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Sonntag, November 03, 2013

Driving home for Allerheiligen

Es hat sich hier die letzten Jahre so eingebürgert, dass wir Weihnachten hier in der Schweiz feiern, gerne mit den Gästen, die uns dazu besuchen wollen. Die Fahrerei über die Feiertage mit oder ohne den Lieblingsgeschenken, den Verwandtentourismus von der einen zur anderen Oma, mit Cousin, Schwestern, Freunden zu einer Zeit, wo man am liebsten nur daheim auf dem Sofa läge und das Fondue verdauen oder aber das lang ersehnte  Legoset zusammenbauen würde, tun wir uns icht mehr an.
Stattdessen fahren wir im Herbst nochmal nach Bayern, diesmal zu dem praktisch verlängerten Allerheiligenwochenende.
Und wie wir da heute also nach drei familienvollen Tagen wieder Richtung LindauBregenzStGallenBregenzZürichBasel runtergebrettert sind, da sind meine Gedanken dann ungefähr 30 Jahre in die Vergangenheit zurückgewandert, als wir meine Grosseltern besuchten.
In meiner Familie gibt es eine mindestens (naja, genau) zwei Generationen alte Tradition des "von den Eltern Wegziehens", und so haben wir seinerzeit gut/knapp 100km von den Omas und Opas weg gewohnt. Nicht die Welt, aber auch nicht nah genug für regelmässige Oma-Opa-Tage oder Babysitterdienste. Ein Besuch ging auch meistens über ein Wochenende mit Übernachten und ich fand das eigentlich grossartig.
Das fing schon mit der Autofahrt an, die länger war als die normalen Musikschul-Sportverein-Einkaufen-Fahrten und eben auch in eine andere Richtung ging. Da ich mehrfach spektakulär und glaubhaft beweisen konnte, dass mir von der Fahrt durch die Hopfenstangenwälder der Hallertau speiübel wird, durfte ich, sobald ich gross genug war, auf dem Beifahrersitz vorne sitzen und das war natürlich grossartig. Sobald wir an den Hopfenfeldern vorbei waren, war die Fahrt auch grossartig, der Blick auf die Walhalla bei Kehlheim markierte immer so ungefähr die Hälfte der Strecke.
Wir haben immer bei den Eltern meines Vaters übernachtet, die in Regensburg auf einer Anhöhe wohnten. Vor dem Schlafengehen haben wir immer aus em Fenster auf die glitzernden Lichter er Stat geschaut und das war grossartig (okay, Regensburg war damals noch kleiner als heute, aber in unserem Heimatdorf gab es höchstens den Blick auf den Schweinestall vom Bauern unterhalb und der war nicht beleuchtet. Ob es damals überhaupt Strassenlaternen in dem Ort gab, weiss ich gar nicht, auf jeden Fall nicht genug zum Glitzern.
Solange wir noch reingepasst haben, haben wir alle in einem gemeinsamen Zimmer geschlafen, ich bekam ein Sofa bezogen, das so hubbelige rosa gemusterte Poster hatte, dass ich wie auf Hügeln schlief. Die Bettdecken waren mit so superschicken Bezügen, die so eien Art Durchguck auf ein Unterbettzeug hatten, bezogen, was amals designtechnisch vermutlich der letzte Schrei war, für mich hatte es allerdings zur Folge, dass ich nie as gesamte Bettzeug zu greifen bekam, sondern nur einen Zipfel, die Decke selber verklumpte sich dann unten irgendwo und das war dann ziemlich ungemütlich.
