit Q. abendessen, L. vom Volleyball abholen.
Passend zum Tag übrigens sehr stylish bekleidet: ungeschminkt, noch mit duschfeuchten Haaren, Lieblingsjeans, L.s Winterstiefeln (zu gross!), des Hübschen Skijacke, weil auffällig und das Dorf stockdunkel. Es ist ja nicht ganz konsequent, die Kinder und Katzen mit Reflektoren noch und nöcher ausstustatten und dann selber stilsicher in grau, braun oder schwarz überfahren zu werden. Der Schal gehört immerhin mir.


Gegessen:
Fermentierte Kokosmilch mit Granola und Früchten (joah. Schmeckt nicht so eklig wie befürchtet, halt wie Naturjoghurt mit leichtem Kokoshauch. Umwelttechnisch kann mir aber keiner erzählen, dass das irgendwie nachhaltiger ist als Joghurt aus Weidemilch aus dem Schwarzwald im Mehrwegglas, also lasse ich das wieder)
Salat und irgendwas relativ geschmacksneutrales nach dem Speeddating beim Networking
Montagspizza

Gelesen:
immer noch das Odyssee-Buch

Gesehen
Working Mums und erste Folge der letzten Staffel "Peaky Blinders"

Stressleveldurchschnitt gestern: 16
Selbstbeweihräucherung: trotz Kippeln nicht vom Barhocker gefallen. (war knapp)


So, jetzt aber zu den Fragen:

Was tatsächlich gefragt wurde (nachdem meine Tischpartnerin jeweils kurz unsere Rolle und ein bisschen unseren Werdeganz erklärt hatten):

Warum genau diese Firma?
Es hat nur für "Sie haben beim Reinkommen die Unternehmenswerte gesehen? "Mut, Integrität, Leidenschaft"? Die werden hier gelebt, deshalb." gereicht, die lange Antwort wäre gewesen: "Ich wollte schon immer hier arbeiten, weil ich es grossartig finde, in einem forschenden Pharmaunternehmen zu arbeiten, das durch die spezielle Firmenstruktur nicht in erster Linie kurzfristigen Aktionären verpflichtet ist, und sich leisten kann, langfristige Strategien umzusetzen. Und weil ich gelernt habe, dass es mir persönlich wichtig ist, durch meine Arbeit einen sinnvollen Beitrag zu etwas wichtigem zu leisten."

"In academia the "reproducability threat" is a huge topic, can you confirm that and what is your experience?"
Das war ein bisschen ein lustiger Moment, weil meine Kollegin und ich uns angeschaut haben und beide unisono gesagt haben: "The what?" und, naja, so ein superhuge topic ist es bei uns halt nicht. Wir konnten dann noch klären, was damit gemeint ist und wenn dann ist es ein Thema für unsere Early Stage-Researcher.

Wie kommt es, dass Du/Sie in eine Marketing/Business/Funktion, die nix mit Wissenschaft zu tun hat, gewechselt hast?
Ich habe die ersten zwei Mal grosse Augen gemacht, als diese Frage kam, um dann zu merken, dass die Bezeichnung "commercial" mit "Business/Marketing" gleichgesetzt wurde, während ich es branchen- oder zumindest firmenübliche als Abgrenzung zu "clinical" verwendet habe (clinical: das Medikament ist noch nicht zugelassen, es wird nicht verkauft, sondern in klinischen Studien verwendet, commercial: nach der Zulassung, d.h. es wird verkauft, das heisst aber nicht, dass man ab diesem Moment nicht mehr wissenschaftlich daran arbeitet. Halt: anders)

Wie isses so mit Arbeitszeiten? Nine to five wäre mein Traum.
Joah, naja, es gibt Kernarbeitszeiten und Gleitzeit und Dein Chef bekommt einen Brief von HR, wenn Deine Überstunden über 120 sind. Das heisst aber nicht, dass es nicht stressige Phasen gibt, in denen man halt mehr arbeitet, weil es sein muss. Andersrum gibt es angeblich auch Phasen, in denen man weniger arbeitet und das gleicht sich dann aus. Strictly nine to five gibt es sicher nicht, weil pro Tag mindestens 30 Minuten Pause verpflichtend sind und abgezogen werden, egal, ob man sie macht, deshalb kommt man mit nine to five NIE hin. (Kleiner Exkurs zu: je nach Rolle globale Kontakte, also Zeitzonen.)

