Seit Beginn des Studiums, oder lassen Sie mich ehrlich sein, seitdem ich Physik als Leistungskursfach gewählt habe (und Altgriechisch, da war die Verteilung aber eher so 50:50), lebe ich in einem Umfeld, das rein zahlenmässig von Männern dominiert wird. Nahezu jede Fachgebiets- und Karriereentscheidung, die ich getroffen habe, hat mich in immer noch männerlastigere Gebiete geführt: Chemie statt Pharmazie oder Lebensmittelchemie oder Lehramt, Diplom- und Doktorarbeit in Anorganik anstatt Biochemie oder Analytik, sogar bei den Organikern waren mehr Frauen, Berufseinstieg in der Verfahrensentwicklung anstatt in der Forschung, Pilotproduktion statt Qualität, Analytik, Regulatory (kurzer Schlenker in Marketing und Sales, wuaaaaaaaaahhhh, schnell zurück), kommerzielle Marktproduktion und jetzt immer noch sehr nah dran.
Ich habe alle diese Entscheidungen bewusst getroffen, weil ich AnalytikQualityRegulatory total langweilig finde fachlich darin gut bin, weil mein Pragmatismus und meine Lösungsorientiertheit und die Fähigkeit, schnell zu entscheiden, sehr gut zu dem passen, was man in einem Produktionsumfeld können muss. Keine Angst vor Verantwortung für sehr, sehr viel Geld in Form von Wirkstoffen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse (wenn es zum Beispiel ums Abschätzen von Worst Case Szenarien bei einem Runaway geht und man entscheiden muss, ob man eine Giftwolke bis über die Kantonsgrenzen hinaus als akzeptables Risiko ansieht) helfen dafür auch.
Was ein Teil des Pakets war, weder ein Grund dafür noch dagegen (genau wie "Ich konnte lang keine Röcke, dafür aber klobie Sicherheitsschuhe und eine hässliche Schutzbrille tragen, muss Feuerlöschen können und habe Rufdienst 24/7"), war das nahezu rein männliche Kollegenumfeld, der hemdsärmlige Umgangston, meine Aussenseiterposition eben als Frau in dem Team.
Das war nie ein Problem, ich wurde nie (oder schon lang nicht mehr, das dunkle Kapitel "Hier wird man eigentlich nicht schwanger" ist lange her) offensichtlich benachteiligt, ich hatte (und habe) das Gefühl, ich bin am richtigen Ort.
Was mir allerdings aufgefallen ist: in zunehmendem Masse wurde ich entweder offen oder verdeckt für all die soften Themen nominiert.
- Es gibt Streit zwischen zwei altgedienten Mitarbeitern? "Red mal mit ihnen, bei dir schreien sie nicht so rum.".
- Es gibt einen komplizierten Case Management-Fall? "Oh, da bin ich .... weg, kannst Du da hingehen, es braucht eh ein bisschen Fingerspitzengefühl."
- Es wird ein Change Management Core Team aufgesetzt mit Worstreams zu "Innovation", "Assets and new Technologies" und "People" und bevor ich überhaupt überlegen kann, heisst es "Du machst People, da brauchen wir jemanden wie dich."
- Es geht um "Wir feiern den dröflzigtausendsten Ansatz Produkt xy": "Ah, Frauen sind kreativer, lass Dir mal was einfallen."
- Es wird eine Abteilungsstrategie für die nächsten 5 Jahre entwickelt und ich bin Teamlead "Diversity & Inclusion", bevor ich überhaupt gefragt wurde, ob ich überhaupt, geschweige denn, zu welchem Thema ich mitmachen möchte.
Mich hat das mit der Zeit in zunehmendem Masse gestört, weil ich das Gefühl hatte, dass mir allein aufgrund der Tatsache, dass ich eine (DIE EINZIGE) Frau bin, Eigenschaften und Interessen zugesprochen werden, die ich vielleicht so gar nicht habe. Es mag ja sein, dass Frauen im Allgemeinen mehr Wärme ausstrahlen als Männer, sich eher für Menschen als für Zahlen und Maschinen interessieren, dass Frauen im Schnitt diplomatischer als Männer sind, aber ich habe mich ja seit ca 20 Jahren immer weiter in eine technische Ebene spezialisiert, weil ich eben Zahlen, Maschinen, Chemie, Fakten mag, und bin mit Absicht nicht in einer Kommunikations- oder Personalabteilung. Vielleicht hätte ich lieber den Workstream "New Assets" geleitet als "People"? Vielleicht bin ich ungefähr so diplomatisch wie ein Holzklotz und kann ein sensibles Case Managementgespräch kaum hinter mich bringen, ohne einen saublöden, geschmacklosen Witz zu reissen, weil ich mich unglaublich unwohl fühle und keine Ahnung habe, was es sein soll, dass ich "doch eh im Gefühl habe".
