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Dienstag, Mai 20, 2014

Die Wand

Meine Bürokollegen und ich werden umziehen und zwar von einem kleinen Büro, in dem wir zu dritt sitzen, in ein anders kleines Büro, in dem wir zu viert sitzen werden. So weit, so egal, weil: Büroplatz ist knapp, es ist wie es ist.
Umzug in einem Grosskonzern ist ja an sich auch keine Sache, man darf nur nicht den Fehler machen, irgendwas selber tragen zu wollen, es wird ein Umzugsauftrag ausgelöst, man kriegt Kisten geliefert, alles was Kabel hat, wird von der IT ausgestöpselt, man muss nur so Sachen entscheiden, ob man die Dockingstation links oder rechts und das Telefon auf der gleichen Seite haben möchte, alles andere wird erledigt.
Jetzt ist es aber so, dass das Büro, in das wir ziehen werden, vorher kein Büro war, sondern ein halbes Labor, das umgebaut wird. Dementsprechend wurde da alles Laborspezifische rausgerissen (keine Sturmlüftung, Stickstoff-, Argon- und Druckluftversorgung mehr, ebensowenig wie destilliertes Wasser), eine Wand eingezogen und jetzt wird umgebaut. Auch damit haben wir eigentlich wenig bis nichts zu tun, es war mal eine Frau bei uns in unserem Büro, hat uns mit Blicken taxiert (ich nehme an, um unseren Platzbedarf abzuschätzen), genickt, gemhmmmmhmt, und ist wieder gegangen. Terminlich werden wir von unserem Abteilungsverantwortlichen für Büroplätze und Umzugsaufträge auf dem Laufenden gehalten, er hat uns letztens auch einen Plan gezeigt, wie das alles aussehen wird. Und da war dann der Moment, den ich in Büchern und Filmen nachträglich immer gerne versuche rauszufinden, nämlich der Moment, wo der Protagonist hätte anders handeln müssen/können/sollen, um das tragische Ende oder zumindest die folgenden Verwicklungen noch abzuwenden. Meine Kollegin hat nämlich statt "Mhmmmm, super." gesagt: "Oh. Das sieht aber eng aus. Könnten wir die Tische nicht versetzt stellen? Und was ist mit einem Sitzungstisch?"

Und dann ging es los: versetzt, das geht nicht, weil: Werksnorm heisst: Schreibtische müssen 90° zum Fenster ausgerichtet sein und die Schrankwand, die wir kriegen, die ist auch Werksnorm und da geht nix mit versetzt. Aber einen kleinen Tisch können wir vielleicht haben. Und den virtuellen Stempel "Wollen an der Bürogestaltung mitarbeiten", den haben wir jetzt alle drei bzw. vier auf der Stirn.
Letzte Woche wurden wir also alle vier (waren aber nur zu dritt, weil einer frei hatte) zusammengerufen, um über Teppichfarben zu beraten. Es gibt nämlich, wer hätte das gedacht: Werksnormteppiche. Neun verschiedene Farben, aber der Büroeinrichtungsservice rät von rot ab und unser Abteilungsverantwortliche für Büroplätze und Umzugsaufträge teilte uns im Vertrauen mit, dass er uns auch von wollweiss abraten würde, das würde ja total schnell gruslig. Blieben also sieben Normfarben und ganz naiv haben wir drei ganz instinktiv nicht die langfristig einfachste (und auch irgendwie richtige) Antwort gegeben ("Mir egal, such Du was aus"), sondern jeder auf ein anderes Normteppichstück gezeigt: Ich mittelgraublau, der Kollege schwarzgraumeliert, die Kollegin dunkelgraumeliert. Nachdem die Kollegin dem Kollegen (in Anwesenheit des Abteilungsverantwortlichen für Büroplätze und Umzugsaufträge und mittlerweile auch der Abteilungsassistentin) noch mal den Fleck in unserem aktuellen Büroteppich gezeigt hat, von dem Stück Schokoladenkuchen, das der Kollege vor einem halben Jahr mit dem Bürostuhl überfahren hat, hat er auch für dunkelgraumeliert gestimmt, weil man da Flecken nicht so sieht.

Ich hatte mittlerweile so ein bisschen verstanden, wie der Hase läuft und dass wir nur durch absolute Meinungslosigkeit wieder aus dieser Kiste rauskommen würden und erklärte mich also für überstimmt. Ganz ohne bockiges Gesicht und Unterton, weil mir, ganz ehrlich, die Teppichfarbe in meinem neuen Büro tatsächlich egal ist.