Wie sieht es mit der Männer/Frauen-Verteilung in Euren Abteilungen aus?
Aktuell: knapp 50:50, noch vor drei Monaten sah das ganz anders aus. Aber auch hier: abteilungabhängig, in der Summe bilde ich mir ein, dass wir einen knappen Frauenüberschuss haben.

Work-Life-Balance?
Joah. Es ist ein Ziel, das hinzubekommen, es klappt mal mehr, mal weniger, aber es ist so sehr Firmenziel, dass man auf Verständnis stösst, wenn man Hilfe braucht, um das hinzubekommen.

Wie geht das mit Kindern und so?
Da hat die Zeit für einen ausführliche Antwort nicht gereicht, deshalb musste die Kurzfassung: "Ich habe zwei, arbeite seit 5 Jahren 100%, davor verschiedene Grade von vollzeitnaher Teilzeit, es ist der Firma wichtig, dass man Familie und Job unter einen Hut bekommt, und zwar "man", nicht "frau", für mich ist das A und O eine gleichberechtigte Partnerschaft als Eltern.

Was ist der grösste Druck bei der Arbeit? Der Year end review?
Nein, zu dem Zeitpunkt ist eh alles passiert. Bei mir ist der Druck projektabhängig, je nach Baustelle. Der Review und die Zielsetzung ist nur nochmal Revue passieren lassen und den Plan fürs neue Jahr machen.

Was ist der grösste Unterschied zum Arbeiten im akademischen Umfeld?
Für mich: die Geschwindigkeit, der Zeitdruck und die Geldmengen, um die es geht. Wenn man rechnet, was .... ein verspäteter Launch, ein stockout on patient level, oder auch nur eine Reaktorfüllung oder ein missglückter Verpackungsauftrag kosten, dann wird einem schwindelig. Aber auch dara gewöhnt man sich.

Welche Kenntnisse neben der Promotion o.ä. sollte man branchenspezifisch mitbringen? Machen Weiterbildungen Sinn?
Ein beherztes "Kommt drauf an", würde ich sagen. Wenn jemand in der Forschung starten möchte, kommt man von der Uni oder der Postdocstelle perfekt gerüstet, die branchenspezifischen Themen lernt man vor Ort. Wenn man Richtung Business (also: nicht commercial manufacturing, sondern wirklich business ) gehen möchte, sollte man irgendwie zeigen können, dass einen das interessiert. Ob man den MBA schon mitbringen muss oder dann berufsbegleitend macht... hm. Technische Rollen, so wie ich angefangen habe: nicht unbedingt. Die Leute, die einen einstellen, haben alle selber promoviert und wissen, was man von einem frischgebackenen Universitätsabsolventen oder Postdoc erwarten kann und wo eben Lücken sind. Dafür gibt es aber interne und externe Weiterbildungsangebote und Trainings, in denen das schnell und spezifisch erledigt wird.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Dir aus?
(Naja, das wissen Sie hier ja alle genauestens). Ich habe gesagt: "Eine variable Mischung aus geplanten Aktivitäten und Feuerlöschübungen."

Muss ich das, was ich während der Arbeitszeit nicht schaffe, daheim machen?
Nein. Darfst Du nicht mal. (Weil: Work from home ist auch Work und wird gezählt und irgendwann kommt HR). (Ist so natürlich überspitzt, aber es ist hier nicht so wie in der Schule "So, jetzt alle Seite 4 bis 18 und was ihr bis zum Klingeln nicht geschafft habt, ist Hausaufgabe")

Gibt es denn Mentorprogramme oder wie soll man sich überhaupt zurechtfinden?
Ja, gibt es, jede Menge. Es geht niemand verloren.


