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Samstag, Oktober 26, 2019

261019: Kindheitsträume

Als Kind wollte ich ja unbedingt Archäologin werden (und Troja nochmal entdecken). Ich habe oft genug einfach so Löcher in den Garten oder die Garageneinfahrt gegraben und mit einer alten Zahnbürste Steine und Scherben abgebürstet, immer auf der Suche nach was anderem als Bauschutt und Kies. (Hat nicht geklappt, aber die Herzensentscheidung Latein und Altgriechisch zu lernen habe ich nie bereut und mit dem Altgriechisch-Abitur habe ich dann tatsächlich meinen ersten Job bekommen.)
Hier wohnen wir jetzt ja (und Asche auf mein Haupt, das wusste ich überhaupt nicht, bevor wir hergezogen sind) inmitten von Römerruinen. Jeden August findet das Römerfest statt, im römischen Theater gibt es OpenAir-Konzerte und Theater, die Kinder lernen von klein auf die Thermen, die Kloake und den Keller unter den Feldern kennen, es gibt das Badhaus, die Ziegelei, das Amphitheater im Wald, den römischen Haustierpark mit dem Grabmonument und der Stadtmauer, die Curia, ein, zwei, drei Tempel und natürlich das Römermuseum mit dem grossen Silberschatz. Auf dem Werksareal des Arbeitgeber vom Hübschen und von meinem ist die Römerstrasse nach Xanten immer noch da und alle Werksstrassen heissen "Via irgendwas"
Ich dachte allerdings immer, dass sich die spannenden Sachen halt auf die Oberstadt (die mittlerweile im Nachbarkanton liegt) und das Castrum (der alte Ortskern unseres Dorfs direkt am Rhein) beschränken und hatte deshalb nicht soooooo die grossen Erwartungen, als ich uns Anfang des Jahres zu dem Anlass "Unter Ihrem Haus" im Römermuseum anmeldete und dafür (naja, und auch wegen kein Bock) mein 25jähriges Abitreffen absagte.
So trafen wir uns heute mit noch ein paar anderen Nachbarn in einem Raum des Römermuseums und bekamen Einblicke, die mir tatsächlich ganz neu waren. Okay, unter unserem Haus ist tatsächlich einfach nix. Soweit, so unspektakulär, ABER: unter unserem Haus war immerhin eine Lehmgrube, in der Lehm für Ziegel etc. abgebaut wurde und gefühlt unter jedem anderen Haus, das nicht in der Oberstadt oder dem Castrum liegt, ist .... ein Gräberfeld. (Vielleicht irgendwann ein USP für unser Haus: "Eins der wenigen Häuser im Ort, das NICHT auf einem Indianer Römerfriedhof steht").
Wir wussten ja schon, dass bei jeder Grabung (warum haben wohl so wenig Häuser hier einen Keller?) die Kantonsarchäologin kommt und das sich die eigentliche Bauphase gern mal um Jahre nach hinten schiebt, wenn eben etwas spannendes entdeckt wird, aber die Menge des Entdeckten war mir dann doch nicht klar. Der grosse Verpackungsbetrieb steht auf einem Riesengrabmonument, der Fussballplatz steht auf einem Tempel, manche Nachbarn finden beim Gemüsebeetumgraben regelmässig Scherben. Zwei haben erzählt, dass, als auf dem Nachbargrundstück gebaut wurde, zwei Skelette entdeckt wurden, und als in den 70ern auf dem Areal der Kiesgrube archäologisch gegraben wurde, die beteiligten Baggerfahrern die Schädel gern als Nachttischlampen verkauft haben und die Archäologen sehr verwundert ob des Schädelmangels waren. Auch spannend: die Körperbestattungen kamen erst im Lauf der Zeit auf, die älteren Römergräber (zwischen 0 und 300 nach Christus) hier enthalten alle Urnen (zum Teil unbeschädigt!).
Es macht Gänsehaut, wenn man ein 2000 Jahre altes Gefäss einfach so in der Hand hat.


