Gestern musste ich dreimal an meinen allerersten chef denken.
Zum ersten mal, als der hübsche und ich die kinder bei der skischule abgegeben hatten und auf den nächsthöheren gipfel hinauffuhren und gemeinsam beschlossen, die schwarzen pisten dort nicht als allererstes runterzufahren. Mein chef hatte damals eine gruppe jungchemiker in seine wohnung im wallis eingeladen und uns zum skifahren im quatre vallees mitgenommen. Er fragte den kenntnisstand vorher ab und schleppte uns dann als allererstes auf den mont gele hinauf. Auf der, wie er es nannte, braunen Piste (weil man da vor angst die hosen voll hat) zeigte sich dann, wie wichtig der kulturelle Background zur Einschätzung von Aussagen ist. Der Chef hatte uns nämlich noch daheim nach unseren Skifähigkeiten gefragt. Die europäischen Kollegen meinten alle so mehr oder wenige "Joah, geht eigentlich, ich habe als Kind angefangen und gehe seitdem jedes Jahr, ich bin jetzt nicht super, aber ich fahr gern und komm den Berg runter. " Der amerikanische Kollege aus Alabama meinte "I love skiing. I have been living in Wallis for a couple of years and I can do any slope you name." Es war ein interessanter Anblick, wie bleich ein erwachsener Mann werden kann und wie lang der Chef brauchte, um den Kollegen in einem Stück die Piste mehr oder weniger runter zu tragen.
Zum zweiten Mal dann beim Mittagessen und beim Kaffeetrinken, wo ich mir die ganze Zeit dachte: Maaaaaaan, wir haben den teuren Skipass gezahlt, die Kinder sind im Skikurs, wir müssen fahren, fahren, fahren, Pausen braucht kein Mensch. Dann dachte ich dran, wie stressig ich damals meinen Chef fand, der uns "junge Leute" (er war damals 60 oder so) augenrollend zum Mittagessen absetzte und dann eine Runde ohne uns Wussis fahren ging, ein Käsebrot im Sessellift musste reichen. Dann gings wieder, wobei man ja schon nicht ewig in eine leere Kaffeetasse starren muss, die Gegend und die frische Luft erlebt man auch während der Fahrt, nech?
Und zum dritten Mal abends, als alle müden Oberschenkel mit Lavendelöl oder Muskelwohlgel eingerieben wurden. Mein Chef war nämlich vor seiner Zeit als mein Chef (eine recht lange Zeit vorher) der Chef der Voltaren-Wirkstoffproduktion gewesen. Zum Abschied hat er (oder er hat es einfach mitgenommen, da bin ich mir nicht ganz sicher) das Rückstellmuster des letzten Batches Diclofenac, der unter seiner Aufsicht produziert wurde, geschenkt bekommen (ich persönlich glaube, er hat es einfach mitgenommen, diese Rückstellmuster werden nämlich eigentlich gehütet wie Augäpfel, und dienen als Referenz, wenn irgendwelche Behördenanfragen oder Kundenbeschwerden oder so etwas kommen). Dieses Rückstellmuster, eine braune Glasflasche mit ca 250g Wirkstoff drin, hat er unter der Spüle in seiner Ferienwohnung im Skigebiet gelagert. Am ersten Abend, als die Jungmannschaft erschöpft und schweigend im Käsefondue rührte, meinte er "So haltet ihr mir keine Woche durch, das geht nicht. Ihr nehmt jetzt alle Voltaren, ich habe das optimiert: ein Mokkalöffel voll, aufgeschlämmt in einem Schnapsglas voll Wasser und ihr seid morgen wie neu." Und naiv (und erschöpft) wie wir waren, haben wir brav alle unser Stamperl weisse Brühe runtergetrunken, uns dann beim Rummy abzocken lassen und ja, am nächsten Morgen waren wir alle wieder topfit und nix hat wehgetan. Mit meinem heutigen Wissen schreit mein innerer Compliance und Drug Safety Officer natürlich Zeter und Mordio bei dem Gedanken, weil "unter der Spüle im Ferienhaus" sicher kein kontrollierter Lagerraum mit Temperaturmonitoring ist und weil nach Ablauf der Retest-Periode sicher keine Vollanalyse für eine erneute Freigabe gemacht wurde, ganz abgesehen davon, dass auch mein beschränktes galenisches Wissen dafür ausreicht, dass "ein Mokkalöffel pro Schnapsglas" nicht direkt eine validierte Dosiermethode ist. Geschadet hat es uns nicht und ehrlich gesagt, habe ich nie wieder so einen grossartigen Chef wie diesen gehabt.
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