So, und jetzt das, was Sie wissen wollten:
Mich würde vermutlich interessieren, ob es regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen bewährter Prozesse gibt, also ob geschaut wird, ob und wie man Abläufe verbessern kann – oder zufrieden ist damit, dass man es seit Jahren so macht und es ja auch so funktioniert.
Ja, natürlich gibt es das. Ich würde es in drei Gruppen kategorisieren:
Es gibt die Prozesse, die durch das hochregulierte Pharmaumfeld von aussen vorgegeben sind. An die müssen wir uns halten, komme, was wolle.
Auch diese Prozesse und Vorgaben ändern sich. In den letzten Jahren / Monaten waren das zum Beispiel ICH Q3D, die Forced Degradation Studies für Brasilien, der Joint Review Process für Neueinreichungen in China, die MDR und ganz frisch das Nitrosamin-Thema. Da müssen wir unsere internen Prozesse aufsetzen und / der anpassen, um den neen Richtlinien zu entsprechen.
Und dann gibt es natürlich unabhängig davon die internen Prozesse, das WIE wir zusammenarbeiten und WIE wir dorthin kommen. Das ist natürlich ein kontinuierlicher Wandel, manchmal hat man das Gefühl, es ist Wandel um des Wandels willen, aber ganz sicher ist «Das haben wir schon immer so gemacht» keie Begründung mehr für irgendwas.


Als Postdoc hätte ich vermutlich gefragt: Wie kommt man in die Industrie, welche Wege kann man gehen oder bist du gegangen? In kleinem Unternehmen anfangen oder direkt groß, Traineeprogramm, Praktikum, regelmäßig neue Jobs oder einen für länger...?
Standardantwort: es kommt darauf an, was man möchte. Möchte ich forschen? Dann ist ein Trainee-Programm sicher das falsche. Praktika schaden nie,man bekommt ein bisschen ein Gefühl dafür, wie gearbeitet wird, aber ich würde den Nutzen jetzt auch nicht überschätzen. Ehrlich gesagt haben mir meine Praktikanten immer leid getan (und ich mir auch, weil es ganz oft irgendwelche Patenkinder, Nichten, Neffen oder Freunde von Nichtenneffenpatenkindern von Oberbossen waren, die dann halt irgendwo geparkt wurden, wo sie möglichst wenig kaputt machen können und dementsprechend unspannend waren ihre Jobs dann auch. Ist aber sicher abteilungsabhängig). In welchem Unternehmen man anfangen sollte: kommt darauf an, was man möchte. Wenn man forschen möchte, würde ich immer zu einem grossen gehen. Produktion, Business, Quality ist vielleicht eine gute Schule bei einem kleineren.
Jobwechselfrequenz: auch das ist Typfrage. Ich merke, dass ich nach drei Jahren im selben Job langsam unruhig werde und nach spätestens 5 Jahren brauche ich was Neues.

Gehaltsrange in dem Job
Mehr als genug.

Umgang in dem Unternehmen mit Frauen in dem Job, aktive Arbeit gegen Vorurteile, Umgang mit PoC, disabled people im Unternehmen. Also, realer Umgang, nicht nur Werbeimage?
Wir sind ein globales Unternehmen, das merkt man im Headquarter überall, lokale Produktionsstandorte sind nicht ganz so divers.
Ansonsten. Diversity ist nicht nur ein Schlagwort, aber auch bei uns ist noch nicht alles perfekt.

Was genau macht dir heute Freude bei deiner Arbeit?
Dass meine Arbeit letztendlich dafür sorgt, dass sehr kranke Menschen Medikamente bekommen, die ihnen helfen. Im Kleinen: dass ich das tun kann, was mir gefällt und worin ich gut bin.

Während meines PhD erschien mir der Sprung in die Industrie immer wie eine Einbahnstraße weg aus Academia. Ist das wirklich so? Kann man wieder "zurück" oder war's das (for better or worse)? Hat Sie diese Frage beschäftigt bei der Wahl?
Ich kenne genau eine Person, die aus der Industrie zurück in das akademische Umfeld gegangen ist. Insofern: ja, vermutlich Einbahnstrasse. Andererseits kenne ich auch genau eine Person, die zurück WOLLTE.
Andersrum bin ich der festen Überzeugung, dass man, wenn man zu lange im akademischen Umfeld bleibt, auch keine Chance mehr in der Industrie hat, also sind es vermutlich zwei Einbahnstrassen, wo man für eine bestimmte begrenzte Zeit wechseln kann.
Ich wollte nach der Doktorarbeit so schnell wie möglich auf Nimmerwiedersehen raus aus dem akademischen Umfeld, also ... man kölnnte sagen, das hat mich beschäftigt.