So einfach war das aber alles nicht, weil der Abteilungsverantwortliche für Büroplätze und Umzugsaufträge zusammen mit der Abteilungsassistentin nun ein schlechtes Gewissen entwickelt hatte, weil ich ja meinen Wunschteppich nicht bekäme und ausserdem bräuchten wir ja noch den kleinen Tisch und die mittlerweile von der Kollegin, die es jetzt aber wirklich wissen wollte, ins Spiel gebrachten Normmagnettafeln sowie Aufhängeplatz für unsere Laborkittel, Kälteschutzjacken und Anstosskappen. Garderobenhaken sind nämlich in der Normschrankwand (weiss) nicht vorgesehen. Es gab also einen Ortstermin auf der Baustelle, wo wir nochmal die Normteppichstücke auf den Boden hielten, erfuhren, dass jeder Mitarbeiter laut Werksnorm ein Anrecht auf 7m2 Arbeitsplatz hat und, tadaaaaaa, mir wurde eine Kompensation für meine verlorene Teppichfarbenschlacht angeboten. Der Abteilungsverantwortliche für Büroplätze und Umzugsaufträge hatte nämlich herausgefunden, dass in der Normausstattung für ein neu gestaltetes Büro eine kontrastfarbige Wand mit im Standardpaket wäre, Farbe frei wählbar und das wäre ja wohl klar, dass ich das jetzt auswählen dürfte, wo ich schon beim Teppich verloren hätte.
Was soll ich sagen? Ich hatte offensichtlich doch noch nicht so viel aus der ganzen Angelegenheit gelernt, anstatt nämlich zu sagen: "Ach, lassen wir das doch alles weiss", rutschte mir ganz instinktiv raus: "Cool, dann machen wir die Wand mit der Tür hellblau, statt des Teppichs."
Man könnte sagen, damit habe ich die (Farb)Büchse der Pandora geöffnet. Die Kollegen waren zwar einverstanden, aber man kann logischerweise einem Maler nicht einfach sagen: "hellblau". Aber ich bin ja auch ein praktischer Mensch und so schaute ich mich auf der Baustelle um und neben dem Hemd des Abteilungsverantwortlichen für Büroplätze und Umzugsaufträge, das ich jetzt nicht unbedingt als Referenz heranziehen wollte, wer weiss, vllt. hat er dann zum Termin mit dem Maler ein pinkes Hemd an?, fand sich praktischerweise ein Plakat zur Werksnorm in Sachen Abfallentsorgung an der Tür und der Hintergrund der Sektion über "Abwasser" hat ein wunderbares hellgraublau.
Also wurde aufgeschrieben: "Wand mit Tür in Abwasserblau."
In einem zweiten Ortstermin haben wir dann übrigens noch schnell die Kombination "Abwasserblau" und "Normteppichanthrazitmeliert" zusammen im Originallicht angeschaut, nicht dass sich da was beisst.
In einem dritten Ortstermin wurden wir dann informiert, dass sich die Werksnorm für Bürotüren geändert hätte, wir bekämen jetzt eine mit Sichtschlitz, die Tür selber wäre grau und die Einfassung des Fensters wäre braun, ob wir das bedacht hätten bei der Wahl von Teppich und Wand. Aber Gottseidank: Abwasserblau" und "Normteppichanthrazitmeliert" passen sehr gut zu "Türgrau" und "Einfassungsbraun".
Im Laufe dieser Ortstermine haben sich übrigens meine Kollegen ein bisschen ausgeklinkt und ich bin jetzt Bürobeauftragte für Kontrastwandfarben. (Der vierte Kollege, der ja den Teppichtermin schon verpasst hatte, wurde übrigens logischerweise mittlerweile über unsere Pläne in Kenntnis gesetzt, hat aber geschickterweise mit "Super, ihr macht das schon, ich habe da vollstes Vertrauen" geantwortet).
Das hat bisher dazu geführt, dass ich mit unserem Abteilungsverantwortlichen für Büroplätze und Umzugsaufträge heute eine Exkursion in einen anderen Bau gemacht habe, da haben sie nämlich nicht nur die Wände kontrastfarbig, sondern auch die Türen nach einem Stockwerksfarbleitsystem gestrichen. Da wir aber dieses Jahr noch umziehen sollen, denke ich, darauf verzichten wir, den ganzen Bau bekommen wir nie ins Boot für Türfarbenaussuchen. Ausserdem, aber das waren Labors und keine Büros, und da ist der Normboden nicht Teppich, sondern Linoleum, gab es da noch eine viel breitere Farbpalette an Bodenfarben. Auch hier habe ich einfach mal nichts gesagt.