Geschlafen habe ich allerdings eh nur sehr wenig, ich erinnere mich an die Regel, dass ich frühestens um sieben Uhr morgens zu lesen anfangen durfte. Zwischen den Schwarzweissporträts meines Vaters und seiner drei Brüder (mein Grossvater war Fotograf und die Bilder waren grossartig) hing eine grosse Uhr und ich hatte mit mir selber ausgemacht, dass es auch gelten würde, wenn ich ab dem Zeipunkt des Aufwachens die Sekunden bis "Lesen erlaubt"selber zählen würde und das war dann natürlich schneller als auf der Uhr.... nun ja.
Später dann dürften meine nächstjüngere Schwester und ich in das Zimmer unterm Dach ziehen, was sich v.a. durch die Unmengen Krickerl an den Wänden auszeichnete (ich wollte immer zählen, habe es aber nie geschafft). Am niedlichsten fand ich ein ganz kleines Krickerl, ich habe mich aber immer schuldig gefühlt, weil ich ja wusste, dass das ja der Totenschädel eines Rehkitzes war, aber sogar in diesem Stadium griff das Kindchenschema.... Ansonsten gab es in diesem Raum noch ein Schwarzbärenfell, ein ausgestopftes Murmeltier, einen Eichelhäher und diverse Wildschweinfelle. Ja, mein Grossvater war Jäger und ja, ich fand das gruseligst. Einmal habe ich ihn beim Essen einen Tiermörder genannt und das war.... nun ja. Wir hatte schon bessere Enkeltochter-Grossvater-Momente.
Überhaupt: das Essen. Es gab immer böhmisch-österreichisches Essen, immer mit Powidl gefüllte Buchteln, Nuss- und Mohnstrudel (ich nahm Mohn, immer!), Selchsuppn, die besten Debreziner der Welt mit selbergemachtem Apfelkren, Gulasch und leider auch oft selber geschossenes Wild, was ich auch ohne das Knirschen der Schrotkörner zwischen den Zähnen nicht lecker gefunden hätte.
Zum Trinken gab es für uns Kinder Himbeersirup, das gab es daheim nie! Meine Oma war querschnittsgelähmt und musste deswegen (?) immer eingeweichte Leinsamen und Trockenpflaumen frühstücken. JEDEN Morgen. (Und jetzt, 30 Jahre später, dämmert mir langsam, wie das zusammenhing....)
Ansonsten gab es bei meinen Grosseltern einen Fernseher, en hatten wir daheim nicht. Un deswegen blieb der auch aus, wenn wir da waren, aber es gab auch eine Fernsehzeitung und gehörte zu meinen Grosselternbesuchsritualen auch, mir aus dem Altpapier und der Post sämtliche Hörzu-Hefte zu sammeln, derer ich habhaft werden konnte und chronologisch die Handlung der Lindenstrasse etc. der letzten Woche nachzulesen.
Ausserde hatten meine Grosseltern dort wo andere Leute auf ihre Wohnzimmertisch Kunst- oder Fotobäne liegen haben, einen grossformatigen Bildband "Die Greueltaten der roten Armee" (zum Teil in Farbe). Auch den habe ich eingehend studiert, bis ich meinen Vater bei einem Bild mal etwas fragen musste (ich nehme an, es war irgendwas von der Art "Was heisst eigentlich "Gehirnmasse"?), dann hat er erst realisiert, was für ein Machwerk seine 10jährige Tochter da studiert und ich musste das Buch sofort rausrücken, es gab ein bisschen Streit zwischen Vater und Sohn und ich habe das Buch nie wieder gesehen.