Der Ort hier war übrigens zu dieser Zeit eine DER grossen Städte hier mit ungefähr 15 000 Einwohnern, in einer Liga mit Strassburg und Köln, während Basel eher nur so ein Winzlingsdorf war.
Das war wirklich ein grossartiger Vormittag, man hat der Archäologin richtig angemerkt, mit wieviel Herzblut sie bei der Sache ist und ich habe mich auch sehr gefreut, dass doch eine ansehnliche Menge Nachbarn der Einladung gefolgt ist und wirklich interessiert war. Gerade auch die Erzählungen von Leuten, die eben schon lang hier leben und nicht so Jobnomaden sind wie wir, die mit den Geschichten von hier grossgeworden sind, das fand ich wirklich, wirklich bereichern.
Wir sind mit einem Dossier (naja, in unserem Fall einem recht dünnen) über unser Haus und den Lokalcomics für L., der ja wegen MFM-Kurs nicht dabeisein konnte heimgeradelt und es hat sich schon anders angefühlt, statt zwischen Fussballplatz und Werkszaun zwischen Tempel und Grabmonument an den Einäscherungsplätzen über das Gräberfeld zu radeln.



Also: falls sie mal in der Gegend sind: es lohnt sich!

Nebenstory: als ich irgendwann die Woche mit einem Zug ohne Busanschluss heimkam und eben vom Bahnhof nach oben lief, fiel mir an der hinteren Bahnunterführung eine Gruppe Sprayer auf. Und wie ich mir noch so dachte: "Holla, am hellichten Tag, das ist ja mutig bis frech", da sah ich auch schon das Schild: "Liebe Mitbürger, unsere Unterführung wird mit Streetart verschönert, Radfahrer bitte langsam fahren und die Künstler nicht schubsen". Seitdem waren wir noch ein paarmal gucken und es wird richtig cool: "Asterix in Augusta Raurica"

Sonst so:

  • Gebacken (Mallorquinischen Mandelguglhupf für Q.s Mannschaft morgen, Weisse Glühweinminiguglhüpfe für uns)
  • Gelernt: Q. Geographie (wir hatten es ja sehr leicht damals mit "UdSSR", Q. muss jetzt viel mehr Länder können)
  • Gerettet: einen Riesenvogel (ich bin mir nicht sicher, ob es ein Starenweibchen oder eine echt grosse Amsel war. Sansa hat ihn ins Haus geschleppt, ein Riesenfedermassaker im Eingangsbereich angerichtet, dann ist er ihr ausgekommen und gegen die Wohnzimmerscheibe geflogen. Er lag dann benommen auf dem Rücken, was seine Rettung war, da hat Sansa nämlich nichts mehr gemacht, als ihn vorsichtig anzustupsen. In dem Moment kam ich rein, schnappte mir die zeternde Katze und schicke den Hübschen, sich um den Vogel kümmern. Ja, feig, ich weiss, aber ich wollte nicht entscheiden müssen, was man mit einem potentiell schwerstverletzten Vogel macht. Musste der Hübsche auch nicht, als er den Vogel nämlich mit Geschirrtuch vorsichtig aufheben wollte, hat er sich wieder richtig rumgedreht und ist zu Fuss aus der mittlerweile offenen Terrassentür spaziert und weggeflogen. Phew.)

  • Geschmunzelt: ob einer Lesermail, die mich als verbündete praktizierende Christin sah, nur weil es mir ein wenig unangenehm war, den verpflichtenden Adventsgottesdienst wegen voraussehbarer Feiernachwirkungen abzusagen. Ja, also, nicht wirklich.
Gegessen:
Silsergipfeli und Olivensemmel mit Streichkäse
Miniguglhopf
Süsskartoffelkumpir mit Avocadocreme

Gelesen:
"Opfer 2117"

Getragen: 
Jeans und Langarmshirt, Chucks, aber kalte Füsse gehabt

Stressleveldurchschnitt gestern: 33
Selbstbeweihräucherung: die Jungs einfach mitverpflichtet für den Römertermin