So also der aktuelle Stand. Man darf weiterhin gespannt sein, am Donnerstag bin ich zu einem Ortstermin mit der Standortverantwortlichen für Bürogestaltung, der Malerfirma und dem Abteilungsverantwortlichen für Büroplätze und Umzugsaufträge geladen, es soll um die finale Farbeintscheidung für die Kontrastwand gehen. Vermutlich gibt es nämlich doch Werksnormwandfarben. Und dann entscheide ich ganz allein. Vielleicht.

13 Kommentare:

  1. Großes Kino! Ich hab gerade so lachen müssen.

    Liebe Grüße
    Pamela

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  2. Also...wäre es nicht sehr viel einfacher (und auch kostengünstiger) gewesen, die Firma hätte das einfach _irgendwie_ gemacht?
    Weiße Wände und irgendeine halbwegs zivile Teppichfarbe...

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  3. herrlich! und ich finde es manchmal schon übertrieben, dass der gatte seine meinung über die einrichtung MEINES neuen ateliers kundtun und durchsetzen will ;-)
    liebe grüße
    susa

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  4. Ach, hab ichs gut! Ich kann alles so streichen, wie ich will! (Gut, dass der Umzugsverantwortliche an dem Tag kein pinkes Hemd anhatte!)

    Herzlich gelacht!
    Viele liebe Grüße aus der Altmark, Dörthe

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  5. Alter Schwede *laaaaaach* Und ich dachte wir im ChemPark Uerdingen seien kompliziert ;o)

    LG
    Ute

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  6. Ich hätte ja Little L aussuchen lassen. Die Freude...! Sunni

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  7. Hihi :). Vieles kenne ich aus meinem alten Betrieb. Alles was Kabel hat darf man um himmels wille nicht selber zügeln. Da wurden auch dauernd Wände rausgerissen und neue gezogen, unglaublich. Aber Teppiche und Wandfarben durften wir nie aussuchen. Der Boden war dunkelgrauer Teppich, so Quadrate die man auswechseln konnte wenn ein Fleck nicht mehr weg ging und die Wände waren alle weiss. Wie viele qm pro MA zur Verfügung standen weiss ich nicht. Aber für Vorgesetzte gab es eine Fensterregelung. Also wie viele Fenster muss das Büro eines Teamleiters, Abteilungsleiters etc. haben :D. Das fand ich schon recht lustig.
    Jetzt arbeite ich beim Kanton und da gibt es Mindestgrössen für Büros. Meins is glücklicherweise zu klein für zwei Personen, juhu ;).

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  8. Gibts auch einen Standard zum Inhalt, zur Form und zur Positionierung von Orientierungsschildern?
    Das war mein Highlight gestern *Kopf==> Tisch*

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  9. Loriot hätte seine wahre Freude an diesen Farbmustern gehabt. Ein helles graugrünbraun .... ;-)

    Liebe Grüsse
    asty

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  10. Großes Gekicher hier. Wir hatten das besondere Problem in unserem Zweierbüro, dass mein Kollege 48 cm länger ist als ich. Der Normalkollegenspiegel ist jedoch ca. ein DinA4 Blatt groß. Gab ein großes Theater, weil wir eben keine Chefs sind und deshalb keinen großen Spiegel haben dürften. Inzwischen hängt er aber, kaum zu fassen.
    Beste Grüße
    terschies

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  11. Hm, beim Pfälzer Chemiegrossunternehmen, wo ich arbeite, dürfen die Schreibtische durchaus auch versetzt stehen...aber Kontrstwände habe ich noch nicht gesehen - dafür in einigen Gebäuden auch stockwerksspezifische Farbgebung...viel Spass beim umgezogen werden..

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  12. Hm, beim Pfälzer Chemiegrossunternehmen, wo ich arbeite, dürfen die Schreibtische durchaus auch versetzt stehen...aber Kontrstwände habe ich noch nicht gesehen - dafür in einigen Gebäuden auch stockwerksspezifische Farbgebung...viel Spass beim umgezogen werden..

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