Was hättest du gern vor dem Einstieg in die Industrie gewusst/gekonnt? Welche Zusatzqualifikationen würdest du Einsteigerinnen empfehlen? Welche Skills braucht man für deine(n) Job(s) besonders?
Ich war nicht ganz darauf vorbereitet, wie sehr es dann doch immer wieder menschelt. Was ich erst lernen musste: komplizierte Sachverhalte und Unmengen an Details so zusammenzufassen und darzustellen, dass das Wesentliche sofort für jemanden verständlich ist, der diese Daten nicht generiert hat und vielleicht auch das Problem nicht kennt.
Zusatzqualifikationen: habe ich oben schon geschrieben: es kommt drauf an.
Skills für meinen Job: Eine Mischung aus Geduld und Verständnis mit Durchsetzungsvermögen respektive Entscheidungsfreude.Fachwissen, ein Netzwerk, wissenschaftliches Schreiben, Zusammenhänge erfassen, kein Problem ist isoliert, Struktur und Prioritäten setzen

Wie ist das mit den internen Wechseln, geht das gut/einfach? Muss man am Anfang der Karriere keine Angst haben, sich „falsch“ festzulegen?
Das ist das Schöne an so einem grossen Unternehmen: die Möglichkeiten sind nahezu unbeschränkt Wer offen ist für Neues, wird nicht festgelegt.

Warum sind Sie in das Unternehmen gegangen? Und nicht in ein anderes? Wie sehr schätzt das Unternehmen ein eher akademisch/wissenschaftlich geprägtes Mindset?
Warum ich da bin, wo ich bin, habe ich ja oben schon mal geschrieben (plus: bei aller «Hey, bester Arbeitgeber aller Zeiten»-Euphorie: es ist natürlich einerseits die Frage, wohin man möchte, andererseits die, wer einen nimmt. Und klar kann ich mir leicht reden und sagen «Ich arbeite viel lieber hier als bei dem anderen grossen Pharmaunternehmen in der Stadt», aber andererseits: hätten die mir damals einen Job angeboten, hätte ich den auch genommen.)
Ich weiss nicht genau, was «akademisch/wissenschaftlich geprägtes Mindset» ist. Wir sind ein forschendes Pharmaunternehmen. Natürlich basiert das alles auf Wissenschaft, worauf auch sonst? Andererseits sind wir keine Universität, wir forschen nicht um der reinen Erkenntnis, sondern um letztendlich Geld zu verdienen (und Menschen zu helfen, schon klar.)

Hat man nach eventueller Teilzeit trotzdem noch Karrierechancen?
Ja, nach und auch während.

Setzen Sie noch ein was man in der Promotion als Handwerk gebraucht hat?
Das ist jetzt die Frage, was damit gemeint ist. Im Labor habe ich nur noch sehr, sehr wenig selber gemacht. Ich habe nie wieder Lösungsmittel getrocknet, umkondensiert, selber einen Ansatz gemacht, Glaszeug gespült oder ein Laborprotokoll geschrieben.
Versuchsplanung habe ich am Anfang schon noch gemacht, Auswertung der Ergebnisse auch, aber auch das ändert sich mit der Zeit.

Wir krass ist der Übergang von wissenschaftlicher Forschung zur Industrie?
Ich habe am Anfang schon einen Heidenrespekt vor den Geldbeträgen gehabt, für die man verantwortlich ist. Als bei einer meiner Pilotproduktionskampagnen der Schichtleiter nachts um drei beim Rausschaufeln des fertig kristallisierten Produkts bei jeder Schaufel meinte : «So, das ist der Gegenwert einer E-Klasse, das ist ein Cayenne, oh, jetzt wars nur wenig, ein Boxster», da ist mir das Grinsen ein wenig eingefroren. Aber irgendwann denkt man nicht mehr drüber nach, dass man gerade für Beträge verantwortlich ist, mit denen man sonst eher ... nie zu tun hat.