Ich weiss gar nicht genau, was wir eigentlich immer gemacht haben, wenn wir die Grosseltern besucht haben: ich war beschäftigt mit Lichter anschauen, Zeitschriften lesen, mit meinen Schwestern über das Heizlüftungssystem durch das ganze Haus zu kommunizieren (es gab da so Klappen, die man auf- und zudrehen konnte und je nach Einstellung konnte man Leute zu Tode erschrecken), mich vor den ausgestopften Tieren gruseln, für meine querschnittsgelähmte Oma Klopapier falten (einmal habe ich eine ganze Rolle in Dreierblattportionen geteilt und gefaltet, das war dann auch wieder nicht recht) und solchen Sachen.
Ich erinnere mich, dass wir bei jedem Besuch (und auch nur dort) in die Waschanlage gefahren sind, ab und an haben wir den älteren Bruder meines Vaters getroffen, der hatte zwei Söhne, die einen Tacken älter als wir waren, das war natürlich spannend, wir waren regelmässig in der Stadt unterwegs, und sind auch immer zu meinen anderen Grosseltern gefahren.
Da lagen dann natürlich Welten dazwischen, weil die Eltern meiner Mutter sozusagen Arbeiterklasse vom Feinsten (kann man das sagen?) waren. An meine Grossmutter mütterlicherseits erinnere ich mich nicht mehr vor ihrer Alzheimererkrankung, nur noch als sehr verwirrte alte Frau, die immer weinte, wenn wir kamen, weil sie nicht wusste, wer wir sind, aber wohl, dass sie es wissen sollte. Meine Mutter weinte auch, weil meine Oma immer weniger wusste, mein Opa erkundigte sich immer nach dem Nachbarsbub bei uns daheim, weil er sich wohl selber schon immer Söhne, und als das nicht geklappt hatte, wenigstens Enkel gewünscht hatte. Naja, das hat auch nicht geklappt und die Urenkel hat er jetzt nicht mehr miterlebt. Aber unseren Nachbarsbub, den fand er toll. Ansonsten gab es bei meinem Opa immer Unmengen an Wurst und Fleisch (Presssack in so dicken Scheiben, dass ich .... nein, Presssack ist auch dünn eklig) und nichts nehmen oder nur wenig, das war nie eine Option. Dazu gab es Apfelsaft von einer lokalen Saftpresse, zu er mein Opa die Äpfel, die er auf dem irre grossen Grundstück, auf dem das Haus stand, sammelte, brachte und dafür dan eben den Saft bekam. Bei uns daheim gab es immer nur Tee ohne Zucker und deswegen war ich überhaupt nichts gewohnt und bekam von einem Glas (zumindest behauptete ich, es wäre nur eins gewesen) Apfelsaft immer schon tierische Bauchschmerzen. Anstatt mich auf Fruktoseintoleranz auspendeln zu lassen, wurde bei meinem Opa für mich ein sehr schickes, sehr kleines "Grüsse aus der Weinregion Mosel"-Glas reserviert und mein Apfelsaftkonsum auf eines dieser Gläser pro Besuch beschränkt.
Das Haus wurde mit einem Ölofen geheizt, aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen war das Erdgeschoss unbewohnt, allerdings lagerten dort die tollsten alten Sachen und das Stöbern dort war grossartig.
Zum Abschied bekamen wir von meinem Opa immer Riesenmengen an Schokolade, ich habe wohl mal gesagt, dass ich Marzipan mag, und seitdem gab es immer Rittersport Marzipan für mich. Meine Mutter bekam immer MonCherie, auch die in rauhen Mengen.
Auf dem Heimweg wurde die Schokolade dann einkassiert und rationiert und über meinen Opa geschimpft, der uns so viel Süssigkeiten zuschob. Als wir dann später einmal zusammen mit meinem Opa seine Heimat und seine Schwester im Sudetenland besuchten und ich alt genug war, die Geschichten von der Vertreibung zu verstehen, da verstand ich dann auch, warum genug zu essen zu haben so unendlich wichtig für ihn war. Überhaupt: so unterschiedlich sich die Grosseltern väterlicher- und mütterlicherseits (die wohlhabende Fotografenfamilie und die arme Arbeiterfamilie aus Schneiderin und Papiermühlenarbeiter) waren, so ähnlich war ihre geographische Herkunft un ihre Meinung zur roten Armee. Mein Opa mütterlicherseits hatte aber nicht nur Bildbände, er hatte auch Pamphlete von Vertriebenenvereinigungen und seinen durchschossenen Wehrmachtsausweis mit echtem Blut dran. Und Geschichten aus der russischen Gefangenschaft.
Ich habe die Besuche bei meinen Grosseltern also in grosseartiger Erinnerung. Was meine Eltern gemacht haben, während wir da waren, weiss ich wirklich nicht. Genau wie das Weinen meiner Grossmutter (väterlicherseits) ,wenn wir ankamen, vor lauter Freude, nehme ich mal an, und wenn wir wieder fuhren, gehörte das Gestreite meiner Eltern auf dem Heimweg zu den nicht ganz so schönen, aber unabdingbaren Zutaten zu einem solche Wochenende. Es wurde über das Rauchen meines Grossvaters in Anwesenheit der Kinder geschimpft (ich fand die Zigaretten eklig, die Pfeife aber ganz gut, vom Geruch her), über Überheblichkeit, über Undordnung und Dreck, über Gottweisswas, aber mich hat das alles dort gar nicht gestört. In meiner Erinnerung war es immer Vorweihnachtszeit und dunkel, wenn wir heimgefahren sind und wir haben unterwegs beleuchtete Christbäume gezählt.


