Schon in den letzten paar Wochen ist mir aufgefallen, dass ich beim Autofahren die Augen zusammenkneifen muss, um die Schilder rechtzeitig lesen zu können (nicht die Geschwindigkeitsbegrenzungen, das hatten wir ja auch schon mal, da war richtig Land unter, nein, die Ortstafeln), dass ich, auch wenn ich in den Meetings nie so richtig weit weg von der Leinwand oder dem Bildschirm sitze, mich echt anstrengen muss, um alles gut lesen zu können (Es lebe das Executive Summary in grosser Schrift ).
Heute habe ich spontan beim lokalen Fielmann angerufen, um rauszufinden, ob ich für einen Sehtest einen Termin bräuchte. Die zunächst etwas verwirrende Aussage war: „Im Prinzip schon, diese Woche aber nicht.“ Und weil ich nach einem Morgen konzentriertem Arbeiten am Computer und einem Nachmittag mit ähnlicher Aussicht und dem Menüplan der Kantine, der „Appenzeller Kässpätzli“ im Angebot hatte, etwas, was man nur essen sollte, wenn man kurz vor dem Verhungern ist oder sich auf den Winterschlaf vorbereitet, eh Lust auf frische Luft über Mittag hatte, bin ich spontan in die Stadt zum Sehtest gelaufen.
Der Grund für „Diese Woche kein Termin nötig“ war dann die festliche Wiedereröffnung der umgebauten Filiale mit eben kostenlosem Sehtest (und Luftballons und Charly Chaplin Double, das Regenschirme verschenkte) und einem dementsprechenden Andrang.
Nun ja. Der Sehtest an sich war dann nicht so spannend (ich habe mir für „Sie sehen also 4 Kreise?“ „Nein, 8, jeweils 2 konzentrisch“ den Klugscheisserbonus abgeholt, Sehtest ist jetzt anscheinend auch in Farbe und bunt, und ich habe für jedes Auge eine Vierteldioptrie schlechter und für die (eh schon grosse) Hornhautverkrümmung auch nochmal, also nicht viel schlechter, aber auch nicht nix, neue Gläser hole ich mir dann nächste Woche, wenn die Kostenlosaktion vorbei und weniger los ist), aber als ich da so sass und wartete, kam auf einmal ein ca 10jähriger Junge in den Wartebereich für Sehtests und Kontaktlinsenanpassung, Schultasche noch drauf, keine Eltern dabei.
Junge: „Guten Tag.“
Optikerin: „Hallo, wie kann ich Dir helfen, möchtest Du einen Sehtest machen?“
Junge: „Ja, gern.“
O.: „Warst Du schon mal bei einem Augenarzt?“
J.: „Ja.“
O: „Wann war denn das?“
J.: „So vor zwei Wochen.“
O.: „Hat der Dir ein Rezept mitgegeben?“
J.: „Nein.“
O.: „Mhm. Hat er gesagt, dass Du eine Brille brauchst?“
J.: „Nein.“
O: „Ok, also, Du brauchst keine Brille? Hast Du denn das Gefühl, dass Du schlecht siehst?“
J.: „Nein.“
O.: „Aber einen Sehtest willst Du jetzt trotzdem nochmal machen?“
J.: „Ja.“
O.: „OK, dann komm mal mit.“
Sie nahm ihn vorbei an all den Leuten, die da auf den Sehtest warteten, mit zu dem Vortestgerät (Sie kennen das sicher, das, wo man reinschaut, hinten ist ein Segelboot oder ein Ballon, es macht fft, ffft, dann kommt ein kleiner Bon raus und die Augen sind vermessen. Erstmal. Das „So besser oder so besser oder gleich?“ kommt erst danach). Sie desinfizierte das Gerät, stellte dem Kind die perfekte Höhe ein, erklärte ihm, was wie wo reinschauen.
J.: „Halt, bevor wir anfangen, eine Frage: kommt da so hui, voll helles Licht raus in meine Augen? Bin ich danach geblendet?“
O.: „Keine Sorge, es tut nicht weh, es ist nicht superhell, einfach ein buntes Bild, du musst nichts machen, ausser Schauen.“
Beruhigt setzte der Junge, immer noch in Jacke und mit Schultasche auf dem Rücken, hin und guckte in die Augenlöcher, fft, ffft, Ausdruck. Die Optikerin reichte dem Jungen den Zettel und meinte:
„Super, alles wunderbar, du brauchst wirklich keine Brille.“
Der Junge nickte ruhig, überreichte den Bon feierlich der Optikerkollegin an der Kasse, die ihn entsorgt, er bedankte sich und machte sich auf den Weg zum Lift.
Die beiden Optikerinnen und die zig Leute, die im Wartebereich, amüsiert dem Ganzen zugesehen hatten, tauschten belustigte Blicke, da dreht der Junge noch mal um.
J.: „Entschuldigung, ich habe noch eine Frage.“
O.: „Ja, bitte?“
J.: „Mein Auge, das eine, das macht manchmal so komische Sachen, das Lid wackelt dann, von ganz allein.“
O.: „Ah, so Augenzucken? Ja, das gibt’s, das habe ich auch manchmal. Das kommt manchmal, wenn man gestresst ist oder müde. Normalerweise ist das nicht schlimm.“
Der Junge nickte wieder, bedankte sich höflich und ging weiter. Fast vor dem Lift drehte er nochmal um:
J.: „Oh, Entschuldigung, ich habe noch eine Frage.“
O.: „Ja, bitte?“
J.: „Also, der eine Mann da unten, mit dem Hut, der Schali Scheppi, was macht der da?“
O.: „Du meinst den Charly Chaplin? Der ist da zur Begrüssung, weil wir doch wieder eröffnet haben. Der verschenkt ausserdem Regenschirme.“
J.: „Ah, wieso habe ich keinen bekommen?“
O.: „Ich weiss es nicht, am besten gehst Du runter und fragst ihn einfach. Der ist ein echt netter.“
Und da machte sich der Junge endgültig auf den Weg und liess ungefähr 15 Erwachsene mit einem Lächeln im Gesicht zurück. An einem hektischen, vollgestopften, stressigen Donnerstagmittag ist das ein echtes Geschenk.
Schöne Geschichte, die können einem wirklich den ganzen Tag versüßen.
AntwortenLöschenHihi, ganz starke Hornhautverkrümmung. Willkommen im Club. Vielleicht ein Trost? Hornhautverkrümmung wird im Alter besser. So wie bei mir. Aber da müssen Sie ja noch ganz schön lange warten.
AntwortenLöschen