Wer hat dich im Berufsleben bisher am meisten unterstützt?
Fast alle meine Vorgesetzten waren grossartige Mentoren. (Und die zwei, die nicht, waren immerhin extrem abschreckende Beispiele, wie ich NIE werden möchte und welche Chefs ich NIE wieder haben möchte).
Plus: all das ging und geht nur, weil ich mit dem Hübschen den Partner habe, den ich habe.

Wie gehst du mit Krisen um?
«Soldiering through». Nie hinschmeissen, wenn es am schlimmsten ist, aber danach Konsequenzen ziehen, wenn es nötig ist.

Verlief deine Karriere geradlinig?
Nicht wirklich, ich wollte zB nie bei dem Unternehmen arbeiten, das meinen ersten Arbeitgeber gekauft hat.

Wusstest du schon immer, wohin es beruflich gehen soll?
Nicht in die Forschung! (Und lustigerweise wollte ich nach einzweidrei Jahren in meinem allerersten Job Product Manager werden, da bin ich jetzt so nah dran, wie nie zuvor)

Was hat Sie bewogen, nicht in die Forschung zu gehen?
Ich wollte den direkten Erfolg (oder Misserfolg) meiner Arbeit sehen. Ich hatte nach der Uni die Nase voll von «Das könnte mal», «Wenn das was würde, dann könnte man sich vorstellen, dass..», ich wollte ... machen.

Was ist besser als erwartet? Was ist schlechter als erwartet?
Es ist viel spannender und abwechslungsreicher, als ich dachte.
Es ist viel komplizierter und manchmal langsamer, als ich dachte.

Welche Entscheidung würdest du als die wichtigste/schlechteste (für) deine(r) Karriere bezeichnen?
Wichtigste Entscheidung: raus aus der Forschung, der Umzug in die Schweiz, dann der Wechsel zu meine jetzigen Arbeitgeber.
Schlechteste Entscheidung: ich glaube nicht, dass sie schlecht war, im Nachhinein, aber der Wechsel zu dem kleinen Lohnhersteller zwischendrin, boah, das hätte böse in die Hose gehen können.

Tipps, um überhaupt eine Fachrichtung in der Industrie zu finden, die einem taugt
Hm. Ich kann nur empfehlen, offen zu sein, sich nicht auf «Forschung» festzulegen, es gibt sehr viel mehr Spannendes. Kontakte suchen, nachfragen, wenn man mit einer Stellenbeschreibung, die für «Entry level» gelistet ist, gar nichts anfangen kann.


Vermisst du das Labor?
Nope (ausserdem: hier sind überall Labors :-))

Warum hast du gegen einen Schreibtischjob getauscht?
Es ist nie ein reiner Schreibtischjob, bis zu meiner aktuellen Funktion war ich andauernd irgendwo in Produktionsbetrieben unterwegs.

Was hast du vor 17 Jahren gedacht, wo du heute bist?
Wenn ich ehrlich bin: keine Ahnung. Nicht so weit weg von dem, was tatsächlich ist.

Wie kann ich die akadem. Berufserfahrung in der Industrie gut verkaufen?
Hm, ich würde es nicht als Berufserfahrung verkaufen, zumindest nicht, wenn es eine Promotion und / oder Postdoc ist. Das wird in unserem Umfeld als Standardausbildung angesehen.

Was braucht man, um aus der Wissenschaft in der freie Wirtschaft ein Job zu finden, geht das ohne sich zu sehr weg zu bewegen von seinen Interessen?
Es kommt darauf an. Ich persönlich denke, es ist sehr wichtig, dass man flexibel bleibt. Natürlich muss einem ein Job liegen und interessant sein, ich denke allerdings, dass es viel mehr Interessantes gibt, als man von der Uni aus sieht.

Puh. Das war jetzt .... lang.