Mich würde es jetzt schon interessieren, was die Grosselternbesuche für unsere Jungs bedeuten, Was ihre Erinnerungen sein werden, was sie mit unseren Eltern verbinden (werden).... ich könnte mir vorstellen, dass sie sich statt an Krickerl, Wurst und Horrorbücher an die Legoritterburg von 1990, die Schatzsuchen in Keller und Speicher, den Zauberschrank und Schokohörnchen zum Frühstück erinnern werden.

6 Kommentare:

  1. Oh! Wie! Schön!
    Das haben Sie so wundervoll geschrieben, eine richtige Vergangenheitsreise.
    Bei mir war es irgendwie ganz anders damals, aber irgendwie auch genau so!
    Grüße von
    Ute

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  2. meine kinder erleben das wohl ähnlich wie du es erlebt hast: ihre großeltern sind auch 100km weit weg und ein bis zwei mal im monat verbringen wir ein wochenende dort. bin gespannt, wie sie das später in erinnerung haben. wobei ich das gefühl habe, dass sie sich seeeehr wohl dort fühlen.

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  3. Hui, was für ein umfangreicher, aufschlussreicher Rückblick! Finde die Idee, schon vor Weihnachten die Verwandtenrunde zu drehen extrem clever ;-) Hasse auch die "Tournee" an den Feiertagen, auch ohne Kinder ist es stressig. Keiner will zu kurz kommen, man wird erpresst und bekommt ein schlechtes Gewissen durch Sprüche wie, "wer weiß, wie oft wir uns noch sehen, die Großeltern sind alt" ... Aus dem Grund müssen auch wir umherfahren, da die Großeltern nicht mehr mobil sind, in dem Zuge kann man ja dann auch gleich Eltern, Tanten etc. abklappern. Am Ende sind alle genervt, Lagerkoller und eigentlich kann es nicht harmonisch sein, wenn man was widerwillig macht ... Habe daher immerhin seit einigen Jahren die Verweildauer extrem reduziert. Anreise bei den Eltern am 24. Mittags. 25. Schwiegerfamilie, 26. Tantengeburtstag + Oma gucken und abends ab nach Hause. Sonst zickt man am Ende noch den eigenen Mann an, weil STRESS. Am besten am 27. arbeiten gehen, hat man gleich ´ne Ausrede, um nicht länger bleiben zu müssen ;-) Doch, ich mag meine Familie, aber ich mag nicht gezwungen werden, irgendwo zu bestimmten Festtagen aufkreuzen zu müssen, bloß, "weil sich das so gehört" ... Leider gibt es hier weder Allerheiligen, noch großartig andere freie Tage im Herbst, da so ein "gottloses" Bundesland ;-) Dieses Jahr wird doppelt spannend, die Tante ist erstmalig alleine, weil Mann verstorben. Wer "nimmt" sie auf? Wie machen das deine Mutter/Schwiegermutter? Feiern sie freiwillig alleine? Verlangen sie nach Gesellschaft?

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  4. @Malcesine: meine Mutter wird auch alleine sein, mein Vater ist im Januar gestorben, mein Bruder lebt in England, ich in der Schweiz, sie in Norddeutschland.
    Aber das geht nun mal nicht anders... zum Glück hat sie jetzt seit ein paar Wochen Anschluss in der Kirche gefunden, ich hoffe, sie findet dort eine Veranstaltung, die sie interessiert.
    Ich würde die Tante also erst mal fragen, was sie gern möchte. Meine Mutter würde zu niemandem aus der Verwandtschaft gehen wollen.

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  5. Vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ich musste direkt an meine früheren Großeltern-Besuche denken (die allerdings völlig anders waren).

    Viele liebe Grüße
    Nele

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