Nun ja. Ich habe also mit mir und den mir ungefragt zugesprochenen Aktivitäten gehadert und halbfest vorgenommen, "das nächste Mal aber wirklich" darauf zu bestehen, dass auch mal jemand anders die soften Themen machen kann.
In meiner nicht mehr so ganz neuen Rolle bin ich zwar in meiner funktionalen Gruppe immer noch die einzige Frau, aber die verschiedenen Produktteams, in denen ich arbeite, sind sehr gut durchmischt und ich habe in den letzten anderthalb Jahren tatsächlich erfahren dürfen, was es heisst, in einem diversen Team zu arbeiten und wie grossartig das ist.
Und als ich dann in der Strategiediskussion wieder einmal den People-Teil zugeteilt bekam, diskutierte ich (wieder einmal) mit einer rein männlichen Gruppe, ob wir das Thema D&I überhaupt behandeln müssten, es wäre doch alles hunkydory bei uns und es wäre ja logisch, dass man immer die beste Person für den Job einstellt, egal welches Geschlecht, und es wäre total unfair, dass auf einmal nur wegen der Coroporate Goals die Frauen so bevorzugt würden- Da musste ich mich wirklich zusammenreissen, um nicht auf den Tisch zu hauen und laut zu schreien "Schaut euch doch mal um, hier sind NUR Männer, wir könnten die freiwerdenden Positionen über ungefähr 15 Jahre nur mit Frauen besetzen und es wäre immer noch nicht gleichverteilt, merkt ihr überhaupt, was ihr hier eigentlich sagt?". Ich habe es immerhin geschafft, das mit fast normaler Stimme zu sagen. Und betretenes Schweigen geerntet. Und ein wirklich gutes Strategieproposal übrigens.
Lustigerweise hat dieser innerliche Ausbruch in mir etwas bewirkt: so gerne ich einfach meinen Job machen würde, den ich liebe und bei dem ich mit Herzblut dabei bin, ohne mich mit so "softem Kram" zu befassen, so sehr geht mir diese in den Köpfen einiger (nicht aller, aber schon vieler) fest verankerte Denkweise gegen den Strich. Praktischerweise wurde Anfang dieses Jahres ein grosses Frauennetzwerk bei uns gestartet und als noch Core Team Member gesucht wurden, habe ich mich spontan gemeldet.
Wenn mir der Schuh schon dauernd angezogen wird, dann kann ich ihn auch mit Stolz tragen.
Danke!
AntwortenLöschenEs bleibt noch viel zu tun!
AntwortenLöschenHear hear!
AntwortenLöschenWas für ein tolles Statement. Und was für eine präzise Analyse, was die Thematik mit uns macht und wie durchschlagend das Geschlecht ist. Selbst in einer solchen hohen Position, in der Du Dich befindest.
AntwortenLöschenIch selbst bin Professorin und weiß genau, was Du meinst. Bei bestimmten Themen werde ich immer angeguckt, ohne, dass ich mich dafür irgendwie qualifiziert hätte. Und so sehr ich es gut finde, dass die Männer mit mir reden, als wäre ich eben auch "einer von ihnen", so sehr platzt mir bei Gerechtigkeitsfragen der Kragen.
Hut ab.
Weiter so.
Gerade auch in diesen Positionen müssen wir auch mal Kante beziehen!
Danke!!
AntwortenLöschenGenau.
AntwortenLöschenJapp, genau so isses. Immer noch.
AntwortenLöschenAber ich habe Hoffnung: meine männlichen Kollegen reagieren ungehalten bei blöden "ach, Sie sind also im Sekretariat?"-Sprüchen. Es wird! Irgendwann...